Die fünf besten Selbsttäuschungen

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Die kapitalistische Gesellschaft kann sich nur durch Steigerung reproduzieren, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, meine Damen und Herren; dies sei nachgerade das zugrundeliegende Konzept von Zeitlichkeit im kapitalistischen System. Spüren Sie es? Jedenfalls steigt das Tempo aktuell rapide, und mit ihm auch der Stresspegel: das grosse Fest der (kapitalistischen und nichtkapitalistischen) Christenheit rückt näher; die Deadline baut sich vor uns auf – und mit ihr der Erledigungsdruck. «Du sollst nicht lügen», so wird bekanntlich das achte Gebot paraphrasiert; aber streng nach Text ausgelegt, geht es dabei eigentlich nur um falsch Zeugnis wider den Nächsten; es ist mithin wenigstens in Laienkreisen durchaus unklar, ob darinnen auch enthalten sei: Du sollst dich nicht selber ein bisschen beschummeln, um besser durch die stressvolle Vorweihnachtszeit zu kommen. Und auch sonst durchs Leben. Es folgen nun, sowohl zur Anwendung wie zur Selbstkontrolle (was immer Sie dann mit den Ergebnissen anfangen), die fünf besten Rationalisierungen für Überkonsum, Überessen, Übertrinken, Über-Pillen-Schlucken, Über-alles. Nicht nur zur Weihnachtszeit.

  1. «Es ist ja nur einmal im Jahr.»

    (Damit lässt sich nahezu alles rechtfertigen.)

  2. «Das ist billiger als Therapie.»

    (Besonders geeignet für die Rechtfertigung von übermässigem Genussmittelkonsum.) Alternative: «Das ist gutes Fett.» / «Das ist vegan.» / «Das ist glutenfrei.»

  3. «Damit unterstütze ich den einheimischen Einzelhandel.»
  4. «Durch den Kauf helfe ich Menschen in Not.»
  5. «Sollte ich es dann doch nicht brauchen können, kann ich es immer noch verschenken.»

    Alternative: «Wenn ich die Anschaffungskosten durch die erwartete Nutzungsdauer in Monaten (oder, wenn das nicht reicht, in Tagen oder Stunden oder Minuten) dividiere, ist das eigentlich nicht teurer als eine Tasse Kaffee.»

Bild oben: Die drei weisen Affen machen es vor und verschliessen Augen, Mund und Ohren vor dem Schlechten. Foto: Japanexperterna.se, Flickr.com

4 Kommentare zu «Die fünf besten Selbsttäuschungen»

  • Kristina sagt:

    Sind die aus Sandstein oder Granit?

  • tststs sagt:

    „Das habe ich nicht gewusst.“ (Antwort auf sämtliche Hinweise, dieses Verhalten oder jenes Lebens-/Genussmittel sei schädlich.)
    Oder einfach ein „suscht“ in die Antwort einbauchen: Suscht bin ich auch mit dem Velo unterwegs! Suscht kaufe ich das Fleisch in der Metzgerei! Suscht spende ich mein Geld für arme Kinder!

  • tina sagt:

    hahaha nun fühle ich mich aber schwer ertappt 😀 volltreffer herr tingler, aber sowas von

  • Martin sagt:

    Das muss nicht nur an Weihnachten so sein! Oftmals hört man „das ist aber umweltfreundlich“ oder so was. An Weihnachten mag ich vor allem das Essen und den guten Wein. Da es sowieso gekocht wird, esse ich es, denn bis es in Afrika ist, ist es sowieso schon verdorben! (Kinder die etwas nicht essen wollen, bekommen oftmals zu hören: „Weisst Du, die in Afrika haben nicht so viel zu essen.“)

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