Worauf es sich zu warten lohnt

Blog Mag DiCaprio

Nun ist es also passiert, meine Damen und Herren: Leonardo DiCaprio hat den Oscar bekommen. Nach sechs Nominierungen und jahrelangem Warten. Doch Warten kann ja auch etwas Kathartisches haben, etwas Besinnliches; der Vorgang des Wartens ist nicht nur, wie unsere beschleunigte Spätmoderne ihn vorzugsweise sieht, eine Übung in Hilflosigkeit und Ohnmacht und Ergebung und Kontrollverlust. Warten ist vielmehr oft das Zeichen einer Kultur der Übergänge, der Hoffnung und der Vorfreude. Ein Exerzitium in Demut. Das ist charakterbildend. Sofern man nicht einfach nur aufs Tram wartet. Hier sind fünf Phänomene, auf die es sich zu warten lohnt:

  1. Dinge

    Die Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub fördert nicht nur die Selbstdisziplin. Sondern auch den Status. Denn heutzutage, wo Geld fast alles kaufen kann (bis auf einen Oscar, natürlich), zeichnet der Umstand, dass man auf eine Sache warten muss, das wahre Statussymbol aus. Zum Beispiel Handtaschen, Armbanduhren, Elektroautos. Oder die neue Nase. Oder diesen Weltraumflug, für den Leo DiCaprio bei Virgin Galactic auf der Warteliste steht. Dafür würde ich persönlich jetzt nicht unbedingt eine Viertelmillion Dollar ausgeben. Da warte ich lieber auf Karten für Bayreuth oder einen Anlegeplatz in Monte Carlo.

  2. Regeln

    Auch auf gänzlich immaterielle Dinge lohnt sich das Warten. Zum Beispiel auf die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in unserer schönen Schweiz. Ein scheuer erster Schritt in diese Richtung wurde Anfang der Woche vom Nationalrat bereits unternommen.

  3. Mode

    Wer über ausreichend Geduld (und Garderobenplatz) verfügt, kann auf die Rückkehr von Moden warten. Mode ist ein Allgemeinbegriff für einen Komplex zeitweise gültiger Kulturformen. Es liegt im Wesen der Mode, dass sie sich wiederholt. Nicht dass sich das Warten darauf nun jedes mal lohnen würde, wie zum Beispiel bei diesem Oversized Look, den wir gerade an Rihanna gesehen haben, die sich zum Abendessen in Manhattan in ein altes Star-Wars-Plakat wickelte. Aber passieren wird es sowieso. Heben Sie also dieses neonfarbene Stirnband auf. Und warten Sie.

  4. Kultur

    Season 9 von «Curb Your Enthusiasm». Darauf warten wir. Egal wie lange es dauert. Ebenso auf das zweite Album der Avalanches.

  5. Ideen

    Hier gilt jenes Diktum, das fälschlicherweise Viktor Hugo zugeschrieben wird, aber trotzdem richtig ist: «Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.» Das impliziert unter Umständen Warten, heisst aber durchaus nicht, dass man Ideen nicht befördern sollte. In die Diskussion, ins Gesetz oder in den Abfall. Wie wir am letzten Abstimmungssonntag so eindrucksvoll gesehen haben.

Im Bild oben: Leonardo DiCaprio hat nach jahrelangem Warten den Oscar bekommen. (AFP/Robyn Beck)

4 Kommentare zu «Worauf es sich zu warten lohnt»

  • Kristina sagt:

    Also ich kann jetzt so lange nachdenken, bis ich die selben Stirnrunzeln habe wie der nette Leo, aber es fällt mir wirklich rein gar nichts ein worauf es sich zu warten lohnt.

  • Eos sagt:

    An das Warten gewöhnt man sich, selbst auf Unheilvolles. Dafür sorgt der Zahn der Zeit oder die Ataraxie. Es gibt aber auch den Zeittrick: Schon lange warten die Christen auf die Wiederkehr des Messias und das Jüngste Gericht oder «Jüngstekuschelgericht» (Peter Schneider in der heutigen SonntagsZeitung). Damit zielt dieser auf jene, für die genau diese Kuschelgerichte nach der vögtischen Selbstbestimmungsinitiative wieder gut genug sind, unter Nachgang des Völkerrechts zu urteilen. Ich ziele damit auf die «imaginäre Teleologie» (Nietzsche, Der Antichrist, № 15) der Christen.

  • Thomas Baumann sagt:

    Warten ist in Ordnung, solange man nicht hofft, dass die Zeit bis zum Eintritt des erwünschten Ereignisses möglichst schnell vorübergeht. Denn das wäre gleichbedeutend damit, auf ein möglichst rasches Ableben zu hoffen.

  • LiFe sagt:

    Einer ging lieber Klarinette spielen, als den Oscar zu empfangen. Ja, da hat das Publikum gewartet! Fand ich grandios.

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