Die politischen Aasgeier lauern schon

Radikale Muslime führen Krieg gegen die Freiheit und alle Dinge, die das Leben schön und lebenswert machen. Europa muss sich wehren, aber ein solcher Krieg lässt sich nicht mit kriegerischen Mitteln gewinnen. Das müsste die Einsicht sein – stattdessen werden wir in den nächsten Tagen und Wochen altbekannte Dynamiken beobachten dürfen. Erst sind alle Paris. Und dann geht der Streit los.
Es begann schon am Samstag. In den sozialen Medien nutzen Einzelne die Anschläge sofort zur politischen Stimmungsmache, und bald wird der Streit auf lokaler, supranationaler und globaler Ebene folgen. Dass die Gewalt einmal mehr auf das Konto radikaler Muslime geht, schürt weiter das Misstrauen gegen diese Religion und verstärkt das «Wir gegen sie»-Gefühl. Wobei «sie» dann meistens leider nicht nur die Terroristen sind, sondern irgendwie alle, die nicht so sind wie wir. Daran sind aber auch muslimische Organisationen nicht ganz unschuldig. Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» wusste der Präsident der Vereinigung Islamischer Organisationen nichts Besseres zu sagen, als dass ihre Moscheen nun mal allen offenstünden. Und dass es schliesslich auch christliche oder jüdische Terroristen gebe. Nicht zuletzt schalten sich auch die Linken in die Diskussion ein und wettern gegen diejenigen – oder machen darüber Witze –, die die Frage stellen, wie weit Toleranz gehen dürfe und wo die Grenzen zu ziehen seien. Oder sie nutzen die politische Gunst der Stunde wie Fabian Molina, der als erste Reaktion Didier Burkhalter vorwarf, politisches Kapital aus dem Schrecken schlagen zu wollen.
Terror erzeugt Angst und Wut, das ist sein Zweck. Aber das zugrunde liegende Problem ist komplex, und simple «Wir gegen sie»-Lösungen führen beinahe nie zum Ziel. Was nicht heisst, dass man nichts unternehmen kann. Aber man muss pragmatisch vorgehen, alle an einen Tisch setzen, damit man gemeinsam Lösungen finden kann. Zum Beispiel sind geheimdienstliche Mittel unerlässlich, wenn man Terror 2.0 bekämpfen will – hier muss die Linke über die Bücher. Die Rechte muss lernen, dass sie, solange sie den Hass gegen Flüchtlinge weiter so blindlings schürt, den Terroristen in die Hände arbeitet. Und die Muslime müssen endlich einsehen, dass sie konsequent gegen radikales Gedankengut vorgehen und hier auch Verantwortung übernehmen müssen. Doch solange alle aufeinander losgehen und sich in ihren politischen Grabenkämpfen verschanzen, sind pragmatische Lösungen unmöglich.
Dabei sind sie nötiger denn je, denn die Gefahren werden nicht weniger. Nicht nur durch den Terror, sondern eben auch durch die sich vertiefenden politischen Gräben und den Nährboden für radikales Gedankengut, der so entsteht. Das muss jedem klar sein, der sich mit dem Thema beschäftigt. Dass ein europäischer Staatschef wie Viktor Orban im Interview mit der «Weltwoche» sagen kann, dass «die Elite Europas (…) nur seichte und zweitrangige Themen debattiert. Nette Sachen wie Menschenrechte, Fortschritt, Frieden, Offenheit, Toleranz. (…) nur europäisch-liberales Blabla über nette, zweitrangige Themen», sollte uns zu denken geben. Denn einen Zweifrontenkrieg gegen die Freiheit kann man erst recht nicht gewinnen.
Bild oben: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban am EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise in Brüssel, 16. Oktober 2015.
32 Kommentare zu «Die politischen Aasgeier lauern schon»
Frau Binswanger will offenbar alle Seiten beleuchten, das ist ja lobenswert. Bezeichnend finde ich aber, das eines nicht geschrieben wird: Dass westliche Staaten seit Jahren einen anhaltenden Bombenhagel über Nahost niedergehen lassen, das hat offenbar überhaupt nichts mit dem Terrorismus zu tun. Terrorismus ist so etwas wie eine Naturkatastrophe. Entsteht einfach so, hat keine Ursachen. Waffen wachsen dort auf dem Bäumen, und junge Männer entscheiden sich ohne Grund, ihr Leben zu opfern.
Ich finde diese Sicht zu kurzsichtig. Und die westliche Taktik ist ja auch wirkungslos.
Ja, die armen bemitleidenswerten jungen Männer. Vom Westen in den Krieg getrieben. Ich kann es nicht mehr hören! Jeder ist für sein Tun selber verantwortlich – einen Massenmörder entschuldigt man auch nicht durch seine harte Kindheit.
Der ursprüngliche Grund übrigens, wieso der Westen in Syrien militärisch aktiv ist, ist die Opposition von Assad zu unterstützen, eine Stabilität im Land wiederherzustellen, also dem syrischen Volk zu helfen. Und nicht „einen anhaltenden Bombenhagel“ über die Region niedergehen zu lassen …
In der Regel vergehen nur wenige Tage, bis nach solch einem Blutbad von irgendwelchen Weltverschwörungssofaexperten mit noch so abstrusen pauschalisierenden Behauptungen solange Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern umgedeutet werden bis sich die Balken biegen.
Don’t shift the blame, Stefan W. Es ist daneben.
@Th. B. und M. Frey: Es ist Ihnen aber schon aufgefallen, dass die gewaltorientierte westliche Nahostpolitik seit 2001 geradezu grandios gescheitert ist? Oder würden Sie auch das bestreiten?
Ja, ich gebe zu, dass ich 35 massakrierte Mitarbeiter eines MSF-Hospitals ebenso schlimm finde, wie andere Terroropfer. Aber ich sehe schon, mit so einer altmodischen Einstellung ist man hierzulande und heutzutage einer, der Täter zum Opfer macht. Wäre eigentlich zum Lachen, wenn das Thema nicht so ernst wäre.
Es gibt Terrorismus aus einem einzigen Grund: Er funktioniert.
Mittels Terrorismus können ganze Kontinente verunsichert werden, Verfassungen geändert werden (Hollande will doch die Verfassung ändern), Demokratie und Menschenrechte eingeschränkt werden (Hollande will den Ausnahmezustand verlängern). Terrorismus funktioniert dann nicht mehr, wenn wir Terroristen als gewöhnliche Mörder, Körperverletzer etc. betrachten. Nur weil Menschen ermordet werden, verlangt niemand mehr Geheimdienst, weniger Freiheitsrechte, mehr Überwachung, aber bei „Terror“ wird sowas verlangt.
Anscheinen scheinen sich die Europäer nur auf die letzten Jahrzente zurückzubesinnen.
Dabei ist dieser Konflikt schon Jahrhunderte alt. Die Ziele sind die gleichen, die Methoden und die technische Entwicklung hat sich verändert. Wer sich ein bisschen für mitteralterliche Militärhistorie interessiert, versteht sehr schnell, dass dieser Konflikt nur längere Zeit eingeschlafen ist und jetzt wieder erwacht. Der Terrorismus ist nur ein Symptom und ein Mittel zum Zweck. Es macht mich traurig zuzuschauen wie sich Politik, Medien und ein grosser Teil der westlichen Bevölkerungen immer im Kreis…
Ca.370000 Fluechtlinge zaehlt Ungarn bis Sperre der gruenes Grenze zum Kroatien.“Wir Schaffen es,keine Obergrenze“.Sollten so die Oststaten ein Blancoscheck unterschreiben? Kommen 3-5, oder mehr Fluechtlinge? Mit den Familienangehoerigen waehre es 10-15,oder 20 Millionen.Wer hat es Ende gemacht?
Aha, selbst Rechte seien lernfähig, Orbán hingegen wird auf die Stufe des IS gestellt und ist ein Aasgeier. Schade, dass man Köppel Umsatz generieren muss, um nachzulesen, was für Orbán heute das wichtigste ist. Hätte ja auch hier im Artikel stehen können. Schon den Namen des Nobelpreisträgers Imre Kertész gehört? In seinem letzten Buch „Letzte Einkehr“ beklagte er einen „selbstmörderischen Liberalismus“. Andere linksliberale, wie György Konrád, Ex-Sozialisten-Parteichef István Hiller, bisher und weiterhin erbitterte Gegner Orbáns, nehmen seine Migrationspolitik zumindest teilweise in…