Der Zauber von Frau Kidman

Die Berlinale ist vorbei, meine Damen und Herren, und Nicole Kidman war da, und ich habe endlich «Grace of Monaco» gesehen, jenen Film, der letztes Jahr die Filmfestspiele in Cannes eröffnet hat und den, soweit ich es überblicke, alle schrecklich fanden, kitschig, platt, inakkurat, und ausserdem: «Not Nicole Kidman’s finest hour», wie der «Guardian» befand. Jaja, die glatte Stirn, die roten Augen. Aber ich liebe Nicole Kidman. In einer Zeit, in der wir andauernd von 15-Minuten-Berühmtheiten geplagt werden, sind echte Stars eine Seltenheit: quasi das Gegenteil von «Reality». Nicole Kidman ist so ein unfassbares Wesen – sogar wenn man ganz nah ran geht.
Ich bin mal ziemlich nah ran gegangen. Das war in Hongkong. Frau Kidman trug ein nachtblaues Kleid von Nina Ricci, das ihren makellos modellierten, alabasterblassen, mit einigen goldenen Sommersprossen besprenkelten Leib sehr vorteilhaft umschloss, zahlreiche Brillanten und hohe Absätze von Pierre Hardy, die sie noch grösser wirken liessen. In der Tat erschien sie irreal, nicht ganz von dieser Welt, bezaubernd. So stand sie vor der Bühne und feuerte mich an. Im Ballsaal des Four Seasons Hotel. Auf der Bühne also ich. Singend. Im Publikum die Haute Volée der Metropole am Pearl River, die Tausende von Hongkong-Dollar pro Person bezahlt hatte, um dabeizusein.
Allerdings nicht direkt, um mich singen zu hören. Schon eher, um Keith Urban singen zu hören, den vielfach ausgezeichneten neuseeländisch-australischen Country-Rock-Pop-Crossover-Sänger-Songwriter, der nicht nur in den USA überaus bekannt ist und neben mir auf der Bühne stand. Wir sangen zusammen (wenn auch nicht so ganz) «Top of the World», jene legendäre Nummer von den Carpenters, und im Gegensatz zu mir kannte Keith den Text. Im Gegensatz zu mir hatte Keith auch im Voraus gewusst, dass er hier auf der Bühne stehen und singen würde.
Direkt nachdem er mich aus der Mitte des Ballsaals aufs Podium gerufen, hatte er mir zugeflüstert, es sei kein Problem, der Text stünde da auf einem Blatt Papier auf dem Fussboden. Aber dort standen nur die jeweiligen Strophenanfänge. Über den Rest half ich mir mit mehr oder weniger melodiösem Summen hinweg. Ich klang ein bisschen wie Elvis. Allerdings wie Elvis zu seinen dunkelsten Las-Vegas-Zeiten. Der Saal schien übrigens mit der Show mehr als zufrieden, und ziemlich happy wirkte auch Keiths Ehefrau, die bezaubernde Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman, die direkt vor mir im Publikum stand und uns anfeuerte.
Frau Kidman ist einer der bekanntesten Filmstars der Welt, und ihre Anwesenheit im Ballroom des Four Seasons war wohl ebenfalls ein Grund für viele, wenn nicht vielleicht sogar die meisten Mitglieder der Haute Volée gewesen, die zehntausend Hongkong-Dollar pro Gedeck zu bezahlen. Das nennt man fachsprachlich «table sponsorship» und dient regelmässig einem guten Zweck, in diesem Falle der Unterstützung von Unifem, dem Frauenhilfswerk der Vereinten Nationen, für das Frau Kidman als ehrenamtliche Botschafterin amtet. Weiterhin amtet Frau Kidman (mutmasslich allerdings nicht ehrenamtlich) als Botschafterin für eine schweizerische Uhrenmarke («Markenbotschafterin» ist auch so eine spätmoderne Zuweisung), und dieser Abend bot Gelegenheit, beide Funktionen zu verbinden, denn es ward, quasi direkt von Frau Kidmans Handgelenk, eine weissgoldene, brillantenbesetzte Damenarmbanduhr zugunsten von Unifem versteigert.
Besagter Versteigerung ging eine internationale Pressekonferenz mit Frau Kidman im Four Seasons voraus, bei welcher der Star aus «The Hours» und «Australia» auf mich deutete, der ich zufällig in der ersten Reihe sass, und ankündigte: «And Philipp here is going to sing a small number tonight. That shows you how the night’s going. Philipp is from Switzerland, and I am not sure if he is a singer or . . . He said he is leaving now . . . you never know. Come on, we’re going to have fun, right? Anything for charity.»
Genau: Anything for charity. Und man kann Frau Kidman sowieso nichts abschlagen, denn sie ist bezaubernd. Ihre Wirkung ist bestrickend, lähmend, leicht überwältigend. Als ich ihrer zum ersten Mal ansichtig wurde, da ward ich betört. Noch mehr, als sie mir den Arm um die Schulter legte. Frau Kidman wirkt freundlich und touchy, ein australisches Chick eben, sie wirkt so bodenständig, dass man sie sich ohne weiteres in Flip-Flops und mit einer Dose Coopers beim Barbecue vorstellen kann – und andererseits scheint sie jenseits jeder Realität zu existieren, sie hat diese ätherische, beinahe weltflüchtige Qualität, dieses feenhaft Entrückte, nicht von dieser Welt. Starqualität.
Selbstverständlich hatte ich, als mir Frau Kidman am Nachmittag den Arm um die Schulter legte, noch nicht den Schimmer einer Ahnung, dass ich ein paar Stunden später mit ihrem Ehemann auf der Bühne stehen würde. Getreu dem zeitlosen Wort des Dichters John Steinbeck: «A journey is like marriage. The certain way to be wrong is to think you control it.»
Ein Symbol der Künstlichkeit?
Frau Kidman wird oft genug als Symbol von Künstlichkeit wahrgenommen, als eine Ikone jener strahlenden, aber leeren und ausdruckslosen, spielzeughaften Schönheit, in der manche Beobachter (und vor allem: Beobachterinnen) ein Ideal unserer Zeit kritisieren. Sie selbst hat dieses Image in ihrer Rolle der Roboterfrau aus «The Stepford Wives» glänzend parodiert – doch es gibt jenseits der Parodie nicht wenige, vermeintlich reale Bilder von ihr, auf denen sie ziemlich aussieht wie ebenjene Joanna Eberhart aus Stepford, Connecticut. Und selbstverständlich ist ihr Aussehen das Produkt harter Arbeit; niemand sieht einfach so so aus wie Nicole Kidman, auch sie selbst nicht, wie man mühelos feststellen kann, wenn man sich Bilder von ihr ansieht, die ein paar Jahre alt sind.
Die amerikanische Zeitschrift «Vanity Fair» hat unlängst in einer Hommage an Grace Kelly geschrieben, heutzutage sei man, im Gegensatz zu Kellys Tagen, bei Schönheit nicht a priori respektvoll und leicht eingeschüchtert, sondern erst mal misstrauisch, weil man sie für künstlich, manipuliert, gekauft halte. Doch war, als ich sie sah, inmitten von Glas und Gold, nichts Künstliches an Nicole Kidman. Sie verfügt über ganz ausgezeichnete Waden und einen Glamour, der gleichzeitig kühl und fragil wirkt, nicht unähnlich dem von Grace Kelly. Vielleicht war sie deshalb doch geradezu hintergründig perfekt für diese Rolle.
Ihre Gegenwart ist Gegenwart, alles andere versinkt irgendwo weit hinten im steten Fliessen der Zeit. Sie ist eine Fee, die auf dem Boden steht, sie wirkt rege und interessiert und auch ein bisschen scheu und überwältigt, girlish, und gleichzeitig ist da dieser Abstand, jene unüberbrückbare Distanz, die Teil der Psyche der Berühmtheit ist. Die kirschroten Lippen schwimmen im porzellanenen Teint, die Augen sind zwei lichtblaue Sterne, gross und packend. Starqualität. Etwas, das sich nicht erarbeiten lässt. Und ich möchte nur der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass Frau Kidman ihre Stirn in Falten legen kann.
Wir sprachen über Dim Sums und den «National Enquirer» und über Jennifer Aniston, die eine bezaubernde Person sei, sagte Frau Kidman, und einen ernsten Kern habe. Wir sprachen darüber, wie es ist, wenn man sein eigenes Konterfei auf einer Briefmarke wiederfindet, und dann fragte ich, ob sie heute Abend singen würde, zur Begleitung ihres Ehemanns. Schliesslich hat Frau Kidman mit grossem Erfolg in «Moulin Rouge» gesungen und auch in «Nine» und mit Robbie Williams das Duett «Somethin’ Stupid». Letzteres war seinerzeit die Weihnachts-Nummer-Eins im Vereinigten Königreich.
Nein, erwiderte Frau Kidman, sie fände ihren Gesang nicht gut genug. Ausserdem sei sie zu scheu, also wohl nicht. Pause. Die lichtblauen Augen. Aber wenn sie ein Lied sänge, fügte Frau Kidman hinzu, dann würde sie das mir widmen. Dies, antwortete ich, fände ich supi sweet. Pause. Oder, fuhr Frau Kidman fort und die lichtblauen Augen leuchteten auf wie zwei Scheinwerfer, oder – wie wäre es denn, wenn ich, der ich ihr hier gegenüber sitze, heute Abend sänge. Nicht so super, erwiderte ich. Doch, doch, insistierte Frau Kidman, das könnte ich doch mit Keith zusammen machen, der sei gar nicht scheu auf der Bühne, im Gegensatz zu ihr.
Sie kennen den Rest der Geschichte. Sie endete mit der Wohltätigkeitsgala «A Night with the Stars» und mit mir auf der Bühne des Grand Ballroom im Four Seasons vor zweihundert Gästen und Lokalberühmtheiten, die von ihren Sitzen aufgestanden sind und tanzen und jubeln. Ganz vorne jubelt Frau Kidman in Nina Ricci, Keith Urban umarmt mich, und das war’s. Nun, nicht ganz. Es folgt noch die Versteigerung. Schliesslich und insgesamt kann Unifem ein gigantischer Scheck in Höhe von über einskommadrei Millionen Hongkong-Dollar überreicht werden. Und ich kann wohl sagen, dass auch ich meinen bescheidenen Beitrag dazu geleistet habe. Anything for Charity. Übrigens ernte ich viel Zuspruch für meinen Auftritt. Aber da ist Frau Kidman längst entschwunden. Es bleibt ein Hauch von Feenstaub.
Bild oben: Nicole Kidman an der Berlinale 2015 während der Premiere von «Queen of the Desert». Foto: Andreas Rentz (Getty)
18 Kommentare zu «Der Zauber von Frau Kidman»
Es ist immer wieder eine Freude Philipp Tingler’s akrobatische Wortkunst aufzusaugen – besten Dank und grand Chapeau!
Dr. Tingler, Sie sind zu beneiden! Für die tollen Texte und dafür, dass Sie sich offensichtlich persönlich vom mit goldenen Sommersprossen besprenkelten Leib Nicole Kidmans überzeugen durften.
Immer wieder gerne gelesen, so auch heute: Wunderbar, Ihre Schreibe. Vielen Dank.
Frau Kidman hat die Grösse einer Hepburn. Und sie wird gefeiert werden, wie eine Loren. Jede Frau dieses Kalibers hat Fehler begangen wie die eines Cruises, aber hey, wer solche Fehler nicht begeht, ist kein Mensch. Sehr süss wie sie mit Jimmy Fallon flachst.
Aber wenn wir schon von Göttinnen sprechen, Herr Gretener, ergänze ich immer gerne. Auf f.“DS“. Aber ‚womans first;‘ MM, BB, CC; natürlich auch die Jane Mansfield; weil die Sophia Loren mit ihrem Blick – ein bisschen neidisch auf sie wirkte. Die Auto-Göttin war die DS-19 von André Citroen. Später liiert mit Maserati als „SM“. Aber auch die Gina Lollobrigida will ich erwähnen. In Italiia „Cinema Paradiso“; dann wird es felinesk: Anita Ekberg kam aus Schweden. In F wird aber ein schönes Dekolleté – immer auch ‚Lollo’s“ – genannt. Aber „l’Homme qui aimait les femmes“ – war von François Truffaut.
Wenn aus Dr. Philipp ein Tom wird, dann macht einem Herr Tingler Kummer.