Zwingli, entschleunigt

Die Zuercher Strassenbahnen

Kürzlich wurde es gemeldet, meine Damen und Herren: Die Zürcher Trams sollen schneller werden; ihre aktuelle Durchschnittsgeschwindigkeit von gut 15 Stundenkilometern wird für eine spätmoderne Metropole nicht als ausreichend betrachtet. Und zwar zu Recht. Es ist in der Tat ein bisschen deprimierend, wenn man in Zürich im Tram sitzt und gelegentlich von Fussgängern überholt wird. Mit Rollator. – Die Trams sind aber auch so ziemlich das Einzige, was in Zürich schneller werden muss; ihrem internationalen Image (und besonders ihrem Image bei unseren deutschen Nachbarn) zum Trotz ist das Lebenstempo in unserer schönen Limmatstadt hoch, sehr hoch, viel höher als zum Beispiel in Berlin oder Los Angeles. Dies nicht zuletzt dank des zwinglianischen Repressionsdrucks und einer spätmodernen protestantischen Arbeitsethik. In der Tat könnten wir also hie und da vielleicht sogar ein wenig Entschleunigung gebrauchen, Entspannung, Ausdehnung der Zeit. Zum Beispiel:

 

 

  1. Parkbussen

    Dringend zu entschleunigen ist der Prozess der Parkbussenverteilung: Come on, es ist ein Spiel. Man muss dem ordinären Falschparker, der niemanden gefährdet, schon etwas Zeit lassen, bevor man ihm eine Busse unter den Wischer klatscht. Eine Chance muss man haben, das gehört zur Lebensqualität.

  2. Stadterneuerung

    Der Prozess des ständigen Umbaus ist zu entschleunigen. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt hat die Stadt Zürich ungefähr 387 Baustellen, von denen so ungefähr die Hälfte erst mal nur aus weiträumigen Absperrungen besteht, gerne auf Parkflächen (siehe Punkt 1).

  3. Anstehen

    Dringend zu entschleunigen, und zwar im Sinne der Ersetzung des Wettbewerbs um Schalterpositionen durch ein Wartenummersystem, ist das Anstehverfahren in der Apotheke des Zürcher Hauptbahnhofs. Besonders samstagnachmittags um halb sechs.

  4. Lunch

    Es ist wunderbar, für drei Stunden in der Kronenhalle bei Leberknödelsuppe und Wiener Schnitzel zu sitzen anlässlich eines Mittagessens, das frühestens um eins überhaupt beginnt. Geradezu meditativ ist das. Corporate Switzerland sollte dringend die Lunchpausen entschleunigen. Muss ja nicht die Kronenhalle sein.

  5. Einkaufen

    Dringend zu verlangsamen ist ausserdem die Zarafizierung der unteren Bahnhofstrasse. Sofern irgend möglich.

Bild oben: Im Schritttempo durch die Innenstadt. Foto: Ennio Leanza (Keystone)

8 Kommentare zu «Zwingli, entschleunigt»

  • Patrick sagt:

    Meine Erfahrung ist, dass die stressenden Zeitgenossen vor allem von ausserhalb kommen. Vielleicht haben sie Angst, mit „linken StädterInnen“ ins Gespräch zu kommen oder dass sie überfallen werden könnten. Nun ja, es ist ihr Herz und Immunsystem.

  • Martin sagt:

    Zur Entschleunigung Zürichs schlage ich vor, einfach die verkrampfte und künstliche Be-schleunigung wieder rückgängig zu machen, von der man wohl meinte, sie gehöre zu einer Metropole, die Zürich nicht ist und nicht wird. Nix da zwinglianischer Repressionsdruck oder protestantische Arbeitsethik. Ihre deutschen Nachbarn lachen nicht über die Langsamkeit. Allenfalls lacht man in Berlin darüber, daß Zürich sich ständig damit vergleicht (falls man es überhaupt mitbekommt), wirkliche Metropolen haben das nicht nötig. Zürich ist, wie es nunmal ist, aber seine „Metropöleli“-Komplexe sind peinlich.

  • Eos sagt:

    Zwingli ist ein Name, der wunderbar zu Zürich passt, ebenso der Vorname Huldrych (Ulrich), welcher „reich an Erbgut“ bedeutet.

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