Laute Nacht, schwierige Nacht

Weihnachten steht vor der Tür, meine Damen und Herren, überall rieseln bereits der Schnee oder Kunstschnee und sanfte Harfenklänge. Liebe und Mitmenschlichkeit feiern Urstände, und ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir löst das Paniken aus. Namentlich zwei. Erstens: Werde ich auch dieses Jahr wieder ein Paar selbstgestrickter Fäustlinge von Tante Doris bekommen? Zweitens: Was soll ich nur verschenken – nicht bloss an Tante Doris, sondern an alle konservativ geschätzten 347 Personen, denen ich ein Präsent schulde? Immerhin bin ich nach all den Jahren inzwischen so weit, dass ich weiss: keine Anziehsachen. Ich verschenke keine Anziehsachen. Grundsätzlich nicht. Denn Garderobe ist eine heikle Gabe (übrigens nicht nur zur Weihnacht). Deshalb haben sich die Heiligen Drei Könige damals auch für Gold, Weihrauch und Myrrhe entschieden – und nicht für ein neues Kleid für Maria. Gar nicht gering wäre nämlich das Risiko gewesen, dass Maria, wie die meisten Damen (und Herren) bei geschenkter Garderobe ihre hypothetische Idealgrösse bevorzugt hätte. Denn seit jeher neigt der Mensch dazu, folgende Ziffern zu beschönigen: seine Masse, sein Gewicht und sein Alter (und, let’s face it, wenn man das zusammenrechnet, landet man häufig im mittleren dreistelligen Bereich) – und auf die Desillusionierung durch ein Geschenk in Grösse 56 reagiert niemand vorteilhaft. Womit ich natürlich keinesfalls sagen will, dass Maria Grösse 56 getragen hätte. Ich werde mich hüten.
Damit hätten wir schon die erste Fussangel erwähnt. Und die nächste folgt sogleich. Sie lautet: Spass. Grundsätzlich hat wohl niemand was gegen Spass (ausser Martin Lohmann aus dem Mittelalter). Es ist bloss so: «Spass» ist ein gefährlicher Bestandteil der Garderobe (sofern man älter ist als acht). Denken Sie nur mal an die Leute, die sich lustig anziehen, zum Beispiel: Dodo Hug, Thomas Gottschalk, Claudia Roth. Möchte irgendjemand so aussehen? Nein. Niemand möchte das. Dennoch wird aus irgendwelchen Gründen gerade zum Heiligen Abend die christliche Welt von einem Tsunami lustiger und lauter Anziehsachen überrollt, Anziehsachen, die sich als Präsentideen für Einfaltslose anbieten wie eine alternde Hafenhure vor der frisch eingelaufenen Panzerfregatte: Pullover und Pudelmützen mit eingestrickten Schneesternen, Pochetten und Kniestrümpfe mit Tartan-Muster (weil das Menschen jenseits des schottischen Hochlands irgendwie weihnachtlich vorkommt), Socken und Polohemden in der Weihnachtstrikolore Rot-Grün-Weiss – das alles gehört zu diesem saisonalen Unrat. Ganz zu schweigen von den mannigfachen Missbrauchsmöglichkeiten, die Krawatten und Boxershorts, diese Klassiker des Verlegenheitsgeschenks, für die Aufbringung weihnachtlicher Motive bieten – von der klassischen Darstellung des Weihnachtsmannes als leutseliger, übergewichtiger Alkoholiker bis zum nicht weniger rotnasigen Rentier. Hier rate ich dringend: Hände weg. Wiewohl ich zugebe: Der Vorteil solcher Gaben besteht darin, dass der derart Beschenkte sie guten Gewissens nur einen einzigen Tag lang zu tragen braucht.
Es gehört zu den Leitsätzen dieses Magazins, dass Garderobe spricht. Selbstverständlich gilt dies nicht nur für Garderobe, die man trägt, sondern auch für die, die man verschenkt. Überlegen Sie sich also genau, welche Botschaften Sie mit verschenkten Kleidungsstücken austeilen. Ein politisch korrektes Dreierpack Unterhosen aus organischer Baumwolle, die im Rahmen einer Solidaritätskette vom Anbau bis zum Verbraucher umweltgerecht behandelt und vermittels schwermetallfreier Textilfarben in Farbtönen wie «Ultraviolet», «Dijon» oder «Galaxy» erscheinen, sagt durchaus nicht notwendigerweise: «Frohe Weihnachten!» Und auch nicht: «Der Geber-Schrägstrich-Empfänger dieses Dreierpacks Unterhosen ist ein guter Mensch.» Sondern ungefähr: «Nach meiner Auffassung bist du womöglich ein geistloses Modeopfer, was jeden Schnickschnack mitmacht.» Ein Ganzkörper-Anzug aus Faserpelz sagt nicht etwa: «Ich finde Trekking super und unterstütze dein Hobby durch dieses Präsent.» Sondern: «Der Empfänger dieses Präsents hat sich komplett vom Leben verabschiedet, was die ganze Welt weiss, ausser ihm selbst.» Oder, kurz: «Get a life.» Nicht zuletzt wegen dieses Problems unterschwelliger Botschaften halten einige Leute Accessoires für einfachere Geschenke, und besagte Leute liegen falsch. Was denn? Das klingt Ihnen zu negativ? OK. Dann will ich Ihnen jetzt noch, aus dem Schatz meiner Weihnachtsweisheit, die Ausnahme von der Grundsätzlich-keine-Anziehsachen-Maxime verraten. Wissen Sie, was immer geht? Schals. Wir haben ja alle gerade das augenfeindliche und sinnwidrige Kuriosum des sogenannten Sommerschals überstanden – aber jetzt kommt in der Tat die Jahreszeit für das anpassungsfähigste, grössenfreieste Kleidungsstück von allen! Der Schal lässt den Beschenkten nie, wie manche Mütze, simpel aussehen; er bietet Gelegenheit, auch mal Muster und Materialien auszuprobieren, die bei Cardigans deplatziert wirken würden, und er dient bei Bedarf als ein hübsches Transportmittel für ein Label, falls jemand darauf Wert legt. Und wenn Sie jetzt glauben, auch andere Accessoires wären so geschenktauglich wie der Schal und dabei vielleicht an einen Gürtel denken, möchte ich abschliessend die wichtigste Weihnachtsregel zitieren: No White Belts (NWB). Weisse Weihnacht: OK – weisse Gürtel: Never. Ever. Es ist mir egal, was Kanye West sagt. Oder trägt. He is a jackass. Have a jolly good season!
Saisonaler Unrat: Gerade zum Heiligen Abend wird die christliche Welt von einem Tsunami lustiger und lauter Anziehsachen überrollt. (Bild: Flickr, lisahumes)
17 Kommentare zu «Laute Nacht, schwierige Nacht»
Ach ja, falls es eine Rubrik „Kleinanzeigen“ beim Blog gibt : Nach Lesen der Kolumne hätte ich ein fast ungetragenes Pochette,handgerollt, mit Tartan- Muster günstig abzugegen………..