Hinter den Kulissen

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Ein Teil des Universums ist verloren gegangen, meine Damen und Herren, und das nennt man Supervoid. So ungefähr. So ungefähr fühlte ich mich neulich auch in dieser Garderobe des Schauspielhauses Zürich. Siehe Bild. Aber Garderoben müssen so aussehen; sie müssen diese Stimmung ausstrahlen, die quasi das Gegenstück zur Bühne darstellt. Schein und Sein als Gegennarrative. Im Dualismus von Bühne und Garderobe spiegelt sich gewissermassen Nietzsches Antinomie vom Dionysischen und Apollinischen und damit auch der psychoanalytische Dualismus von Es und Ich. (Dies nur, weil wir das letzte Mal von Freud geredet haben.)

Der Blick hinter die Kulissen enthüllt uns, dass Geschmacksfragen nicht alles sind. Wenn eine Gesellschaft alles als Geschmacksfrage behandelt, zählt schliesslich nur das ästhetische Urteil und Geschmack wird zur Moral. Das führt zu Gelüsten anstelle von Leidenschaften, zu romanhaften Launen, Zierereien und Affenpossen … und zu Showformaten wie «Good Work». Das läuft auf E!, einem Fernsehsender, dessen Name aus einem Buchstaben und einem Ausrufezeichen besteht, was in etwa dem Alphabetisierungsniveau seiner Zielgruppe entsprechen dürfte. E! ist der Sender, der die Kardashians berühmt gemacht hat, und Kim Kardashian ist bekanntlich in dritter Ehe mit Kanye West verheiratet, von dem wiederum das Zitat überliefert ist «I am a proud non-reader of books», welcher Ausspruch wiederum den Vorsatz bildet zum letzten Buch von Joan Rivers, die Licht zu E! brachte, aber Joan Rivers ist jetzt im Himmel.

Okay, zurück zu «Good Work», einer Sendung, die von einem Fabelwesen namens RuPaul moderiert wird, das sich hier mit Ex-Playboy-Hasen und Real Housewives anhand praktischer Beispiele über die Fortschritte in jener Sparte der Chirurgie austauscht, die nicht immer zu Recht als die ästhetische bezeichnet wird. Ausserdem werden Verjüngungstechniken getestet, zum Beispiel Eigenblutmasken dank ausgequetschter Egel. Aww, the semi-bright lights on the outskirts of showbusiness! Wir wissen nur nicht, ob die stete und unmittelbare Berührung damit bildend auf Herz und Gemüt und in sittlicher Beziehung erziehlich wirkt.

Was würde Friedrich Nietzsche dazu sagen? Sich selbst wie ein Fatum zu nehmen, das war bereits Nietzsches Formel für Kontingenzbereitschaft; also für den Mut, der zu sein, der man mehr oder weniger zufällig ist. Statt die Zufälligkeit des Lebens als Ärgernis zu behandeln, wird sie zum Stimulanz. Amor fati! Das Selbst wird wirklich, indem es sich übersteigt. Das spätmoderne Selbst allerdings weist das Schicksal ab und trachtet nach Selbsttranszendenz, indem es Blutegel ausquetscht. Denken Sie mal drüber nach. Und: Nichts gegen «House of DVF». Ich freue mich schon auf die zweite Season. Bis übermorn.

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Selbsttranszendenz mit zerquetschten Blutegeln: Das Moderationsteam von «Good Work». Foto: PD

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