Lauter als Worte

Das ist sehr wichtig. Ihre Persönlichkeit, meine Damen und Herren, ist zu etwa siebzig Prozent dafür verantwortlich, dass Sie jemand interessant findet. Aber die restlichen dreissig Prozent (das sind Aussehen, Kleidung, Körpersprache) entscheiden, ob man sich zunächst mal überhaupt mit Ihnen abgibt. Ja, wir weisen sogar jede Menge potenziell passender Lebens- oder Sexualpartner zurück (und werden von diesen zurückgewiesen) – bloss auf der Basis von ein paar flüchtigen Eindrücken, die in den ersten paar Augenblicken entstehen.
Ich selbst könnte Kurse geben in Körpersprache. Schliesslich habe ich mich nicht umsonst gut zwei Dekaden lang damit beschäftigt, auf Parties ganze Nächte lang Eiswürfel zu kauen und mit meiner Körpersprache Überlegenheit zu signalisieren. Ich vergesse mich nie. Man könnte jeden beliebigen Moment eine Wachsfigur aus mir machen. OK, vielleicht nicht gerade in jenen Momenten, da ich gröhlend in Hunters Video Bar über der Theke hing oder betrunken in der Dusche hinfiel. Oder neulich, als ich beim Betreten der «Blauen Ente» in Zürich ausgerutscht und beinahe hingeflogen bin. Später merkte ich dann, dass ich auch noch meine Strickjacke verkehrt herum anhatte. Aber niemand hatte sich was zu sagen getraut. Das ist der Fluch daran, eine Stilkolumne zu schreiben.
«Halt dich gerade!» Diese Mahnung meiner Eltern, die ich als Kind tagtäglich hörte, habe ich bis heute im Ohr. Und das heisst: Schultern setzen, Kinn leicht nach oben, Brust raus, Gesässmuskeln angespannt. Vor allen Dingen aber heisst das: aufrecht. Die Leute assoziieren eine aufrechte Haltung mit Selbstvertrauen, und insofern ist eine stramme Statur schlechterdings unverzichtbar. Sie erinnern sich: Haltung ist die halbe Figur.
Gewiss sind auch Sie, lieber Leser, liebe Leserin, nicht unattraktiv – doch falls Sie nicht gerade einen Körper haben wie Tyson Beckford oder Eva Longoria, ist es hochgradig unwahrscheinlich, dass sie es sich erlauben könne, Ihre Positur total zu entspannen. Werfen Sie nun einen objektiven Blick auf sich selbst. Sofern Sie zu dem Ergebnis gelangen, dass ihre Erscheinung die richtigen Signale abstrahlt, können Sie jetzt aufhören zu lesen. Dem freundlicherweise übrig gebliebenen Teil des Publikums wollen wir aber nun einige unbezahlbare Ratschläge geben, wie sich mit vertretbarem Aufwand (und mit einiger Übung) eine selbstsichere, attraktive Körpersprache gewinnen (oder wenigstens simulieren) lässt. Das dauert nicht lange. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist, wie bei so vielen Sachen, eine mentale: Gehen Sie einfach immer und immer davon aus, dass jeder Sie anstarrt. Tun Sie gleichzeitig aber so, als ob niemand dies täte.
Mit anderen Worten: Halten Sie sich ungezwungen, aber kontrolliert. In der konkreten Anwendung lässt sich aus diesem obersten Grundsatz sogleich die eine fundamentale Regel ableiten: Ziehen Sie den Bauch ein. Immer. Auch im Sitzen. Das gibt Muskeln. Das pausenlose, fortgesetzte, unentwegte Bauch-Einziehen ist überhaupt das Aller-Wichtigste im Leben, denn es ist die Voraussetzung für alles andere: Beliebtheit, Ruhm, Doktortitel. Ich selbst habe noch den Bauch eingezogen, als mir ein durchbrochener Blinddarm entfernt wurde. Und wenn Ihnen das permanente Bauch-Einziehen einmal schwer fallen sollte und sich womöglich Ermüdungserscheinungen bemerkbar machen und Sie anfangen, zu zweifeln und über innere Werte nachzudenken, so stellen Sie sich einfach vor, Sie würden nackt gesehen von jemandem, den Sie Ihrerseits attraktiv finden. Bei diesem Gedanken ziehen normale Menschen instinktiv ihren Bauch ein und positionieren ihren Körper auf schmeichelhafte, ansprechende Art.
Ein anderes Problem sind Übersprunghandlungen: Kleine, im Moment ihrer Ausführung sinnlose Gesten als Zeichen innerer Anspannung. Das kann uns zum Beispiel passieren, wenn wir uns langweilen oder die Unwahrheit sagen oder sonstwie in Bedrängnis geraten, also häufig. Diese zwar minimalen, aber deutlichen Gesten von Irritation und Unsicherheit lernt man zu beherrschen, indem man sie in eine souveräne Bewegung verwandelt. Nähert sich beispielsweise unsere Hand dem Ohr, um daran zu zupfen, lenke man sie um und streiche sich kurz übers Haar. Damit erscheint man in Kontrolle, steigert seine Attraktivität und vermittelt gleichzeitig die Botschaft, dass man mit seinem Aussehen zufrieden ist. Und gut auszusehen ist schliesslich das Zweitwichtigste im Leben. Das Wichtigste ist: beliebt zu sein. Und was die Leute von einem denken. Sagt Old Christine.
Und endlich noch ein Wort zum dialogischen Aspekt der Körpersprache, denn dies ist ein wesentlicher Punkt, wenn man zum Beispiel einen potenziellen Sexualpartner anlocken möchte oder Einsitz genommen hat im Preisgericht eines Literaturwettbewerbes, der übers Fernsehen in drei Länder direkt übertragen wird. Mein Ratschlag: Ob Sie nun stehen oder sitzen – adjustieren Sie Ihren Körper in einem Winkel, der am besten das Niveau von Interesse widerspiegelt, von dem Sie wünschen, dass die anderen denken, sie inspirierten es bei Ihnen. Achten Sie dabei auf das abendländische Gebot kultureller Dezenz. Wie bitte? Das wollen Sie noch verständlicher ausgeführt haben? Okay: Sie können davon ausgehen, dass jemand an der Kontaktaufnahme mit Ihnen interessiert ist, wenn dieser Jemand eine von Ihnen vollzogene Änderung der Körperhaltung innerhalb von sechzig Sekunden imitiert. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wir dazu neigen, Menschen zu mögen, die so sind wie wir. Obschon dies bei einigen Leuten wenig plausibel erscheint.
Im Bild oben: Stephen Fry und Hugh Laurie in der Serie «Jeeves and Wooster». (Foto: ITV)
8 Kommentare zu «Lauter als Worte»
Selbstsicher ist immer gut. Kommt von innen.
den Ranzen einziehen ist ein Ausdruck von nichtselbstsicher. Ein Tupet über die Glatze stülpen machts auch nicht besser.
Die Hände vor dem Gekröse verschränken ist auch nicht das Wahre.
Das Wahre ist, lieber Herr Tingler, sein Haus zu bauen mit den Steinen die man hat und damit zufrieden zu sein.
So,jetz chasch locker anestah.
sein haus zu bauen mit den steinen, die man hat!
danke dafür, herr fischbacher
paaah, herr doktor. keine konventionen bitte. ich blende schon seit vielen jahren die erziehung einfach aus, rülpse und furze in der gegend rum und was die andern davon halten ist mir sch****egal. meine gattin hat mir kürzlich einen benamsten futtertrog geschenkt und jetzt kann ich endlich den ganzen kopf im essen versenken – der elende stress mit der gabel war schlichtweg unerträglich. rumlaufen würd‘ ich am liebsten nackt, auch in der öffentlichkeit, weil ich immense mühe habe mich adäquat zu kleiden, (sagt meine gattin). die „richtige“ körpersprache ist die eines neugeborenen ferkels.
Derartige Umgangsformen ließen sich natürlich noch mannigfaltig ergänzen, man traut sich mit halbwegs menschlichen Manieren kaum noch aus dem Haus. Im Anzug in der schwäbischen Provinz auf die Einkaufsstrasse sowieso nicht, es sei denn im Jogginganzug.
Philipp Rittermann, Ihre Gattin gehört ebenfalls zur Spezies Ferkel, Spanferkel möglicherweise?
Ein Spanferkel kann für ein Neugeborenes eine gewisse Vorbildfunktion übernehmen.
Wo sind wir denn hier? richtig bei S t y l e, mit einer Prise Philosophie und Nonsense. Hier werden jedoch ganze (Schweine-) Mistkarren geführt! Die Lady rümpft die Nase.
Ganz wunderbar Herr Dr. Tingler, ein ganz reizender Artikel. Jetzt kann ich entspannt zu meinem Hausarzt gehen und mir meine Vitamin C Infusionen geben lassen. Und dann entscheide ich mich, ob ich weiterhin meiner selbstreferenziellen Authentizität fröhne oder versuche attraktiv, sympathisch und etc. zu wirken.
Beliebt sein ist das Wichtigste, gut aussehen das Zweitwichtigste im Leben. Und ich hab mir immer so einen Selbstverwirklichungsstress gemacht, über Sinn und Unsinn nachgedacht, versucht, Weisheit zum Keimen zu bringen, mich überhaupt vor allem um Nichtigkeiten gesorgt, wo doch diese kluge Maxime mir hätte helfen können, fokussiert vor zu gehen. Aber 2013 wird alles anders…