Bitte nicht!

Philosophen wie Konrad Liessmann und Kenneth Minogue haben festgestellt, meine Damen und Herren, dass spätmoderne Demokratien die Tendenz aufweisen, als moralisches Hyper-Subjekt das autonome Individuum zu entmündigen. Der Staat wird als «Nanny State» (wieder) zur Moralanstalt, wir erleben eine Art Verbotskultur: Sprechverbote, Rauchverbote, Fahrverbote, Verzehrverbote usw. Das kommt der Politik insofern entgegen, als sie Handlungsfähigkeit demonstrieren kann. Allerdings wirkt die asketische Sittendiktatur, in die das führen kann, nicht nur entmündigend, sondern auch entsolidarisierend, indem sie private Fragen der Enthaltsamkeit oft zu Fragen öffentlichen Wohlverhaltens macht. Deshalb haben wir hier ja auch schon dazu aufgerufen, gewisse Verbote der hypernervösen Mediengesellschaft graziös zu ignorieren. Was nun wiederum nicht hiesse, dass wir uns nicht dringend noch ein paar andere Verbote wünschen würden. Hier sind fünf:
1.
Crocs
Dieses Schuhwerk ist nicht nur eine Beleidigung fürs Auge, sondern auch noch aus Plastik. Lange nachdem die Träger das Zeitliche gesegnet haben, sind Crocs immer noch da. Zusammen mit Ratten und Kakerlaken werden sie den nuklearen Winter überstehen. Vorher aber sehe ich einen Millionen Tonnen schweren Müllcrocsstrudel von der Grösse Zentraleuropas jahrzehntelang im Nordpazifik kreisen. Verbieten wir die Dinger, bevor es zu spät ist.
2.
Selfies
Man macht keine Selfies beim Besuch von Gedenkstätten, Heiligtümern oder Grabanlagen. Das sind keine Sightseeing-Attraktionen, sondern: Orte der Kontemplation und des Gedenkens. Und man verzichtet auf Selfies, egal wo, sobald Menschen mit aufs Bild geraten könnten, die das in ihrem Schamgefühl oder Persönlichkeitsrecht verletzen würde. Zum Beispiel im Umkleideraum. Oder am FKK-Strand.
3.
Pornozähne
Eine der störendsten aller spätmodernen Körpermodifikationen sind diese ultraweiss gebleichten Zähne, die im Dunkeln leuchten. Verbieten! Bevor jemand geblendet wird.
4.
Ladenschluss
Gehört verboten. Denn freies Einkaufen ist gut für alle!
5.
Fortsetzungen
Uns reicht einmal «Wolverine», vielen Dank. Wir wollen keine Sequels von Superhero-Vampir-Trolldrama-Fantasy-Animationen mehr sehen. Oder Prequels. Oder 3-D-Versionen. Lasst euch mal was Neues einfallen. Please.
Bild oben: Die schönen Farben machen Crocs auch nicht besser. Foto: Rupert Ganzer, Flickr.
21 Kommentare zu «Bitte nicht!»
Kluger Mann, dieser Herr Tingler. Belesen. Unterhaltsam. Nur: «Freies Einkaufen ist gut für alle!»- es ist zu befürchten, dass er das ernst meint. Und tatsächlich an die Allmacht des Markets glaubt. Dass wäre zwar keine per se neue Erkenntnis (PT outet sich ja oft und gerne als Anhänger eines weitgehend schrankenlosen Neoliberalismus), aber doch schon fast ein Grund, ihn nicht mehr ganz so gut zu mögen. Think about, Dr. Phil – und zu dem Folgen von Mäggies Politik findet sich grad aktuell ein Beitrag auf der Tagi-Website. Titel: «Die Welt des Charles Dickens ist beängstigend modern».
Der Kapitalismus ist, mit all seinen augenscheinlichen Ungerechtigkeiten, ein System das funktioniert. Im Gegensatz zum Sozialismus und seinen subalternen Varianten. Man hat bei vielen Kommentatoren hier Blog den Eindruck, sie verwechseln Gleichheit mit Gerechtigkeit. Der schon in der Schule eingetriebene Gerechtigkeitsnagel sitzt so tief in deren Hirnen, scheinbar zu tief um an sich selbst zu glauben. Gleiche Chance sind gerecht, anderer Leute Geld verteilen nicht. Und ganz genau so meinte es auch Robespierre.