Ist Schönheit zeitlos?

Unlängst, meine Damen und Herren, gab ich dem Radio SRF 2 Kultur ein Interview, bei dem es um die Frage ging: Sind unser heutiges Schönheitsideal und unser heutiger Körperoptimierungswahn späte Nachfahren des antiken Schönheitsideals? Anlass für das Interview war eine laufende Ausstellung im British Museum mit dem Titel «Defining Beauty – The Body in Ancient Greek Art». Auf der Ausstellungsseite findet sich folgendes Zitat von Aristoteles: «The chief forms of beauty are order, symmetry, and clear delineation».
Dies ist natürlich nach wie vor gültig: Ob wir ein Phänomen, zum Beispiel einen anderen Menschen, als schön betrachten, hängt massgeblich ab von Harmonie, Symmetrie und Proportion sowie der Zugabe einer individuellen Besonderheit, beispielsweise einer attraktiven Lücke zwischen den Zähnen oder einem interessant platzierten Muttermal, also einem Etwas, einer Eigenheit, die Individualität und Charisma verleiht und dazu führt, dass der Reiz des Hinschauens grösser wird, weil die gesamte Erscheinung nun vielleicht ein bisschen paradox und jedenfalls faszinierend anmutet. Makellose Symmetrie wird (wie umfassende Makellosigkeit überhaupt) als weniger attraktiv empfunden.
Schönheit als Symmetrie und Proportion plus Besonderheit – das ist als Formel in der Tat ein zeitloses Ideal. Komplizierter wird die Sache, wenn man sich anschaut, was dahinterstand und -steht. Das dahinterstehende Ideal des klassischen Griechenlands hiess «Kalokagathie». Damit wird die Einheit des Schönen und Guten proklamiert, also die Idealvorstellung der körperlichen und geistigen Vortrefflichkeit (oder «Schönheit und Gutheit») eines Menschen. Diese seit Platon gängige Idee der Einheit vom Wahren, Guten und Schönen in einer Person bestimmt Schönheit als Ausdruck einer insgesamt harmonischen und souveränen Persönlichkeit; die Verbindung von körperlicher Schönheit und geistigen Vorzügen erscheint als gesamthafte Vortrefflichkeit (griechisch «Arete») eines Menschen, bei dem die Affekte und sittlichen wie geistigen Kräfte in einem ausgeglichenen und damit auch als ästhetisch schön empfundenen Verhältnis stehen. In der mittelalterlichen Epik sprach man von der «Schönen Seele». Ein Mensch war schön, weil er gut, und gut, weil er schön war.
Für Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, scheint dieses Ideal ungebrochen in die Spätmoderne fortgeschrieben zu sein. Ullrich stellt nämlich fest: «Jeder Besucher eines Wellness-Hotels bekennt sich heutzutage zur Kalokagathie, ja ist der Überzeugung, dass wahre Schönheit von innen kommt.» Ich schätze Herrn Ullrich sehr, aber hier liegt er für meine Begriffe ein wenig daneben. Erstens bedeutet Kalokagathie nicht, «dass wahre Schönheit von innen kommt», es handelt sich um ein ganzheitliches Konzept wechselseitiger Bedingung und Durchdringung von Innen und Aussen, nicht um eine eindimensionale Kausalität.
Zweitens scheint zwar die Vorstellung von «Wellness» in der Tat zu einer Art diesseitigem Massenideal für eine spirituell obdachlose Mittelklasse geworden zu sein; aber selbst die ist nicht so ganz überzeugt, dass Schönheit von innen kommt. Will sagen: Man optimiert vorsichtshalber getrennt in allen Sphären. Will sagen: Man pflegt zwar immer noch das Ideal, dass man bitte innen und aussen schön sein sollte, setzt dies aber so um, dass man einerseits den After-Work-Meditationsworkshop besucht und sich andererseits prophylaktisch, sollten die Meditationen zur Schönheit nicht in gewünschtem Ausmass beitragen, lieber doch gleich noch eine neue Nase machen lässt. Also nichts mehr mit ganzheitlicher Durchdringung. Stattdessen: spartenweise Perfektionierung. Und das kann mitunter ganz schön anstrengend sein.
Bild oben: Natalie Portmans Gesicht entspricht dem menschlichen Schönheitsideal von allem Promis am besten – das ist wissenschaftlich bewiesen. Foto: Getty
12 Kommentare zu «Ist Schönheit zeitlos?»
Diverse wissenschaftliche Studien zum Thema haben gezeigt, dass Schönheitsmerkmale universell sind und dass der Mensch, ob er will oder nicht, auf die reine äussere Schönheit anspricht. Das scheint biologisch so angelegt, und da können die Gutmenschen noch so auf die inneren Werte pochen (die allerdings auch wichtig sind!). Sonst gäbe es nicht die ganze Schönheitsindustrie…
„orandum est ut sit mens sana in corpore sano“ juvenal, als zeitloser beobachter 😉
ich wünsche allen frohe ostern!
Von Juvenal – ein Ideal. Wir wollen es hoffen. Der Körper altert aber schneller – als der Geist. (Ist aber nicht von Seneca; nur eine spontane Feststellung auf mich bezogen).
Und ‚Juvena‘ ist eher für den Körper und die Frauen.
Ich bin weder Platoniker noch Hegelianer. Und suche nie das absolut Ideale. (Sisyphos-Arbeit).
Schönheit liegt v.a. im Auge des Betrachters. (Subjekt-Objekt). Sollten diese Betrachter eine Art kollektives (Unter)bewusstsein haben, sehen sie eben ähnlich auf die Objekte (ihrer Begierde).
Die Wahrnehmung von Symmetrie ist genetisch immanent. Von daher kommt unsere ästhetische Sehnsucht. Das Bild hat sich über die Zeit allenfalls graduell gewandelt. Das Ideal „pendelt“ stets nur um das menschliche Skelett. Da gibt es Rehe, Kühe oder Elefanten…Korrekturen an der eigenen Erscheinung sind nur innerhalb der biologischen Grundform möglich, so wenig, wie aus einem Sperling trotz aller Künste kein Papagei wird.
Optimierungen sind und bleiben möglich. Wer aber gibt das Ideal vor?
Heute die Presse. Noch. Morgen das Internet. Und übermorgen? Individualität? Könnte „lustig“ sein…
Ich bin gross gewachsen und habe eine krumme Nase. Sonst würde man mich gar nicht zur Kenntnis nehmen. Das hat mein Selbstbewusstsein derart gestärkt, dass ich mich mit dem suboptimalen Zustand abfinde, ohne Meditationskurse zu besuchen. Die Mode kann ja ändern.