Kunst, Sport und Skandal

U.S. artist Jeff Koons stands in front of the stainless steel sculpture Balloon Dog during the presentation of

Der Kunstkritiker Hanno Rauterberg spricht im Zusammenhang mit dem Erwerb von Kunst von einer «Sozialdividende»: Wer Geld für Kunst ausgibt, kann sich nachsagen lassen, er habe etwas für die Bildung und ganz allgemein für die Menschlichkeit getan. Der Konsum von Kunst, meine Damen und Herren, hat nichts Anstössiges wie der Konsum von Pelzmänteln oder Diamanten. Ergänzen möchte ich eine weitere Form der Kunstrendite, die ich «Reputationsdividende» nenne: Der Tabubruch des Künstlers wird zum Ausweis der ideologischen oder geschmacklichen Offenheit des Sammlers. Dieser muss die Grenzen selbst nicht übertreten, sondern kauft sich die Verwegenheit des Künstlers ein.

Dies ist nun kein neuer Mechanismus: Mit Kunst konnten ihre Käufer schon immer demonstrieren, woran sie glauben, wovon sie träumen und wie sie sich sehen. Nur dass eben die Kunst heute oft gar nicht mehr so verwegen ist. Dabei verhält es sich durchaus nicht so, dass es in der spätmodernen Mediengesellschaft schwieriger wäre, einen Skandal zu produzieren. Zwar löst vieles, was einst empörte, heute oft nur noch ein Achselzucken aus. Doch gleichzeitig entstehen neue Tabus – etwa um die Themen Abtreibung, Religion, Integration – Tabus, die anscheinend niemand zu durchbrechen wagt. Auch die Kunst traut sich nicht, traut sich heute weniger als früher. Der Tabubruch per se hat seinen emanzipatorischen Gestus verloren, er kommt heute oft von der falschen Seite, aus der falschen Ecke, der üblen Gegend. Falls die spätmoderne Kunst überhaupt Tabus berührt, dann meist lediglich klischeehaft und politisch korrekt, zum Beispiel in der Form der Performance des Regietheaters; also in einer Form, die Gewissensreflexe des Gutmenschentums darstellbar und kommensurabel macht und so zugleich als versicherndes Gemeinschaftserlebnis Kunst als Teil einer Erlebnisökonomie etabliert.

Solche Performancekunst wiederum ist keine Kunst, sondern Aktionismus, Selbstdarstellung, Selbstversicherung. Inklusive der ritualisierten Diskussion jenseits der Bühne, bei der jede Drohung etwa durch ein aufgebrachtes Online-Prekariat die Performance-Verantwortlichen für das 3sat-Publikum genauso adelt wie ein hoher Auktionspreis das flacheste Machwerk für den Kunst-Investor. Im Begriff der Performance treffen sich ja überhaupt Börse und Kunst. Die Kunst ist selbst börsentauglich geworden, Kunstfonds werden aufgelegt, und jeder kann daran Anteile erwerben. Arbeitsteilige Grossateliers wie die von Jeff Koons oder Damien Hirst arbeiten indessen nach geradezu industriellen Standards. Die kurz bevorstehende Herausgabe einer Jeff-Koons-Billiglinie unter dem Kürzel «JK» würde mich nicht überraschen. Und am anderen Ende des Marktes trägt auch das sogenannte Crowdfunding zur Kunstfinanzierung selbst Züge einer Performance.

Der spätmoderne Kunstmarkt braucht das Skandalöse nicht. Werke, die nicht gesammelt, sondern nach kurzer Zeit weiterverkauft werden, brauchen gar keinen Tiefenraum für die Narration und Fiktionalisierung, sei sie nun skandalös oder nicht. Es genügt, wenn solche Werke als Spiegelfläche für die Mechanismen des Geldgenerierens funktionieren. Auf dem hyperirritierten Markt für Kunst sind dann deren Preise oft noch das einzige Skandalon. In dieser skandalösen Rolle des Geldes zeigt sich übrigens, wie ich hinzufügen möchte, eine interessante Parallele des Kunstmarktes zur Sphäre des kommerzialisierten Spitzensports, wo Spieler wie unerschwinglich teure Waren gekauft und verkauft werden; Spieler, deren Wert, genau wie oft bei spätmoderner Kunst, mit ihrem Preis identisch ist. Auch in der extremen Ungleichheit der Einkommen zwischen der obersten Liga und allen anderen gleichen sich Sport und Kunst – sowie in der Rolle und Bedeutung des Geldes überhaupt. Denn auf beiden Märkten handelt es sich um Geld, das in keinem Verhältnis zu einem Gebrauchswert steht und in seiner Akkumulation Dimensionen erreicht, die es in eine pure Abstraktion verwandeln. Geld selbst wird zur Kunst, zum Schauspiel, zum Spektakel und zeigt quasi seine narzisstische Seite: Hier bahnen sich interessante Parallelen von Kunstmarkt, Spitzensport und Finanzkrise an.

Bild oben: Kommt bald die Billiglinie «JK»? Jeff Koons vor der Stahlskulptur «Balloon Dog». Foto: Vincent West (Reuters)

4 Kommentare zu «Kunst, Sport und Skandal»

  • Eos sagt:

    Nach Harald Seubert (2015) sei die Ästhetik der Performanz aufgrund der Annäherung von Kunst an Leben berechtigt: der erfüllte Augenblick werde mit der ästhetischen Eigenmacht identisch. Performanz sei ein Moment der Unverfügbarkeit, wohingegen ein Werk mit Akribie geplant werden könne. Man sollte Event oder Inszenierung nicht gegen die Werkästhetik ausspielen: erst in der Komplementarität beider Komplexe könnten die Facetten des Ästhetischen ermessen werden. — Letzteres ist kein Schluss; das mit der Unverfügbarkeit stimmt so nicht; die ästhetische Eigenmacht ist performativ keine Kunst.

  • Kristina sagt:

    Gut gebrüllt, Löwe. Vielleicht ein bisschen viel Worte um so einen Lipstick-Index.

  • Anh Toàn sagt:

    „Spieler, deren Wert, genau wie oft bei spätmoderner Kunst, mit ihrem Preis identisch ist.“

    Geld wird von den Ökonomen eine Funktion als Wertmassstab zugeschrieben. Dann ist aber Wert identisch mit Preis. Wie misst man Wert wenn nicht mit dem Preis? Ist der Wert in den Dingen drin? Was hat denn so ein Leiterwagen von Beuys für einen Wert? Wie kommt der Wert in die Dinge? Ist Wert in Gold, und wenn ja wie viel davon? Wie kam der Wert ins Öl? Früher wollten die einen Brunnen in der Wüste bohren, da kam Öl, das fanden die wertlos. Wie kam der Wert ins Öl? Was ist Wert, wenn nicht Preis?

  • LiFe sagt:

    Mit Kunst Geld verdienen und Unternehmen bewegen wäre schon schön. Welche Chancen hat man heute? Was nützen Ideen und Innovationen, wenn sie in Schubladen verstauben? Na ja, so schlimm kann es auch nicht sein, denn Ideen sind die einzigen Werte, die der Mensch am Ende seines Lebens mitnehmen kann! Besonders, wenn er sich ausgebremst fühlt.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.