Fahren und fahren lassen

Wir stehen an der Schwelle einer neuen Ära, meine Damen und Herren: der des selbstfahrenden Autos. Und, machen wir uns nichts vor: ein selbstfahrendes Auto ist ein kinetischer Roboter. Das klingt vielleicht ein wenig Furcht einflössend – aber dahin geht die Reise. In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Automobilkonzerne ist Robotik das Buzzword, in aller Munde, an der Schnittstelle von Umwelt, Gesellschaft und Technik. Seit jeher ist Mobilität auch Kommunikation. Aber in Zukunft wird das ganz anders aussehen: Der mobile Mensch wird weniger mit statischen Zeichensystemen (den guten alten Verkehrszeichen) kommunizieren und viel mehr mit mobilen Robotern, den neuen Autos. Wir müssen also lernen, Maschinen zu vertrauen.
Natürlich tun wir das schon heute. Wir fahren ja längst teilautonom, wenn wir uns ins Auto setzen. Bereits heute steuert eine komplexe Algorithmik über diverse Assistenzsysteme das spätmoderne Automobil. In Zukunft soll das nur noch perfekter werden: Die Systeme überwachen dann selbst ihre Funktionsgrenzen, eine begrenzte Nebentätigkeit des Fahrers wird denkbar. Man kann Zeitung lesen oder Filme sehen oder Power-Point-Folien durchschauen, während das Auto von allein durch den Stau manövriert. Klingt super. Oder haben wir was zu verlieren? Das autonome Auto ist Teil einer neuen Dingwelt, ein Aspekt dessen, was man «digitale Lebensführung» nennen könnte, worunter man die zunehmende Dominanz des elektronischen Informationsaustausches im Alltag des Einzelnen verstehen kann. Was aber heisst das konkret? Aus kulturanthropologischer Sicht gefragt: Wie und inwiefern inspiriert diese digitale Lebensführung ein neues Selbstbild des Individuums – und auch eine Änderung in den Valenzen seiner Beziehungen zur Welt?
Ist das «Gefühl» fürs Auto eine eigene, spezifisch menschliche Qualität, die kein Algorithmus ersetzen kann? Der Philosoph Günther Anders konstatierte eine «prometheische Scham» des Menschen vor der Überlegenheit der von uns selbst geschaffenen Apparate. Und irgendwann wirds dann komisch: Das ist jener Effekt, den wir schon aus Charlie Chaplins «Modern Times» kennen, jene zeitlose Pointe, die immer potenziell im Raume steht, wenn der Mensch, dies imperfekte Wesen, einer Maschine gegenübersteht, die er selbst geschaffen hat und die so perfekt geriet, dass man sie kaum mehr bedienen kann.
Beim Entwurf einer wünschenswerten mobilen Zukunft muss man sich eben auch die Frage stellen: Was heisst es für unser Fahrerlebnis, wenn Computeralgorithmen statt unser die Urteile fällen? Dem Verzicht auf Autonomie wohnt schliesslich auch immer etwas Entfremdendes inne. Man kann die Frage auch simpler stellen: Was wird aus dem Spass? Der ganzen Freude am Autofahren: Tempo und sich verfahren, echte Menschen nach dem Weg fragen, sich wieder verfahren, Verfolgungsjagden, Parkplatztriumphe. Kurz: Was wird aus der Freiheit? Dem Versuchen? Der Versuchung? Statt des softwaregestützten Abarbeitens exakter Routinen.
Ja, möglicherweise fahren selbst ganz primitive Computeralgorithmen besser als ich. Denn ich fahre bisweilen wie eine Zahnarztehefrau aus Kilchberg am Zürichsee. No offence. Doch ich fahre mit Freude, und ich darf für mich reklamieren, so eine Art Gefühl für das Auto zu haben. Viel kann schiefgehen, wenn man das Gefühl fürs Auto verliert. Was nicht heissen soll, dass ein Fahren mit autonomen Anteilen per se von Übel sein muss. Wer die ambivalenten Fortschritte der digitalen Welt würdigt, wie ich dies hier ansatzweise und in aller Kürze getan habe, muss darauf achten, nicht einer neurotischen Neigung der Spätmoderne im Verhältnis zu ihren technologischen Errungenschaften anheimzufallen, nämlich der Neigung, Technologie kategorisch den beiden Polen «gut» und «schlecht» zuzuordnen. Die Verteufelung des Digitalen ist keine Lösung. Seine Möglichkeiten sind nämlich nicht selten wundervoll. Nein, die Lösung liegt, wenn Sie mich fragen, vielmehr in einer Korrektur der Perspektive, also unserer Sicht auf die Dinge: Wir dürfen nicht mühsam errungene Freiheiten geringschätzen und aufgeben. Prioritäten zu setzen aus innerem Grund, auch wenn die Algorithmen dagegen zu sprechen scheinen – was für eine Erhabenheit der menschlichen Existenz liegt darinnen! Freude am Fahren entsteht durch Können, durch Erleben, manchmal durch pures Glück, aber niemals bloss durch Nullen und Einsen. Auch wenn sie uns bei der Parkplatzsuche helfen.
Die Testpersonen von Google hatten offensichtlich Spass mit dem autonomen Auto. Video: Google Self-Driving Car Project/Youtube
Bild oben: So stellten sich die Macher des Science-Fiction-Klassikers «Total Recall» (1990) selbstfahrende Autos vor – mit einem Steuerroboter, der aussieht wie ein Taxifahrer aus den 1950er-Jahren. (PD)
11 Kommentare zu «Fahren und fahren lassen»
Eine andere Frage ist, wie die Nichtselbstfahrer mit den Selbstfahrenden auskommen werden auf den Strassen. Und ja, es ist ein Symbol für einen Trend. Der Trend zum Verzicht auf Autonomie für mehr Sicherheit. Das Auto (Auto-nomie…?) fährt für mich, der Staat bestimmt für mich, die WHO sagt, was mir gut tut und die Firmen entscheiden, was ich mir wünsche, damit ich das kaufen kann. Und apropos, es wollen überhaupt alle mein Geld. Und die autonomen Jugendzentren? Will die keiner mehr? Und ich will einen Chauffeur! Einen echten. Einen, der ohne Widerrede macht, was ich will.
Die Lineardenker werden, wie so oft, unterliegen. Warten Sie’s ab, Gnädige.
Also auf der Autobahn finde ich den Fahrspass jetzt nicht sooo pricklend. Da wär mir Zielort-Eingabe in Zürich-Altstetten und Autopilot schon lieber als ständig nur darauf schauen, dass das Schächteli nicht vorne antütscht oder links oder rechts vom Asphaltband runterpurzelt. Was für eine Verschwendung von mentaler Leistung. Lieber echt Tagträumen als das.
Trifft zu. Und in 10 Jahren werden die Fahrsysteme deutlich besser als die besten Fahrer sein.
Das hat weniger mit Gefühlen und Freiheit zu tun. Es werden Kosten gespart. Ein selbstfahrendes Auto macht Taxifahrer, Busfahrer, Spitex, etc. überflüssig.