Keller im Himmel?

«Wer trinkt schon Wein?», fragte rhetorisch der Sprechsänger Nelly um die Jahrtausendwende in der seinerzeit populären Fernsehsendung «MTV Cribs» – und dies war auch mein Standpunkt, meine Damen und Herren. Heute bin ich älter, und dies merke ich an zwei Sachen: erstens daran, dass ich mich (und Sie) frage: «Was ist eigentlich aus dem seinerzeit populären Sprechsänger Nelly geworden?» Und zweitens daran, dass ich lieber Wein trinke als früher. Schweren kalifornischen Rotwein, zum Beispiel, so wie die Real Housewives aus Beverly Hills, und bitte schreiben Sie mir deswegen jetzt keine Briefe, danke.
Das heisst aber nicht, dass ich nun irgendwie anfangen würde, mich ausführlich über Wein zu unterhalten, keine Sorge, aus mir wird nie jemand werden, der sich ne Fliege umbindet und erklärt, der Tropfen hätte im Abgang einen Hauch von Schokolade, was an den wurzelechten Reben läge. Nie. Und auch wenn ich selbst immer wählerischer werde, ändert das überhaupt nichts an meiner grundlegenden Sympathie für Leute, die ohne viel Gewese alles runtergurgeln, solange es nur in der Kehle tüchtig brennt. Oder, in den Worten der Essayistin Fran Lebowitz: «Grosse Menschen sprechen über Ideen, durchschnittliche Menschen sprechen über Dinge, und kleine Menschen reden über Wein.»
Und wissen Sie, wo besonders gern und viel zu viel über Wein geredet (und geschrieben) wird? Auf zehntausend Metern über dem Boden. In der Flugzeugkabine. Hier, besonders in den höheren Beförderungsklassen, pflegt die vielfach gebeutelte Luftverkehrsindustrie den Leitsatz der Wohlfühldoktrin, und mitunter nimmt diese kategorische Wellnessfixierung leicht hysterische, selbst parodierende Züge an. Zum Beispiel werden jedes Jahr von einem englischen Geschäftsreisemagazin die sogenannten «Cellars in the Sky Awards» verliehen – an Fluggesellschaften, die nach Auffassung irgendeines Expertengremiums eine hervorragende Auswahl von Weinen an Bord kredenzen. Wie bei den Oscars gibt es hier Trophäen in verschiedensten Kategorien, etwa «First-Class-Rotweine» oder «First-Class-Schaumweine» oder «Businessclass-Likörweine».
Nun ist es eine wohletablierte Tatsache, dass durch den Unterdruck in der Flugzeugkabine jedes Geschmackserlebnis verzerrt wird; ein bisschen in der Art, als ob man einen leichten Schnupfen hätte. Sodass eigentlich niemand davon ausgeht, dass ein hervorragender Wein ausgerechnet am unteren Rand der Stratosphäre besonders ausgezeichnet zur Geltung käme. Nein, Wein im Flugzeug dient doch wohl in erster Linie vor allem der Beruhigung, Entspannung und Einschläferung, und das ist auch gut so, also könnte man vielleicht hier die Prätention ein kleines bisschen runterschrauben. Ich meine, es ist schliesslich auch nicht so, dass die Filme im Bordunterhaltungsprogramm als cineastische Meisterwerke gepriesen oder Literaturpreise für In-Flight-Magazine verteilt würden. Wenigstens ein Fuss auf dem Boden ist immer empfehlenswert. Auch auf dreissigtausend Fuss Höhe.
Im Bild oben: Emirates Airlines gewann 2014 die Silbermedaille in der Kategorie Best Overall Wine Cellar. (Emirates Airlines)
5 Kommentare zu «Keller im Himmel?»
Ich in der Ecoklasse trinke nur Wein um mich zu betäuben um das Eingepfercht sein zu ertragen. Sonst würde ich amok laufen.
Peter Bichsel, Schriftsteller, trinkt gerne und regelmässig Wein. Dazu gefragt sagte er in typischer Ehrlichkeit; „ich bin ein Rotweintrinker, kein Rotweinkenner“. Jeder soll das Trinken, was ihm mundet. Die, die immer von Wein reden, sind in der Regel so genannte „Etiketten-Trinker“. Dazu braucht’s keine speziellen Kenntnisse.
schon. aber wir konsumenten lassen uns ja auch jeden scheiss verklickern. und wenn man auch im flieger möglichst elitär sein möchte, säuft man halt den fusel. wobei es beim teuren wein noch blöder ist, weil er eh immer viel zu kalt serviert wird. da kann man sich geschmack und prämierung gleich in den allerwertesten schieben. ich nehm jeweils ein paar bier und ein paar fläschchen cognac. das geht.
To sell Jane Smith What Jane Smith buys, You’ve got to see things Through Jane Smith’s eyes.
Auch wenn es nur Flugreisen sind.
Ein Bekannter hat obiges Thema verallgemeinernd letztens auf den Punkt gebracht: Das traruge Schicksal der heutigen Zeit is die Substitution von Wissen und Können durch: Geschiss. Unglaubliches Geschiss um Kaffe, nicht endendes Geschiss um Wein, Geschiss um Zigarren, um den grössten Grill… die Liste der Banalitäten, die uns scheinbar umtreiben, ist endlos.
Möge der Herr uns doch bitte wieder ein klein bisschen Hirn senden, auf dass die Welt weniger Geschiss ertragen muss.