Braucht man immer einen Plan?

Wir leben bekanntlich längst nicht mehr in der Moderne, meine Damen und Herren, und auch die Postmoderne liegt in Ruinen. Wir leben in der digitalen Spätmoderne. Und wenn irgendetwas unsere Zeit auszeichnet und charakterisiert, dann ist es ihr Verhältnis zur Kontingenz. Kontingenz kann kaum jemand mehr aushalten. Das Schicksal ist keine wohlgelittene Kategorie der Spätmoderne. Postpostmodern zu leben, heisst, das Schicksal nicht mehr zu akzeptieren, und die Abweisung von Schicksalhaftigkeit wird vom zeitgenössischen Subjekt in zahlreichen Belangen praktiziert: Körperlichkeit und Aussehen, zum Beispiel, oder Reproduktion und Beziehungsstatus sowie schliesslich: mit Blick auf die Karriere.
Das heisst aber auch, dass das Individuum nunmehr die Verantwortung für ganz viele Zustände und Entwicklungen trägt, die früher an die Instanz des Schicksalhaften (wie auch immer benannt) delegiert waren, womit einst eine gewisse Seelenruhe einherging. Die scheint leider mit Ausweitung des Plans irgendwie flöten gegangen zu sein, die Seelenruhe. Der populäre, deshalb aber ja noch nicht schlechte Philosoph Alain de Botton hat festgestellt, dass unserer Zeit die Entspannung wohl so schwer fällt wie noch keiner Epoche vor ihr, und das hängt damit zusammen, dass das Prinzip der Leistungsgesellschaft nicht nur Erfolge, sondern auch Versagen stets dem Individuum als eigene Verantwortung zuschreibe: Wenn ich keinen Partner habe oder ein Hexenkinn, ist das keine unglückliche Fügung, sondern Versagertum. Wenn mein Laden den Bach runtergeht, ist das ganz allein meine Schuld, denn ich hatte womöglich keinen Plan. Andersrum: Falls sich eine Goldgrube auftut, ist dies nur meinem Einsatz zu verdanken, nicht etwa irgendwelchen glücklichen Umständen.
Wir sehen: Eigentlich geht es nur noch um den Plan, und das ist irre anstrengend, besonders weil gleichzeitig bekanntlich die biografischen Optionen im Wissenszeitalter exponentiell zunehmen. Der dazugehörige Megatrend heisst Individualisierung: Der lineare Lebensweg des Einzelnen wird abgelöst durch ein Konzept vielfältiger Lebensentwürfe und offener Biografien, auch offener Erwerbsbiografien, doch dies entlastet den Einzelnen nicht von seiner Planungspflicht, im Gegenteil, es macht sie bloss noch umfassender.
Halten wir mal kurz inne und erinnern uns an eine Weisheit des Kalten Krieges. War ja nicht alles schlecht damals. Was ich damals in der Frontstadt Westberlin gelernt habe, ist: dass der Plan das Gegenstück zur Freiheit darstellt. Also weg damit. Oder wenigstens ein bisschen. Genau: Schieben wir den Plan mal ein bisschen zur Seite, und stattdessen nehmen wir: ein bisschen mehr Schicksalsgläubigkeit. Nee, nicht von der Sorte, die auf dem Sofa oder vor dem Bildschirm sitzt und nährstoffarme Kalorienbomben aus Polyethylenverpackungen vertilgt. Sondern von der Sorte, die den Gang der Dinge mit ironischer Gelassenheit betrachtet.
Die grössten Geister und die erfolgreichsten Geschäftsleute waren stets ein wenig planlos – jedenfalls, sofern man «Plan» im kleinlichen, pedantischen Sinne versteht. Ich für meinen Teil, liebes Publikum, kann mich noch an eine Zeit erinnern, so im letzten Jahrhundert, als die Wettbewerbsgesellschaft, in der wir glücklicherweise leben dürfen, noch einen deutlicheren Bezug zur Transzendenz hatte, als etwa «Erfolg» oder auch «Berühmtheit» noch Konzepte waren, die mit schicksalhaften Beigaben begriffen wurden. Das spätmoderne Konzept von «Geschäftsmann» beispielsweise kommt mir hingegen oft so vor, als kennte es überhaupt keine Transzendenz, keinen jenseitigen Funken, keine übersinnliche Beigabe; in seinem Zentrum steht nichts, was nicht rein menschlich wäre. Wie schade. Und wie falsch. Schliesslich ist Transzendenz laut Duden «das jenseits des Gegenständlichen Liegende, das Überschreiten von Grenzen der Erfahrung und des Bewusstseins» – und ein glückliches, erfüllendes Arbeitsleben, zum Beispiel, ist gewiss nicht der schlechteste Weg dahin. Also reduzieren Sie Ihre Pläne. Aber beschweren Sie sich dann nicht bei mir, wenn das Ganze den Bach runtergeht.
9 Kommentare zu «Braucht man immer einen Plan?»
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Brecht 😉
Da gibt es doch so einen Satz…“weil das Leben sich nicht immer an unsere Pläne hält“. Die Herkunft des Satzes ist wohl vielen bekannt.
Doch übertragen auf mein Leben, muss oder darf ich feststellen…nein wundern echt, wundern dass es mich noch gibt. Denn, das persönliche Schicksal kümmert es nicht, was du für Pläne hast. Es erfüllt sich mit oder ohne das eigene Zutun. Die, die glauben ES „geschafft“ zu haben, vergessen vielleicht, dass viele Faktoren, die nicht nur von ihnen abhängen, sondern auch innerhalb einer Gemeinschaft, wie immer sich diese benennt, mitspielen.
If you fail to plan, you plan your failure…