Die Rindvieh-Partei

Festansprache von SVP Parteipraesident Toni Brunner an der Bundesfeier in Ruemlang (ZH) am Samstag, 1. August 2015. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Für die Wahlen im Oktober gehen die Umfragen von einem neuerlichen Wahlsieg der SVP aus. Wer ein Sensorium hat für die Stimmung im Land, muss davon ausgehen, dass die Prognosen leider zutreffen werden. Ja, leider. Man muss diese Partei nicht dämonisieren, um dabei leichtes Unbehagen zu empfinden. Dazu muss man nicht einmal die menschenverachtenden Kommentare ihrer Fans berücksichtigen, die diese den lieben langen Tag in sozialen Medien von sich geben. Es reicht, ihrem Chef einmal genauer zuzuhören.

Vergangene Woche beantwortete Toni Brunner der Zeitung «Die Zeit» einige Fragen, die er mit Zahlen zu beantworten hatte. Zum Beispiel: Wie viele politische Entscheidungen haben Sie in Ihrem Leben bereut? Null, antwortet Toni Brunner. Frage: Mit wie vielen Asylbewerbern haben Sie in diesem Jahr gesprochen? Zwei. Frage: Wie viele Flüchtlinge kann die Schweiz pro Jahr aufnehmen? Hundert, antwortete Toni Brunner.

Hundert Flüchtlinge pro Jahr. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Im Politchat des «Tages-Anzeigers» setzte Brunner dann noch einen drauf: Auf die Frage, ob er der Glückskette etwas gespendet habe, antwortete er mit Nein, weil ihm die «organisierte Mitleidmaschinerie» auf den Geist gehe. Man staunt über diesen bestechenden Realitätssinn. Ganz Europa ächzt unter dem Ansturm einer historischen Migrationswelle. Händeringend versucht man, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden – von langfristigen Lösungen ganz zu schweigen. Und Toni Brunner, der Chef der grössten Partei der Schweiz, sieht darin nur eine Mitleidmaschinerie. Und unsere Aufnahmekapazität bei 100 pro Jahr.

Sicher, kein europäisches Land kann unbegrenzt und in beliebigem Tempo Flüchtlinge aufnehmen. Aber hundert – wirklich, Toni Brunner?

Besonders weit hat er dabei wohl nicht gedacht. Zum Beispiel daran, was das für die Zukunft der Schweiz in Europa bedeuten würde. Hegt er, wie Ungarns Regierungschef Viktor Orban, den heimlichen Wunsch, die Schweiz mit Stacheldraht zu umziehen und von der Armee beschützen zu lassen? Vielleicht ist der Bauer mit ihm durchgegangen. Vielleicht glaubt er ja tatsächlich, wir Schweizer seien Rindviecher, die man mit Glocken behängen und mit Zäunen beschützen muss. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt. Vielleicht sind nicht wir das Rindvieh.

Bild oben: Toni Brunner bei einer Festansprache am 1. August 2015 in Rümlang ZH.

126 Kommentare zu «Die Rindvieh-Partei»

  • Renato Edwards sagt:

    Keine Panik, Leute! Es herrscht eben Wahlkampf – und damit auch Narrenfreiheit. Da ist die Flüchtlingskrise ein gefundenes Fressen für die Sünneli-Partei, die mit ihrer ressentimentgeladenen Politik seit Jahren von Wahltriumph zu Wahltriumph eilt. Brunner, Mörgeli, Glarner und Konsorten wissen ganz genau, dass sie mit möglichst unanständigen Parolen ihre Wähler in Massen abholen können. Bewährte SVP-Provokationsstrategie, die bei einem für Populismus empfänglichen Publikum eben Erfolg garantiert. Wir haben es in der Hand, dagegen zu halten und unser Wahlverhalten entsprechend auszurichten.

  • Reto Derungs sagt:

    Liebe Frau Binswanger, Ihr „Rindvieh“ hat halt schon recht. Unter den Tausenden von Migranten befinden sich sicherlich ein bloss paar hundert, welche den Flüchtlingsstatus nach den Kriterien der schweizerischen Asylgesetze erfüllen. Und die nehmen wir gerne auf. Alle andern sind illegale Einwanderer, welche sich mit uns die Werte teilen wollen, welche unsere Vorväter mit Fleiss und unter Entbehrungen geschaffen haben. Und Sie, Frau Binswanger, was gedenken Sie Ihren Nachkommen zu hinterlassen? Dass Sie es gut meinen, daran zweifle ich nicht. Aber gut gemeint ist halt noch nicht gut gemacht.

    • Gödi von Siebenthal sagt:

      Und wieviele ehrbare Schweizerbürger haben in den Krise-Jahren von 1925 bis 1939 als Wirtschaftsflüchtlinge unser Land Richtung Amerika verlassen, weil sie im eigenen Land keine Arbeit fanden! Aber eben, (Nach)Denken ist nicht Tonelis Stärke!

    • Reto Derungs sagt:

      @ G. v. Siebenthal: ich unterstelle Ihnen eine entweder böswillige oder naive Tatsachenausblendung: Damals waren die USA ein klassisches Einwanderungsland, mit riesigen Ressourcen an Land und Rohstoffen. Das war die Triebfeder der Auswanderer. Angekommen in der Wildnis, hausten sie in Zelten und Blockhütten, welche sie selbst gebaut hatten, völlig auf sich selbst gestellt. Die aktuellen Migranten sind motiviert durch komfortable Unterkünfte, gesundes Essen, grosszügige Sozialwerke, eine beispiellose medizinische Versorgung und hilfreiche Rechtsbeistände – alles gratis natürlich.

  • Steinmann Horst sagt:

    Bravo Frau Binswanger
    Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Mut. Endlich wieder einmal ein Bericht, der aufzeigt, wie engstirnig und phantasielos die Vertreter dieser Partei doch sind. Wer glaubt, die EU sei auf die Schweiz angewiesen, weiss nicht, dass es hinter den Churfirsten noch eine andere Welt gibt, die gut und gern ohne die ewig Gestrigen auskommen kann. Freiheit gewinnt man nicht durch Abschottung und Stacheldrähte, sondern durch Weitsicht und Offenheit.
    Diese Partei ist schlicht nicht wählbar. Appellieren wir an die Vernunft der Wählerinnen und Wähler, ihre Stimme weise zu vergeben.

  • Daniel Münger sagt:

    Flüchtlinge? Nach Genfer Flüchtlingskonvention gelten Migranten, die aus sicheren Ländern einwandern, eben nicht als Flüchtlinge. Was heute stattfindet, ist kein Flüchtlingsdrama, sondern eine regelrechte muslimische Invasion nicht asylberechtigter Personen aus sicheren Drittstaaten. Gerademal knapp 20% der Personen, die heute nach Europa unterwegs sind, kommen tatsächlich aus Kriegsgebieten. Und von denen gehören die meisten zur Mittel- bis Oberschicht ihrer Heimat. Trotzdem lassen sie sich gerne von europäischen Sozialstaaten alimentieren. Seht endlich recht hin, was da auf uns zukommt!

    • Hanspeter Müller sagt:

      Offensichtlich haben auch Sie die Flüchtlingskonvention nicht selber gelesen, sondern beten dem Muezzin vom Herrliberg nach. Bei der Definition des Flüchtlingsstatus kommt es darauf an, wo der Mensch her kommt und nicht wo er alles unterweg war in der Zwischenzeit. Das Prinzip des sicheren Drittstaates ist nicht Teil der Flüchtlingskonvention, sondern des Dublin Abkommens. Und dieses wird von Nationalkonservativen Kreisen ja sonst immer strikt abgelehnt.

  • Susi Müller sagt:

    Liebe Frau Binswanger, sosehr ich mit Aussagen von T. Brunner nicht einig bin, sosehr bitte ich Sie von Pauschlisierungen abzulassen.
    Die aktuellen und zukünftigen Flüchtlingsströme werden einen gesellschaftlichen Umbau bewirken, der die Schweiz auf Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte hinaus mit Problemen versorgt.
    Hiermit bitte ich Sie alle zehn Jahre am 22. September ein ungeschöntes Resümee der jeweils vergangenen zehn Jahre zu dieser Thematik zu veröffentlichen. Vielen Dank zum Voraus.

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