Spuk auf der Rollbahn

Letzte Woche haben wir an dieser Stelle über den Zauber des Fliegens gesprochen, meine Damen und Herren, jenes magische Vor- oder Rückwärtsspulen der Zeit, je nachdem, ob man die aufgehende Sonne überholt oder ihr mit 900 Stundenkilometern entgegenbraust.
Dieser ganze Zauber setzt natürlich voraus, dass man überhaupt an Bord kommt. Die grössten Mobilitätshindernisse für den spätmodernen Fluggast, egal welcher Beförderungsklasse, liegen bekanntlich vor dem Fingerdock, und unlängst habe ich am Flughafen Zürich erlebt, dass noch am Gate der Einsteigevorgang für eine Maschine unvermittelt abgebrochen wurde. Mit der Begründung, ein Flugbegleiter sei überraschend ausgefallen und es wären nur soundso viele Passagiere pro Flugbegleiter erlaubt (ab dem 20. Sitzplatz ist ein Flight-Attendant vorgeschrieben; danach ist ab jedem 50. Passagier ein weiterer Kabinenmitarbeiter einzusetzen). Die überzähligen Passagiere wurden nicht mehr auf den Flug gelassen, ihr Gepäck wieder ausgecheckt. Keine Ahnung, ob sie auch eventuelle Duty-free-Einkäufe wieder rückabwickeln mussten.
So kann der sogenannte menschliche Faktor auch in der verdinglichten Spätmoderne immer wieder das Tempo drosseln. Und dann gibt es, Spätmoderne hin oder her, quasi noch den übermenschlichen Faktor. Ja, genau. Wussten Sie, dass einige Flughäfen ihre eigenen Geister haben? London Heathrow beispielsweise soll gleich von mehreren Stammgespenstern besetzt sein: Richard Turpin, der berühmteste englische Kriminelle des 18. Jahrhunderts, wird dort angeblich regelmässig auf seinem legendären Rappen Black Bess reitend gesichtet (konnte aber Kollisionen bisher offenbar zum Glück vermeiden). Dann gibt es dem Vernehmen nach in Heathrow noch diesen Geist eines armen Mannes, der dort 1948 beim Absturz einer belgischen Maschine ums Leben kann und nun mitunter auf der Rollbahn herumgeistert auf der ewigen Suche nach seiner Aktentasche. Und, apropos Aktentasche: Berichten zufolge soll sich in erratischen Zeitabständen in Heathrows verschiedenen Airport-Lounges ein mysteriöser, lädiert und besorgt aussehender Geschäftsmann in einem grauen Anzug materialisieren. Dieses Gespenst soll aber harmlos sein. Wobei, in diesen Zeiten, in denen wir leben, ist das eventuell auch gar kein Geist.
Womit wir vom Aberglauben einen Bogen zu den trivialsoziologischen Fakten der Zivilluftfahrt schlagen: Ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, dass man, wenn man häufiger irgendwo auf der Welt an Flughäfen weilt, irgendwie ein Gespür für das heimatliche Publikum entwickelt? Für das Publikum, das wahrscheinlich auf derselben Maschine sitzt, meine ich, auf der Maschine nach Hause, in meinem Fall: Zürich. Von Arthur Schopenhauer, diesem talentierten Misanthropen, stammt der Satz: Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht. Ich würde das eher modifizieren in: Jede Nation erkennt sich selbst, und alle haben recht. Ich jedenfalls kann, egal ob auf dem Flughafen von Houston oder Hongkong, meine Schweizer Landsleute immer schon von weitem identifizieren, ohne dass ich sie sprechen hören würde. Ja, mehr noch, unlängst startete in Miami direkt neben dem Gate meiner Maschine nach Zürich ein Flugzeug nach Düsseldorf, und ich wusste immer schon vorher ziemlich genau, wer nach Düsseldorf gehörte und wer nach Zürich. Das hat etwas mit Habitus zu tun und mit Lautstärke und mit Aura, irgendwie. Oder sehe ich Gespenster?
Der Geist von Heathrow? Ein Flugzeug im Nebel. (Bild: Keystone)
3 Kommentare zu «Spuk auf der Rollbahn»
Oder begeistert.
Nope, Sie haben den Durchblick. Auch die korrekte Einteilung in „Hinflug“ und „Rückreise“ traue ich Ihnen zu 100% zu.
Nein, Herr Dr. Tingler, Sie sehen keine Gespenster. Sie sehen allenfalls den in der Tat trivialen Habitus vieler Schweizer, im Ausland so zu tun, als sei man etwas besseres, vornehmeres, leiseres und so weiter. Ich bin ganz sicher, daß sich am Düsseldorf-Gate keine Menschenseele dafür interessierte, wer am Zürich-Gate wartet und die Fürnehmheit der Passagiere registrierte, denn an ersterem warteten im Zweifel weit weniger Minderwertigkeitskomplex-Geschädigte. Darum hatten sie auch keinen Grund, die andere Gruppe argwöhnisch zu beäugen – es interessierte sie schlicht nicht. Altes CH-Problem.