Ist ewige Jugend erstrebenswert?

midas

Der Mensch ist das Tier auf Sinnsuche, meine Damen und Herren. Er ist in Bewegung, er rast, er sucht, er wünscht. Der Mensch ist das wünschende Wesen. Aber Vorsicht: Beim Wünschen weiss der Mensch nicht immer, was gut für ihn ist. Genau darauf zielt das berühmte Diktum der Teresa von Ávila: Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte. (Dies war bekanntlich auch der titelinspirierende Leitspruch für Truman Capotes letzten und unvollendeten Roman «Answered Prayers», das Buch, das ihn ruinierte.) Denken Sie an König Midas. Der wünschte sich, dass alles, was er berührte, zu Gold würde. Lief bekanntlich nicht so super.

Aber was ist mit anderen Standardwünschen? Zum Beispiel dem nach ewiger Jugend? Alle achten auf ihren Körper, alle wollen Jugend ausstrahlen – oder doch wenigstens jene symmetrische Alterslosigkeit von Seifenoperndarstellern oder irgendwelchen Real Housewives, die allesamt aussehen, als wären sie gerade von irgendeinem Fliessband gefallen. Philosophisch gewendet könnte man sagen: der abendländische Topos der Körper-Geist-Dualität kommt uns abhanden. Die Dichotomie von Körper und Geist zeichnet den Menschen vor allen anderen Lebewesen aus. Das Ziel aber muss hier sein: eine Trennung im Gleichklang, also nicht als Abspaltung, wie bei der manischen Fixierung auf Jugend oder Glück; nein: eine Trennung als souveräner Abstand des Geistes zum Leben.

Die Obsession mit Körperlichkeit schürt eine Illusion von Unsterblichkeit, physischer Unsterblichkeit, welche die immaterielle Unsterblichkeit abwertet, die bisher der Geist für sich reklamieren konnte. Die ewige Jugend scheint zum Greifen nah, und die Kehrseite ist: der Tod. Die Kehrseite ist natürlich immer der Tod, aber in diesem Falle einer körperkultbesessenen, am Selbsterschaffungswahn leidenden Gesellschaft ganz besonders. Wir sind fixiert auf die Jugend und gleichzeitig auf bizarre Art fasziniert vom Tod, und hier immer mehr, der Tendenz zur allgemeinen Prominenzierung der Populärkultur folgend, vom Tod von Berühmtheiten, die offenbar immer mehr nicht nur stellvertretend für uns alle leben, sondern auch sterben müssen.

Ewige Jugend scheint für ewiges Glück zu stehen – und eben das: Glücklich zu sein, ist, neben Gesundheit und Nachhaltigkeit, ein Wert, auf den sich die hochfragmentierte Multiminoritätengesellschaft der Spätmoderne noch einigen kann. Doch sämtliche Ewigkeitszustände haben etwas Unaushaltbares, auch ewiges Glück. Es ist dem Menschen schlechterdings unmöglich, irgendein Sein extrapoliert aufs Unendliche noch als glücksstiftend zu erleben – und sei es in Begrenztheit noch so angenehm. Immerhin beschäftigt die Frage nach dem Wesen des Glücks die Philosophie seit Tausenden von Jahren. Im Grunde geht es seit den alten Griechen immer darum, ob der Mensch das Glück nun eher in Tugend und Mässigung oder aber in Lust und Sinnenfreude finde, ob man das Glück eher ideell oder eher praktisch zu verstehen habe, geistig oder materiell. Fest jedenfalls steht: Glück ist das Ziel, das Ende. Das Ende aber ist gar nicht das Interessanteste, schon gar nicht in Permanenz. Im Gegenteil: Unglück motiviert zu Aufbruch, Ausbruch, Bewegung. Ohne Unglück kein Roadmovie. Ergo: Happiness is overrated.

Aber ewige Jugend ist nicht nur deshalb ein Paradoxon, weil wir schliesslich alle das Zeitliche segnen. Jugend hat ja nicht nur eine äussere, sondern auch eine innere Qualität: die Qualität der Erwartung. Antizipation und Perspektive sind das Privileg der Jugend; die Ahnung von dem, was noch kommen soll oder mag. Doch wird dieser Zustand der Erwartung in Ewigkeit festgeschrieben, beraubt man ihn eben gerade der Realisierung und damit dessen, was seinen Reiz ausmacht. Es ist ein Grundgedanke nicht nur der existenzialistischen Philosophie, dass gerade seine Endlichkeit dem Leben Sinn gibt. Oder, um es mit einem Bild auszudrücken: Das ist, als würde man in einer Warteschlange verharren, obschon der Schalter schon geschlossen hat. Nämlich der Schalter, der die Tickets für die Zukunft verkauft.

7 Kommentare zu «Ist ewige Jugend erstrebenswert?»

  • Irene feldmann sagt:

    Die Phönix aus der Asche, so fasse ich das Leben auf. Ob in der Jugend oder im älter werden, alles wird von Zusammenbrüchen und auferstehen geprägt, bis schlussendlich, am Ende des Lebens einfach zuviel Kohle vorhanden ist und somit mit dem ausklinken unseres Lebens das Material noch zur Verfügung gestellt wird das die Nachbar noch einen tollen grillabend feiern dürfen!!! 🙂

    • Jacques sagt:

      Zum Abschluss noch eine gute Tat für seine Nachbarn. Bei mir finden sie vielleicht noch eine gute Flasche Wein – für diesen Grillabend 😉

    • Henry sagt:

      Gnädige Frau glauben an den unendlichen Fortbestand des Franken. Ich versichere Sie, so die alternativlose Gemeinschaftswährung ob ihrer Unmöglichkeiten implodiert, der Franken muss ihr, schauen Sie sich die Bilanz der SNB an, folgen.
      Ach ja, an diesem Abend dann mache ich die beste Flasche Bordeaux auf, die mein Weinkeller beherbergt.

  • Jacques sagt:

    „Ist ewige Jugend erstrebenswert?“. Eher nein, dann könnte man nicht schlauer oder gar ‚weise‘ werden. Es würde mich aber schon reizen, ab und zu – so einen kleinen Zeitsprung zurück. Na ja, und auf ‚Weisheit‘ täte ich gerne noch etwas warten. Ev. langeweilig?

  • armin rüdisühli sagt:

    Ewige Jugend ist aus meiner Sicht gleichermassen eine Horrorvorstellung wie ewiges Leben. Bei letzterem schafft man den Gnadenakt des Todes nicht mehr und vegetiert als „Lebendigtoten“ irgendwo vor sich hin (strebt man ja heute schon an, z.B. bei den Dementen, wie ich bei meinem letztes Jahr verstorbenen Vater habe konsterniert feststellen müssen), bei ersterer verbleibt man in spätpubertärer Ignoranz (infolge fehlender ECHTER Lebenserfahrung) irgendwo stecken. Wer sich durch jugendliche Schönheit blenden lässt, hat ohnehin wenig gelernt vom Leben. Erstrebenswert ist dies daher keinesfalls.

    • Viktoria sagt:

      Das Wort „Lebendigtoten“ jagt mir ein Schauer über den Rücken. Was Sie erlebt haben ist brutal. Heute wird ja schon sehr viel für die Würde und das Wohlbefinden der Dementen getan, aber was ist mit den Angehörigen und ihrer immensen Hilfslosigkeit? Schrecklich, zusehen zu müssen wie sich eine Persönlichkeit einfach auflöst, und in Gefilden „wandelt“, die man nicht mehr nachvollziehen kann. Manchmal werden Demente wieder wie Kinder, gehen so zusagen wieder ihrem Ursprung entgegen. Aber, es gibt nicht d i e Demenz. Vielleicht können sie sich mit dem Erlebten irgendwann versöhnen. Der Schriftsteller Arno Geiger , selber mit diesen unsäglichen Gefühlen gerungen, hat nach einigen Jahren ein berührendes Buch darüber geschrieben: Der alte König in seinem Exil.

  • Henry sagt:

    Die Kehrseite der ewigen Jugend ist wohl nicht der Tod, sondern das „alt“ sein. Und ewig Jung sein wäre doch nur interessant, so man über die Erfahrung eines Vierzigjährigen verfügt. Und so landet man unweigerlich bei Dorian Gray, der wiederum aber sicher nicht glücklich war. Man(n) sollte jedenfalls rechtzeitig mit dem Messer vor dem Bild stehen, oder, wer Basil nicht zum Porträtmaler hatte, wie Gunter Sachs mit der Flinte in die Jagdhütte gehen.

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