Kann man Geschäftsmann sein und links?

Unternehmer Peter Spuhler, CEO  und Inhaber Stadler Rail Group

«Im Zweifel links», meine Damen und Herren, halte ich für eine völlig unreflektierte Maxime, die für mich höchstens beim Einstieg ins Flugzeug gilt. Für den Geschäftsmann aber wäre dieses Prinzip nicht nur unreflektiert, sondern ruinös. Die Argumentationskette dafür ist kurz und gerade und liefe ungefähr so: Um als Geschäftsmann Erfolg zu haben, muss man sich einigermassen vernünftig gerieren, und zwar «vernünftig» im Sinne der ökonomischen Rationalität. Das ist nicht links. Ergo kann der Geschäftsmann nicht links sein, oder er geht unter.

Moment mal bitte, höre ich ein paar von Ihnen fragen, kann man das einfach so sagen? Was ist denn überhaupt «links»? Sollte man nicht das zunächst mal klären? Ja. Gerne. Das lässt sich allgemein und quasi grundsätzlich, also ohne allzu engen Rückgriff auf konkrete politische oder ideologische Positionen wie folgt differenzieren: die linke und die im klassischen Sinne konservative Seite des politischen Spektrums scheiden sich anhand einer grundlegend anderen Art, die Welt zu betrachten und zu behandeln. Die Linke fängt vom Text an, der Konservativismus von der Wirklichkeit. Will sagen: Die Linke geht von unbedingten, abstrakten Idealen aus; der Konservative hingegen von existierenden Normen und Institutionen. Die Linke neigt zum Dogma; der konservative Liberalismus demgegenüber zum Pragmatismus. Einem ordentlichen Konservativen ist das Absolute wesensfremd. Oder, in den Worten von Joseph Schumpeter: «To realize the relative validity of one’s convictions and yet stand for them unflinchingly is what distinguishes a civilized man from a barbarian.»

«Links» hat also per se nichts mit «fortschrittlich» oder «menschenfreundlich» zu tun, wie das manche Leute gerne denken und behaupten; schon eher mit einem diesbezüglichen Dünkel: der Linke glaubt nicht unbedingt an das Gute im Menschen, aber er glaubt sicher zu wissen, was gut für den Menschen sei. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leser, aber ich persönlich bin immer sehr skeptisch, wenn jemand absolut zu wissen glaubt, was gut für mich wäre. Oder für den Rest der Menschheit. Ich für meinen Fall glaube an Autonomie, also die Selbständigkeit, Willensfreiheit, Eigenbestimmung des Individuums. Diese Haltung ist nicht links. Sie ist liberal.

Ich glaube auch an die Emanzipation, Lernfähigkeit, Höherentwicklung des Einzelnen, und ich bin überzeugt von der Richtigkeit und Humanität einer politischen Philosophie, die den einzelnen Menschen in seiner Einzigartigkeit in den Mittelpunkt stellt, nicht irgendein Kollektiv oder Konformität. Und deshalb glaube ich auch an die wirtschaftliche Ordnung des Individualismus, nämlich den Markt, einen Mechanismus, der sich am Recht auf freie Entfaltung und freie wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit des Einzelnen orientiert, weil nur der Markt individuelle Präferenzen und gesellschaftliche Effizienz in Freiheit verbindet. Das ist das, was Adam Smith vor 250 Jahren die «unsichtbare Hand» nannte: dass über den Marktmechanismus die Verfolgung wirtschaftlicher Einzelinteressen gleichzeitig der Erreichung der grösstmöglichen sozialen Wohlfahrt dient.

Die Idee von der Steigerung des Gemeinwohls bringt uns zur Idee des Fortschritts in der Geschichte, durchaus keine linke Idee also, sondern zum Beispiel als regulatives Prinzip, d.h. als notwendige, erkenntnis- und handlungsleitende Denkfigur vorausgesetzt von Immanuel Kant, dem preussischen Aufklärer. Kants Pflichtethik appelliert zugleich an die Autonomie des aufgeklärten Vernunftwesens, ohne die historischer Fortschritt nicht möglich wäre. Als Kultur- und also Verstandeswesen kann der Mensch sich über Triebe und Leidenschaften erheben und selbstbestimmt handeln, ergo vernünftig. Das ist durchaus kein atomistischer Individualismus, denn Kants Kriterium für vernünftiges ethisches Handeln ist die Widerspruchsfreiheit zwischen Einzel- und Gemeinwohl. Um zu hinterfragen, ob meine Handlung ethisch vertretbar sei, muss ich fragen: Kann ich widerspruchsfrei wollen, dass die Maxime meines Handelns als allgemeines Gesetz gelte? Das ist der kategorische Imperativ. Klingt abstrakt, ist aber ganz handfest. Prüfen wir es einfach für unsere Frage: Kann ich Geschäftsmann sein und links? Kann ich also auf dem Markt tätig sein und gleichzeitig dem Markt prinzipiell nicht vertrauen? Ist widerspruchsfrei denkbar, dass dies ein allgemeines Gesetz für den Geschäftsmann werde? Natürlich nicht. Daraus aber folgt laut Kant: Der linke Geschäftsmann ist unmoralisch. Viel unmoralischer als ein Hedgefondsmanager. Q.E.D.

Kants kategorischer Imperativ kurz erklärt. Quelle: Youtube

Bild oben: Peter Spuhler, zweifacher Unternehmer des Jahres, ehemaliger SVP-Nationalrat mit klarer politischer Haltung: Rechts. Foto: Doris Fanconi

66 Kommentare zu «Kann man Geschäftsmann sein und links?»

  • Albert Baer sagt:

    Menschen versuchen wo immer möglich den Markt auszuschalten und durch Beziehungen (Vertrauen/Loyalität/Sicherheit) zu ersetzen. Man sucht Markpartner, -beziehungen, -kooperationen. Man stelle sich mal vor wie es wäre, wenn man sich jeden Morgen von Neuem einem Lebensmarkt stellen müsste. Nach dem Aufwachen müsste man zuerst mal einen neuen Tagesvertrag mit seinem „Partner“ aushandeln usw usf. Handel und Markt betreibt man mit Fremden bzw. Feinden. Heute baut die ganze Ökonomie auf diesem kalten und feindseligen Prinzip auf. Was für eine Verschwendung unserer Beziehungsfähigkeit.

  • Nadine Binsberger sagt:

    Das ist jahrhundertealte Ideologie, schon fast Religion. Mittlerweile wurde das Konzept der unsichtbaren Hand wissenschaftlich mehrfach widerlegt. Zudem sind es nicht Konservative und nicht Liberale, die sich bzgl. z.B. Klimawandel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Auch die Frau am Herd ist nicht einfach Realität, denn sie hat einen eigenen Willen und entscheidet sich, wie oft und ob überhaupt sie am Herd steht oder komplett andere Dinge tut. Selbst der Individualismus verschwindet im Kapitalismus immer mehr. Demokratische Wirtschaftskonzepte wären sehr viel zielführender.

    • Gian Battista Raschèr sagt:

      Klimawandel? Ist das so etwas Ähnliches wie Waldsterben?

    • Henry sagt:

      Nun Nadine , jetzt lesen Sie den Text einfach noch einmal durch und schauen sich das Video in Ruhe an. Von seinen Überzeugungen, die stets gelungene Überredungen sind, macht man sich, am besten durch selbständiges Denken frei. Das Lehren dieser Fähigkeit wurde in der staatlichen verordneten Scholastik , wohl absichtlich, stark vernachlässigt zugunsten pseudosozialitischer Ideologien. Und hier sind wir schon bei Al Gore. Man hätte schon in der Steinzeit auf unserer schönen Erdenscheibe damit beginnen sollen, dem, was Sie Klimawandel nennen, entschieden entgegen zu treten.

  • Albert Muri sagt:

    Adam Smith war Moralphilosoph. Sein „Markt“ funkioniert ausschliesslich im übersichtlichen Biotop gleichartiger, ländlicher Strukturen und hängt explizit vom moralischen Verhalten aller Akteure ab, was heute gern verschwigen wird.
    Weiter ist es ein schöner Widerspruch zu Kant,den „Markt“, besonders unter seinen heutigen Bedinungen mit einer Handvoll Monsterkonzernen, die alles und jeden manipulieren, als gottgleiche und objektive Instanz zu verherrlichen und nicht als verlogenen Popanz einer immer hässlicheren Geldmacht zu identifizieren.
    Marx hat die Produktivitätsfortschritte unterschätzt

  • Albert Muri sagt:

    John Stuart Mill, Gottvater der Liberalen, wäre heute ein „radikaler Linker“. Oder würde er heute mit seiner Maxima, dass wahre Freiheit die Freiheit unfrei zu werden, nicht ein- sondern ausschliesst? (On Liberty). Robert Bosch wäre heute ebenfalls Sozialist.
    Wie wäre es, statt mit dem schon längst überholten „links“ und „rechts“ mit anderen Kategorien zu arbeiten?

  • Anja Müller sagt:

    Man kann sehr wohl die Vorzüge von Märkten und Wettbewerb anerkennen und es zugleich wichtig finden, dass auch die Verlierer, die es im Wettbewerb immer gibt, dank Umverteilung anständig leben können. Man kann Kollektivismus ablehnen und die Freiheit des Individuums vehement verteidigen – aber eben auch die Freiheit von wirtschaftlicher Not mitmeinen. Und Linke, denen der Text (Marx) wichtiger ist als die Realität, sind in den letzten 25 Jahren doch ziemlich selten geworden – umgekehrt gibt es auch Konservative, die den Status quo oder eine idealisierte Vergangenheit zu ihrem Dogma machen.

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