Die Katalognase ist die neue Cordhose

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Wir widmen uns ja an dieser Stelle gelegentlich, meine Damen und Herren, den Ungleichzeitigkeiten unserer Gegenwart, und ein Zeichen dieser Asynchronität der Spätmoderne ist auch das Zeichen, das ich für Sie fotografiert habe: der Mann mit Hut aus den Fünfzigerjahren als Symbol des Fussgängers. Ein anderes Bild aus den Fünfzigern hingegen, wir erwähnten es bereits, ist nicht mehr valide: Der Jolly Fat Man (JFM) in den besten Jahren ist in unserer kategorischen Wohlfühlgesellschaft, die ihre Schönheitsideale gerne hinter Gesundheitshysterien versteckt (als ob dies besser wäre), definitiv nicht mehr gefragt. Mit anderen Worten: Früher hatten wichtige Manager einen Bauch, heute haben sie gern Marathonfiguren.

Das Körperbild hat sich also geändert, wenngleich ebenfalls ungleichzeitig: Jenseits des Prekariats sind die einzigen Leute, die sich noch gehen lassen (dürfen): Akademiker, sowohl Natur- wie Geisteswissenschaftler, die interessanterweise immer noch regelmässig ein stark tabuisiertes Verhältnis zur Leiblichkeit haben. Besonders zu ihrer eigenen. In diesem Milieu findet eine stillschweigende Verleugnung und Abwertung des Körperlichen statt, denn Körperlichkeit assoziiert das akademische Milieu offenbar gern mit: sprühgebräunt, tätowiert und bildungsfern. Diese Leibfeindlichkeit ist selbstverständlich oft bloss motiviert durch die übliche Mischung aus rationalisierter Scham und fehlgeleiteter Eitelkeit. Heimlich träumen die Leibfeindlichen von einer Welt ohne Schönheitsstreben. Nun lässt sich das spätmoderne Schönheitsstreben füglich kritisieren; doch der Hauptgrund besagten Träumens scheint zu sein, dass eine Welt ohne Schönheitsstreben so herrlich einfach fürs akademische Milieu wäre.

Wiederum andererseits sind orangefarbene Sprühbräune, sichtbare Implantate und wasserstoffgebleichte Zähne in anderen Milieus, auch jenseits von Essex, zu Statussymbolen geworden und erfüllen ihre Träger mit einem ganz neuen Stolz auf ihr Aussehen: als etwas, zu dem sie etwas beigetragen haben; etwas, wofür sie gelitten, Opfer gebracht haben. Gern signalisiert man sich gegenseitig, dass man sich beispielsweise eine neue Nase leisten kann, auch wenn man dafür per Easyjet nach Osteuropa fliegt, und jeder sieht, dass es sich um eine Katalognase handelt. Ja, die Osteuropäische Beauty-Queen-Nase (OBQN), von Mutter Natur selbst gar nicht hergestellt, wurde quasi zur neuen Cordhose: Ausweis einer Biederkeit, der das Anpassungsinteresse über alles geht. Um Norbert Bolz zu paraphrasieren: Hier zeigt sich jene spätmoderne Inversion der Teleologie vom richtigen Leben zur Selbstbehauptung, die das gute Leben zugunsten des vermeintlich guten Aussehens verdrängt hat. Was sagt das über die Zeiten, in denen wir leben? Think about it. Bis übermorn.

FRANKFURTER BUCHMESSE, FRANKFURTER BUCHMESSE 2013,

Hat wohl nicht nur die Nase aus dem Katalog: Reality-Sternchen Daniela Katzenberger. Foto: Keystone

 

11 Kommentare zu «Die Katalognase ist die neue Cordhose»

  • Sevi sagt:

    Schöner Eintrag. Norbert Bolz würde vielen Menschen vutbtun als Gute Nacht Lektüre…

    • Sevi sagt:

      Schöner Eintrag. Norbert Bolz würde vielen Menschen gut tun als Gute Nacht Lektüre…

      Sry für den Schreibfehler…

  • James Cordy sagt:

    Unserer ‚Baby-Boomer‘ Generation bleibt aber auch nichts erspart. Bis 68 arbeiten – und dann kommt noch die Cordhose zurück, schleichend seit 3 Jahren schon. Aber dann bitte eine feingerippte von Lee Cooper in meiner passenden, ungeraden Halbgrösse (kontinental-europäisch), d.h. 37 (+4). Und dann mit 69 mit Normaljeans – wieder ans Woodstock. Jimi(iii) wir kommen – dann eben etwas später …

  • Stolze, Therese sagt:

    Guter Text!
    Zeigt schön auf, dass die Haltung „das leiste ich mir“, kombiniert mit „aber ich schaue dann schon auch, ob ich das beste Preis-Leistungs-Verhältnis kriege“ von den Kunden und Kundinnen schon längst auch auf die Schönheitsoperationen angewendet wird. Eine neue Nase ist nichts anders als ein neues T-Shirt. So, zumindest, will es die Werbung.
    Das heftig beworbene „Gönn-dir-was-Lebensgefühl“ hat dazu geführt, dass Schönheitsoperationen, da für Geld zu haben , als erstrebenswert angesehen werden. Wären sie gratis, wäre keiner mehr interessiert.

    • James Cordy sagt:

      Wenn einem das sogar von einer Claudia Schiffer eingebläut wurde. Obwohl es sich dabei um ganz normale Kosmetik-Produkte handelt, wenn auch der weltweit grössten Firma. Auch für uns Männer scheint die Pitralon-Zeit vorbei zu sein. Ob die Claudia auch für mich etwas ‚parat‘ hätte? Ich meine, immerhin ein ‚Müsterli“ …

  • Anh Toan sagt:

    Was soll man denn mit der Kohle machen, wenn man nicht mehr fressen, nicht mehr saufen, keine Zigarren mehr rauchen, keinen Wohnraum mehr verschwenden und keine Sportwagen mehr fahren darf und dennoch in unserer Leistungsgesellschaft finanziell erfolgreich sein muss? Die Pflege und Gestaltung der eigenen Schönheit ist die letzte politisch und, sofern auf Flugreisen verzichtet wird, ökologisch korrekte Ausschweifung. Wird auch dies noch verpönt oder gar verboten, kann man auch gleich von Sozialhilfe leben.

  • Meinrad Thomas Angehrn sagt:

    Oh, ich wusste gar nicht, dass man Norbert Bolz überhaupt paraphrasieren kann. Bei der Lektüre beschleicht mich immer wieder das Gefühl, Bolz leide an einer Art von literarischem Dichtestress, den er sich indes selbst auferlegt. Bisweilen denke ich: Ach, Herr Bolz, hätten Sie diesen wirklich interessant scheinenden Satz nicht noch ein ganz klein wenig mehr ausführen können, bevor Sie zum nächsten Satz springen? Nun, vielleicht reichen meine kognitiven Fähigkeiten und vor allem meine generelle Assoziationsfähigkeit für Bolz nicht aus. Immerhin ist die obige Paraphrase verständlich. Danke.

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