Warum fahren einem die VBZ gerne vor der Nase weg?

vbz

Erinnern Sie sich noch an diesen Fall, meine Damen und Herren, der vor ein paar Jahren Furore machte, als in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Maschine der Fluggesellschaft Southwest Airlines 12 Minuten zu spät ihren Startplatz verliess? Durchaus nicht, höre ich Sie sagen? 12 Minuten, das sei ja gar nichts, höre ich Sie sagen? Stimmt. Wohl nahezu jeder von uns hat schon längere Startverzögerungen in Kauf genommen.

Was bei diesem Fall damals die Besonderheit ausmachte, war, dass der Kapitän eine startbereite Maschine von Los Angeles nach Tucson warten liess, damit ein verspätet kommender Passagier an Bord konnte, der die Reise antrat, um im Krankenhaus von seinem verstorbenen Enkelsohn Abschied zu nehmen. Der Pilot, der das Warten der Maschine veranlasste, wurde vom US-Nachrichtenmagazin «Time» als Held bezeichnet, und es gibt wohl keinen gerecht und billig denkenden Menschen, der seine Handlungsweise nicht gutheissen würde.

Ich persönlich finde es übrigens ebenfalls richtig, wenn ein Flug (sofern die Startverzögerung vertretbar ist) auch auf Passagiere wartet, die mit weniger dringenden Anliegen verspätet sind, zum Beispiel Anschlussreisende. Denn ich weiss, wie lästig es ist, wenn man Anschlussflüge verpasst, und ich denke, auch hier wird mir kein billig und gerecht denkender Mensch widersprechen. Natürlich weiss ich ausserdem, dass das Warten wiederum Verspätung bedeutet (obschon die im Flugplan angegebenen Reisezeiten ja stets ein Zeitpolster enthalten). Und dass Verspätungen Kompensationsforderungen nach sich ziehen können.

Etwas mehr Menschlichkeit und Empathie

Umso mehr ist es zu würdigen, dass gerade eine Fluggesellschaft wie Southwest, die in dem Ruf steht, ein hart kalkulierender Günstigflieger zu sein, nach besagtem Vorfall verlautbaren liess, man sei «stolz» auf so einen Piloten, der sich einen Sinn für wirkliche Prioritäten und Menschlichkeit bewahrt habe. «Das Flugzeug fliegt ohne mich nirgendwo hin, und ich wäre ohne Sie nirgendwohin geflogen», soll der betreffende Kapitän zu dem leidgeprüften Grossvater gesagt haben, und darinnen äussert sich ja in der Tat eine Einsicht, die im modernen hochrationellen Reisebetrieb nicht selten unterzugehen droht: Etwas mehr Menschlichkeit und Empathie führen durchaus nicht zum Zusammenbruch des Betriebs, machen aber das Leben leichter.

Ich wünschte, die Piloten der Verkehrsbetriebe meiner Heimatstadt Zürich hätten die gleiche Einstellung. Ich spreche von den hiesigen Tram- und Buschauffeuren. Die fahren einem ja ganz gerne mal sehenden Auges vor der Nase weg. Nicht alle. Aber viele. Zum Beispiel neulich dieser Busfahrer kurz vor Mitternacht mir und meiner sichtbar schwangeren Freundin Gloria (nicht von mir schwanger, wo denken Sie hin). An der Ecke Militär-/Langstrasse. Was ja nun nicht unbedingt die allerbeste Ecke von Zürich ist.

Es ist mir unverständlich, wie man so was tun kann. Das ist keine Frage des Fahrplans, das ist eine Frage der Manieren, allgemeiner Umgangsform, der Stimmung in einer Stadt. Falls die Vergottung von Zeit und Pünktlichkeit tatsächlich, wie Max Weber und Benjamin Franklin unabhängig voneinander festgestellt haben, ein Wesenszug des Protestantismus ist, so ist Zürich dessen Welthauptquartier. Ich schätze meine Heimatstadt, aber dies ist eine ihrer weniger attraktiven Seiten.

«Ich meine, während der Rushhour könnt ichs ja noch verstehen», erklärte Gloria, «– aber quasi mitten in der Nacht? Oh Gott, ich wünsche, dass diesem Trottel von Busfahrer seine nächsten 17 Verkehrsmittel vor der Nase wegfahren oder -fliegen!» «Aber Gloria», wandte ich ein, «das klingt jetzt deinerseits ein wenig unmenschlich. Statt dir so was direkt von Gott zu wünschen, solltest du das wie folgt paraphrasieren: Ich wünsche auch diesem Trottel von Busfahrer nichts Böses – doch falls ihm seine nächsten 17 Verbindungen vor der Nase wegführen oder -flögen, so wäre das lediglich fair. Von der Warte eines billig und gerecht denkenden Menschen aus betrachtet.»

62 Kommentare zu «Warum fahren einem die VBZ gerne vor der Nase weg?»

  • Daniel sagt:

    Eine Frage vom Anstand und Manieren ist es auch pünktlich vor Ort, zum Beispiel einer Haltestelle zu sein. Aber Anscheinend ist es heutzutage eine Zumutung rechtzeitg irgendwo zu sein. Man findet es nur Recht, wenn an jeder Haltestelle ein Tram/Bus voller Leute auf ein paar ewig Verspätete wie Sie warten müssen.

  • Daniel Ledergerber sagt:

    Was soll dieses Gejammere über abfahrende Busse in einer Stadt wie Zürich, in der der Fahrplan so dicht ist? Der nächste kommt ja meistens schnell wieder, wenn es nicht gerade der letzte ist. Aber selbst dann, kann man ja eine Minute früher an der Haltestelle sein. Mich stören die Leute, die immer meinen, der Bus müsse genau auf noch auf sie warten. Eventuell sogar noch ein Billet lösen und die Türe blockieren lassen, damit die anderen im Bus drin ja noch die Anschlüsse verpassen. Das geht mir tierisch auf den Senkel.

  • Tom Marty sagt:

    Also, man müsste warten, falls verspätete Reisende auf den Anschlussflug wollen. Was ist mit denen, die danach ebenfalls auf einen Anschlussflug müssen? Man sollte schon ein weniger weiter denken als der Author. In der ICH-Phone- (iPhone) und Selfie-Welt schiebt man die Schuld doch gerne immer auf die anderen. Z.B. könnte man halt einfach früher zur Haltestelle laufen. Auf dem Smartphone kann man die Abfahrtszeiten immer und überall abrufen. Evtl. hat die gepostete Facebook-Meldung hat einfach die höhere Priorität.

  • Roberto sagt:

    Hahahaaa um 24:00 Uhr! Kommen Sie einmal nach Schaffhausen wenn ca. 600 Pendler durch die Unterführung (Zug kann ja nicht auf Gleis 1 ankommen) rennen und den pünktlich davon fahrenden Bussen zuwinken… Jeden Tag und auch wenn der nächste Bus 20′ später erst kommt. Eine Ausnahme habe ich erlebt… der Chauffeur hatte einen Namen der mit …ic aufhört…
    Danke VBSCH

  • Markus sagt:

    Es gibt viele liebenswürdige und aufmerksame VBZ-Chaufeure/sen, das kann ich als Bewohner von Zürich ich immer wieder feststellen. Die den Spätkommenden immer wieder eine Chance geben, mitzufahren. Oft sind es eher die Benützer, die Mühe machen und sich schlecht benehmen.

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