Rettet die Schweiz!

Heute ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, meine Damen und Herren. Zu den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gehörten, lange totgeschwiegen, auch homosexuelle Menschen. Heute leben wir in einer Zeit, in der die Homo-Emanzipation in der westlichen Welt grosse Fortschritte gemacht hat: So viele Länder wie nie führten 2015 die Homo-Ehe ein, sie gilt nun unter anderem auch in den USA, Luxemburg, Irland und Mexiko. Gerade sind in Italien Zehntausende für die Homo-Ehe auf die Strasse gegangen. Und bei uns? Wie ist es um die Rechte homosexueller Menschen heute in der Schweiz bestellt, in unserem schönen Lande, das zu Recht stolz sein kann auf seine Geschichte des Liberalismus, der dafür verantwortlich ist, dass hierlands die säkulare aufgeklärte Volksherrschaft zu ihrer weltweit schönsten Ausprägung gefunden hat? Wie ist die Lage?
Wer sich mit dieser Frage auseinandersetzt, kommt nicht umhin, sich mit der CVP-Initiative zu befassen, die unter dem irreführenden Titel «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» am 28. Februar zur Abstimmung gelangt. Die Initiative will angeblich die Benachteiligung von Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren bei der direkten Bundessteuer aufheben. Und so ganz nebenbei eine überflüssige, rückständige, diskriminierende, religiös fundamentierte Ehedefinition in unsere schöne, freiheitliche Bundesverfassung schmuggeln, eine Festschreibung der Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Also eine Legaldefinition des Instituts «Ehe» ungefähr von jener Qualität, wie sie in den USA unlängst vom Obersten Gerichtshof als verfassungs- und menschenrechtswidrig entsorgt wurde. Eine Definition, die dem Gesetzgeber ohne Verfassungsänderung keine Möglichkeit lässt, die Eheschliessung auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu ermöglichen.
Parlament und Bundesrat empfehlen deshalb die Ablehnung der Initiative. Ebenso dagegen sind FDP, SP, Grünliberale und Grüne. Und auch im Volke regt sich Widerstand. Es ist erfreulich zu sehen, wie in unseren Zeiten des vermeintlichen Selfie-Narzissmus und Politik-Abstands mal wieder Menschen parteiübergreifend für ein emanzipatorisches Anliegen auf die Strassen und in die Städte gehen – wie letzte Woche in Zürich das Bündnis «Gemeinsam weiter».
Dessen Argument der «Steuergeschenke für wenige» ist freilich kein Grund gegen die Initiative. Es ist wurscht, ob die Heiratsstrafe heute «nur noch» rund 80’000 «gut verdienende» Paare betrifft; sie ist eine Ungleichbehandlung und als solche abzuschaffen. Und aus ebendiesem Grunde der Diskriminierung ist eben allerdings auch die CVP-Initiative strikt abzulehnen (wie das Bündnis ebenfalls darlegt): Die CVP-Initiative verletzt auf krasse Weise die Einheit der Materie. Hier werden Sachen miteinander verbunden, die nichts miteinander zu tun haben: die Heiratsstrafe und die Öffnung der Ehe. Die Initiative betreibt Etikettenschwindel; sie will dem Schweizer Stimmvolk verunmöglichen, getrennt darüber abzustimmen, ob die Heiratsstrafe abgeschafft und die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll.
Die Homo-Ehe nimmt niemandem was weg. Es geht nicht um Privilegierung, sondern um Gleichberechtigung. Und jetzt will die 12-Prozent-Partei CVP aus religiösen Gründen ein faktisches Verbot der Homo-Ehe in der Schweiz erschleichen. Das hat Westeuropa noch nicht gesehen. Religion hat in der Verfassung eines aufgeklärten, säkularen Staates wie der Schweiz nichts zu suchen.
Die perfide Strategie der CVP, über die Hintertür ein überkommenes Familienbild in der Verfassung verankern zu wollen, passt zur Doppelgesichtigkeit dieser Partei, die sich gesellschaftlich gern progressiv gibt und ihr Banner auf Gay-Pride-Paraden hochhält, nur um dann hinter dieser Larve eben ab und zu eine Art Rechtskatholizismus Churer Prägung hervorlugen zu lassen. Es ist diese strategisch platzierte, bloss gelegentlich aufblitzende Homophobie von der Machart eines Christophe Darbellay, die ein Klima bereitet, ein Klima, das den gesellschaftlichen Fortschritt behindert und vor dessen Hintergrund Extremisten wie Bischof Huonder überhaupt den Mund aufmachen. Apropos: Noch ein Wort zum Scheinargument, dass aus der Homo-Ehe keine Kinder hervorgingen: Die Ehe wird vom Gesetzgeber korrekterweise nicht als Reproduktionsgemeinschaft definiert. Sonst müssten ja kinderlose Ehepaare sanktioniert werden. Nein, die Ehe wird als Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft staatlich gefördert. Das ist auch richtig so. Und Nachwuchs ist als solcher separat zu fördern. In welcher Konstellation auch immer er auftritt und grossgezogen wird. Es ist alles so einfach, nicht wahr?
Bild oben: Amy DeGiulio dekoriert in ihrem Sugar Flower Cake Shop in New York eine Hochzeitstorte für ein homosexuelles Paar. Foto: Mary Altaffer (AP)
39 Kommentare zu «Rettet die Schweiz!»
Ich bin selber nicht gegen die Homo-Ehe.Kann aber religiöse Menschen verstehen, wenn sie sich dagegen aussprechen aus religiösen Gründen. Ich toleriere deren Meinung, wie ich auch die Meinung toleriere, dass es Homo-Ehen geben soll. Elton John hat früher heuchelnd einen auf, warum braucht es eine Ehe, wenn man mit der eingetragenen Partnerschaft diesselben Standards anstreben kann gemacht. Er schien sich bewusst, dass die Gläubigen die Institution Ehe, inspiriert durch Glauben, in Form des napoleonischen Code Civil, als deren Ding sahen. Nun ja der Verlogene hat nun sein wahres Gesicht gezeigt
Die Trauung in der Kirche interessiert keinen. Es geht hier um die Staatliche Eheschliessung beim Standesamt – die nichts mit Religion zu tun hat.
Das mit den Homo-Ehen tut mir leid, aber ich werde trotzdem JA stimmen. Warum? Weil einem die eigene Haut einem am nächsten ist 🙂
Meine Frau und ich bezahlen seit Jahrzehnte illegal erhöhte Steuern, denn gemäss Verfassung sollten wir ja steuerlich gleichgestellt sein. Nur, leider, müssen in der Schweiz die gesetze nur vom Fussvolk eingehalten werden. Politiker, Bundesverwaltung und Richter stehen über dem Gesetzt. Ergo, haben wir durch diese Initiative die Möglichkeit unser Recht zu Erlangen. Die Homos müssen halt dann separat für ihre Rechte kämpfen und ich werde sie dabei unterstützen.
Dann ist der werte Herr also Doppelverdiener mut seiner Frau und gehört zu den besser betuchten Paaren…
Bei Steuerausfällen, welche dann unser Staat wieder begleichen will dankt Ihnen dann jeder Ledige hier auch wieder…
Stimme deshalb schon Nein…
Und auch bei einem Nein von Ihrer Seite wäre im Nachhinein auch ein Ja, da die Kantone bereits daran arbeiten die „Strafe“ auszugleichen…
Was vom Zeitraum her weniger in Anspruch nehmen würde als eine neue Initiative zu starten die Ehe neu auch für gleichgeschlechtliche zu öffnen…
Aber von den Reichen lernt man sparen;)
Da ist aber eben die Krux dieser Initiative. Sie gibt vor, etwas zu wollen, das alle wollen. Und will eigentlich nebenbei zwei ganz andere Dinge.
1984 hat das Bundesgericht entschieden, dass schon in der damaligen Verfassung die Heiratsstrafe illegal ist. Nehmen wir die Initiative an, so steht das dann nochmals drin, einfach explizit. Die Situation für die betroffenen Paare wird deswegen nicht illegaler, als sie es heute schon ist.
Nur verbauen wir mit dem 2. Satz („Sie bildet in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft.“) auch noch grad die saubere Lösung: Die…
aber ja, es geht nicht immer nur um die homos. manchmal nervt das schon etwas. ich meine als frau bin ich diskriminiert. wir als hetero paar sind von der heiratsstrafe diskriminiert. ich mag die homo-kultur und habe viele homo freunde. aber ehrlich, manchmal wünschte ich mir etwas mehr sicherheit und etwas weniger geschreische von den homo männer. diese heulsusen nummer vom obigen text finde ich unpassend, auch wenn nett gemeint. ich werde zu meiner eigenen Diskriminierung für euch NEIN stimmen. aber bitte denkt daran… ich als FRAU erwarte auch Gleichstellung von EUCH homo männer!
Liebe Frau Jaller – hätten Sie den Text genau gelesen, dann hätten Sie bemerkt, dass Homosexuelle Menschen gemeint sind, also Lesben und Schwule. Es geht nicht um schwule Heulsusen, wie Sie es nennen sondern um ein Unrecht, das die CVP in die Verfassung verankern will… mann und frau können darüber nicht genug laut schreien.
nicht sehr weit gedacht, aber kurze Aufklärung. Homosexuell bezeichnet die Liebe oder die sexuelle Beziehung gleichgeschlechtlicher Menschen. Also von Frauen (Lesben) und Männern (Schwule), also nicht von Homo-Männern!
Sie sollten besser genervt sein, dass sich wir verheirateten Heteros uns nicht besser für uns selber einsetzen, als dafür, dass Herr Tingler als Homosexueller halt für sich selber einsteht.. Wäre für alle besser. Aber schön stimmen Sie nein – werde ich auch so machen.
Homosexuell = Mann? Ehrlich??
Hmm, bisher wollte ich die Initiative eigentlich ablehnen weil eben nur einige gutverdienende DINKS (Double Income no kids) davon profitieren. Mit familienfreundlich hat sie leider wenig zu tun. Mit Ihrer Interpretation/Argumentation haben sie mir aber doch einen Grund gegeben sie anzunehmen.
Ich werde Nein stimmen:
1. Aus staatsrechtlicher Sicht haben solche Legaldefinitionen in der Verfassung nichts zu suchen. Sie sind Sache des Gesetzgebers.
2. Ich bejahe das Eherecht für Homosexuelle, da ich keinen aufgeklärten Grund dagegen sehe.
3. Die seit langem hängige Beseitigung der Heiratsstrafe wird der Bundesrat dann bald an die Hand nehmen. Er will bloss das Ergebnis der Initiative abwarten.
4. Bei Annahme der Initiative wird auch die Individualbesteuerung verhindert, die durchaus als eine moderne Ausprägung der Gleichbehandlung betrachtet werden kann.