Die Erlebnisgesellschaft

Erinnern Sie sich, meine Damen und Herren, wie wir an dieser Stelle neulich diskutierten, dass das spätmoderne Produkt seinem potenziellen Käufer mit Vorteil ein Erlebnis in Aussicht stellen muss, zum Beispiel ein «Spa-Erlebnis»? Das deckt sich mit Herrn Schulze. Der deutsche Soziologe Gerhard Schulze, dem wir den Begriff der «Erlebnisgesellschaft» verdanken, ist der Auffassung, dass der Mensch der Gegenwart ganz gezielt Situationen schafft oder aufsucht, die ihn aufwühlen, ansprechen, involvieren; ein Verhalten, was Schulze «Erlebnisrationalität» nennt. In seinem Werk «Die Erlebnisgesellschaft» schreibt er: «Das Subjekt wird sich selbst zum Objekt, indem es Situationen zu Erlebniszwecken instrumentalisiert. Erlebnisrationalität ist der Versuch, durch Beeinflussung äusserer Bedingungen gewünschte subjektive Prozesse auszulösen. Der Mensch wird zum Manager seiner eigenen Subjektivität, zum Manipulator seines Innenlebens.»
Unbeantwortet indes lässt auch Herr Schulze die Frage, warum offenbar ausgerechnet die verschiedenen Darreichungsformen von Klopapier so sehr als Ressourcen zur Steigerung von Erlebnisintensität taugen. Entweder als «Spa-Erlebnis» oder zum Beispiel in der Variante «Klassische Sauberkeit». Was die Frage nahelegt: Was soll das sein? Was ist klassische Sauberkeit? Und was ist ihr Gegenteil? Avantgardistische Sauberkeit? Oder klassische Unsauberkeit? Oder die weltgewandte, elegante Traurigkeit eines Frank Sinatra?
4 Kommentare zu «Die Erlebnisgesellschaft»
Leider nicht die ersten Zeilen die ich heute lese. Jetzt denke ich nur noch Slot-Machine. Wussten Sie dass Moorleichen leuchten können? Ich meine nur.
1) Herr Schulze schreibt von „Situationen“ und „äussere[n] Bedingungen“. Das sind doch die Objekte, die gerade in der Erlebnisgesellschaft sich tausendfach vermehrend angeboten werden. Aus jeder Beiz wird heute ein Erlebnisort. Deshalb wird das Subjekt nicht „sich selbst“ zum Objekt.
2) Die klassische Sauberkeit wurde noch mit Zeitungsabschnitten erreicht, was in der Moderne Nicht-ganz-Sauberkeit darstellt, die wiederum posthistorisch von der perfekten Sauberkeit mittels Feuchttüchlein übertroffen wird – sogar im „javanischen Dschungel“. Hauptsache, der Klodeckel wird geschlossen…
Den ersten Teil des Zitats würde ich umschreiben, damit es für mich stimmt:“Das Objekt wird sich selbst zum Subjekt, indem es Situationen zu Erlebniszwecken instrumentalisiert. “ Lässt sich in der Geschichte des Westens als Geschichte des neurotischen Selbstzwangs sehr gut herleiten und ist aktueller denn je.
Der Topos der klassischen Sauberkeit ist bürgerlich, nicht intellektuell. Was natürlich nicht heißt, daß jeder Schlamper intellektuell ist. Wie so oft, ist ein Umkehrschluss nicht zulässig. So wie bei jenen querulanten Zöglingen, die anstatt Maßregelung erfahren, stante pede zum Hochbegabtentest geschleppt werden, in, natürlich völlig zu Unrecht, hoffnungsvoller Erwartung seiner Erzeuger, ein unterfordertes Genie hervorgebracht zu haben. Das Gegenteil ist jedoch allzu oft der Fall. Und unter Spa – Erlebnis verstehe ich nicht das Klopapier einer belgischen Autobahn-Raststätte.