Ist eine Handtasche Kunst?

Über Marken, Preise und Werte.
TINGLER TEASER / Getty Images / Montage Raisa Durandi / Bild für MAG BLOG Konsumkultur / Philosophie und Kritik des Konsums / THEMA: Ist eine Handtasche Kunst? / Hergestellt am 08.09.2016

Der Erfolg des zeitgenössischen Künstlers zeigt sich auf dem Markt, nicht im Museum. Foto: Getty Images/Montage Raisa Durandi

Unlängst wurde bei Christie’s in Hongkong eine Handtasche für rund 300’000 Dollar versteigert, meine Damen und Herren. Natürlich nicht irgendeine Handtasche. Eine Himalayan Birkin Bag von Hermès. Krokodil, Weissgold, Diamanten. Aber auch für weniger bombastische Ausführungen der Birkin existiert ein florierender Sekundärmarkt; Birkin Bags gelten schon lange als liquiditätsnahe Kapitalanlage. In den letzten 35 Jahren hat sich der Birkinpreis besser als der Goldpreis entwickelt, und alles spricht dafür, dass es so weitergeht – bei weitaus geringerer Volatilität als bei anderen Anlageformen.

Eine andere Anlageform wäre zum Beispiel Kunst. Nun ist im Grunde die spätmoderne Kunst nicht so weit von einer Hermès-Handtasche entfernt. Besonders in jenem Segment, das der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem neuesten Buch «Siegerkunst» nennt: das Blue-Chip-Segment der zeitgenössischen Kunst. Also Werke von Künstlern mit beträchtlicher ökonomischer Potenz wie Damien Hirst oder Jeff Koons, die Teil des Celebrity-Systems der spätmodernen Mediengesellschaft sind und ihre Kunstwerke in arbeitsteiligen Grossateliers wie hochpreisige Markenprodukte herstellen und vermarkten (lassen).

Der Markt habe das Museum abgelöst, so die These von Ullrich. Die Grundidee des Museums als Institution, dass man nämlich Kunst auch unabhängig vom Besitz rezipieren könne, sei im Abdanken begriffen. Der Erfolg des zeitgenössischen Künstlers manifestiere sich nicht mehr im Museum, sondern auf dem Markt, und Erfolg auf dem Markt heisst: hohe Preise. In einer faszinierenden Dynamik wird dabei der hohe Preis dem Kunstwerk quasi einverleibt, also ein Teil von ihm, denn, so Ullrich: Gerade das Verhältnis – oder eher: Missverhältnis – von Kunstwerk und Preis erzeuge ein Gefühl von Erhabenheit. Mithin eine klassische ästhetische Qualität. Und das im Zusammenhang mit Schöpfungen, für welche die ideelle ästhetische Substanz vergangener Epochen regelmässig nur noch als dekoratives Versatzstück und pseudoironisches Zitat fungiert. Und die trotzdem mehr Anspruch auf Transzendenz erheben als eine Handtasche. Wieso eigentlich?

9 Kommentare zu «Ist eine Handtasche Kunst?»

  • Kristina sagt:

    Klassische ästhetische Qualität? Ideelle ästhetische Substanz? Warum lese ich hier nichts über Jean, Nikki und Rene?

    • Pedro Riengger sagt:

      Wohl weil diese bei Tinguely und de Saint Phalle und nicht wirklich bestanden hat. Klassische ästhetische Qualität kommt nicht daher, dass Künstler ein Leben lang – ohne sich und ihr Werk zu entwickeln – das Gleiche machen. Die mit Federn geschmückten Zeichnungen von Tinguely und die «fröhlichen» Nanas von de Saint Phalle sind Kalender- und -Krawattenkunst. Also etwa von der gleichen ästhetischen Qualität wie Rolf Knie … (sieht man einmal von den frühen geometrischen Werken von Tinguely ab). Niki war bei Weitem keine Louise (Bourgeois), sondern eher eine Sylvie (Fleury), die ohne John (über den selbst man auch geteilter Meinung sein kann) ebenfalls niemand beachten würde. PS: Welcher René? Schweizer, Odermatt?

  • Anh Toàn sagt:

    Als das Kunstmuseum Basel von Beuys einen Leiterwagen kauften, sagten die einfachen Leute, ohne komplizierten Worte zu verwenden: Kunst ist, einen Leiterwagen so teuer zu verkaufen.

  • Jean Rodrigo sagt:

    Seit nunmehr einem ganzen Jahrhundert (oder mehr) sind wir eine Gesellschaft ohne Wesen und Identität, ausgeliefert an Untätigkeit und Nichtstun aus Mangel an Zweck und Transzendenz. Und doch brauchen wir die Berufung, irgendeine historische Aufgabe. Also werden wir Falschmünzer und machen, einer heroischen Verklärung des Kleinkrämertums gleich, die Vermehrung von Wohlstand und Konsum zu unserem letzten Ziel.
    Klar, dass die Kunst an diesem Prozess teilhat. Einst Botschafterin der Transzendenz und Fenster in die Glückseligkeit, hat sie im letzten Jhd. ihre zukunftsweisende Macht verloren. Durch die Einverleibung des Geldwerts in die Substanz des Werks gleicht sie sich der herrschenden Nivellierung an und macht sich sogar zur eigentlichen Trägerin der letzten grossen Illusion.

  • Sibylle sagt:

    Mir scheint, die abgebildete Tasche ist eher eine Kelly als ein Birkin.

  • Meinrad sagt:

    Der Preis müsste demnach irgendwie unter den Begriff der Transzendenz gezwängt werden. Im wortwörtlichen Sinn transzendiert, überschreitet der sehr hohe Preis auch jede Einsicht. 🙂 Im Mittelalter gab es Diskussionen über den gerechten Preis (pretium iustum). Diese Gerechtigkeit könnte als transzendent qualifiziert werden. Aber zum Einen ist der heute für solche Dinge bezahlte Preis aus damaliger Sicht wohl ungerecht, was zwar Transzendenz nicht ausschliesst, nur weil es verwerflich wäre. Zum Andern hat die Idee des gerechten Preises heute keine Bedeutung mehr, ausser vielleicht in rechtlichen Ausnahmefällen wie Übervorteilung oder Wucher, was für die Frage der Transzendenz der Kunstwerke keine Bedeutung haben kann. Demzufolge kann der Preis m.E. nicht Teil des Kunstwerkes sein.

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