Sirenen und Desaster

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Unsere spätmoderne Gesellschaft hat die Eigenschaft, auch ihre Rückschritte marktschreierisch anzupreisen, meine Damen und Herren, und deshalb klingen heutzutage oft bereits die Diagnosen von Problemen gerne wie ihre Lösungen, zum Beispiel bei diesem Ding von Swisscom, das bei uns zu Hause das Glasfaserkabeldingens verwaltet und unter dieser Last gelegentlich zusammenbricht, allerdings nicht ohne besagten Zusammenbruch füglich zu melden, zusammen mit diversen erholenden Aktivitäten, die zeitgleich eingeleitet werden, siehe oben. Man versteht nicht viel, aber irgendwas scheint gemacht zu werden.

Apropos Desaster: Neulich war ja wieder landesweiter Sirenenprobealarm, wie er immer am ersten Mittwochnachmittag im Februar stattfindet, was ich selbstverständlich nie mitkriege, ich weiss einfach nach jahrelanger Konditionierung so düster im Halbbewusstsein, dass es sich, wenn am späten Mittag die Sirenen heulen, hochwahrscheinlich um einen Probealarm handelt. (Was natürlich die Frage nahelegt: Was ist, wenn genau dann wirklich was passiert? Am ersten Mittwoch im Februar?)

Laut offizieller Verlautbarung wird bei jenem Probealarm die Funktionsbereitschaft nicht nur der Sirenen des «Allgemeinen Alarms», sondern auch jener des «Wasseralarms» getestet. Was mir auffiel, war, wie sich heuer mit kurzer Verzögerung ein neuer Sirenenklang über den alten legte, ein fürchterlicher Laut, wie der Schrei eines Fieberträumenden im Delirium, eines Wahnsinnigen …

«Bist du sicher?», fragte Richie, der beste Ehemann von allen, als ich ihm davon berichtete. «Bist du sicher, dass das eine Sirene war – und nicht ich?»

So viel dazu. Und meine aktuelle Twitter-Empfehlung lautet immer noch: #PostATrumpSelfie

4 Kommentare zu «Sirenen und Desaster»

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    folgendes. die sirenen aus der griechischen mythologie waren (weibliche) fabelwesen, welche – mit betörenden gesängen – die schiffe an die küsten lockten um die mannschaft umzubringen.
    „betörend“. damit erreicht man aber kaum, dass sich die leute heutzutage in die schutzräume begeben. im gegensatz zur mythologie weiss man heute dass die sirenen auf schreckliche ereignisse hinweisen. ich würde mich ja auch wundern, falls zur untermalung des neuesten horro-slashers beethovens fünfte laufen würde. nicht?

  • Ulrich Schweizer sagt:

    Ich höre eine Sirene. Ich höre weiter entfernte Sirenen. Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass es 13.30 ist. Es ist Mittwoch, also ist es ein Probelalarm. Fertig.

  • Eos sagt:

    Kürzlich (in der Sekundärliteratur) gelesen: Nach Horkheimer und Adorno ist es unmöglich, den Gesang der Sirenen zu hören, ohne diesem zu verfallen. Seit der List des Odysseus „sind alle Lieder erkrankt“, und die Musik genauso wie die Dichtung verdanken sich dem „Widersinn von Gesang in der Zivilisation“, der zugleich ihre bewegende Kraft ist. – Wenn die zwei hier „zugleich“ schreiben, kommt einem das vor, als ob Žižek den Begriff „umgekehrt“ gebraucht, und schon kräuseln sich die Zehennägel der Logik – von der Vernunft gar nicht zu sprechen.

  • Hofstetter Christian sagt:

    Das Schreckliche ist, dass man beim supponierten Schrecklichen aus den Träumen gerissen wird und dass beim Allerschrecklichsten keiner mehr hinhört. Weniger wäre immer mehr. Aber sage das mal einer ganzen Gesellschaft. Kaum einer, der nicht sagen würde, schrecklicher kann es nicht kommen.

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