Traffic Snobs

Joan Rivers Memorial Service

Traffic Snobs. Was ist das denn nun schon wieder, höre ich Sie fragen, meine Damen und Herren. Nun, mit diesem Titel bezeichnete das britische Magazin «Tatler» unlängst jene offenbar wachsende Schar von Menschen, die sich niemals in öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen und auch nicht selbst Auto fahren. Nun gibt es natürlich verschiedene Gründe, nicht selber Auto zu fahren, etwa weil man sich davor fürchtet, wie Lena Dunham zum Beispiel, oder weil man schlicht keinen Führerschein hat, wie Robbie Williams zum Beispiel. Oder weil man irgendwann ein Schlüsselerlebnis hatte, wie Barbra Streisand in den neunziger Jahren, als sie eines Tages die Rampe zum Highway in die falsche Richtung befuhr. Daniel Craig hingegen war nicht in der Lage, für den James-Bond-Film den Aston Martin DB5 mit Gangschaltung zu steuern (der Mann sprach mir aus der Seele, als er sagte: «Mit Gangschaltungen kenne ich mich nicht aus.»).

Traffic Snobs allerdings fahren nicht selbst, weil sie sich zu fein dafür sind. Aber vor allem benutzen Traffic Snobs kategorisch keine öffentlichen Verkehrsmittel (seit dem Wegfall der Concorde zählen für diesen Personenkreis auch kommerzielle Flugzeuge zu den öffentlichen Verkehrsmitteln; abgesehen vielleicht von der Ersten Klasse bei Singapore Airlines). Ich nun für meinen Teil möchte, auch wenn Sie es vielleicht von mir nicht erwarten, dagegen jetzt und hier mal eine Lanze für öffentliche Verkehrsmittel brechen! Zum Beispiel benutzte ich neulich in Zürich ein Tram der Linie 11, das die weltbekannte Bahnhofstrasse hinunterfährt, und die Fenster der vorletzten Tramtür waren mit Streifen beklebt, auf denen zu lesen stand: «Türe Defekt». Trotzdem versuchten diverse Fahrgäste, per Knopfdruck die fragliche Türe zu öffnen, sowohl von innen wie von aussen, und ich vergass für einige Augenblicke alle meine Sorgen, indem ich mich innerlich darüber mokierte, wie töricht doch diese armen Menschen waren, es stand schliesslich gross und breit an der Tür, dass sie nicht ginge, und an dieser Stelle musste ich aussteigen und dachte: «Nanu, wieso geht denn die Tür nicht auf?»

Oder neulich, als ich mit Richie, dem besten Ehemann von allen, mit der Berliner Untergrundbahn von Charlottenburg Richtung Mitte fuhr, und an der Deutschen Oper (ausgerechnet) stieg eine namentlich unbekannt bleibende junge Dame zu, die einer anderen (mutmasslich) jungen Dame namens Leonie ihre Geschichte vom letzten Wochenende erzählte, am Telefon, und zwar begann dieses Wochenende mit einem Besuch im Wohnheim bei einer gewissen Anita sowie mit jeder Menge «Wodka Limone». Aber dann wurde Anita schwierig und wollte nicht mit in das von der mobiltelefonierenden Dame vorgeschlagene Tanzlokal, und zwar weil ihr der Eintritt zu teuer war, «obwohl ick dit schon auf drei Euro runterjehandelt hatte, weesste», wie die junge Dame am Telefon hinzufügte, und an dieser Stelle fuhr der Zug in die Station Wittenbergplatz ein. «Ich will aber nicht aussteigen», erklärte ich Richie, «ich will wissen, wie die Sache mit Anita ausgeht. Die stellt sich ja ganz schön an, diese Anita. Und wie macht man eigentlich Wodka Limone?»

So kann man in öffentlichen Verkehrsmitteln einen Draht zu seinen Mitgeschöpfen entwickeln, ohne notwendigerweise direkt in Kontakt mit ihnen treten zu müssen, man erfährt, was sie umtreibt und belebt, wie neulich, als ich in der sogenannten Skymetro im Zürcher Flughafen stand, die ja ebenfalls ein öffentliches Verkehrsmittel ist, mit über sechs Millionen Fahrgästen im Jahr, und eine aschblonde Dame, deren Gesichtszüge jene Durchbildung zeigten, die üblicherweise das Werk eines schweren, bewegten Lebens darstellt, erklärte am Telefon: «Das schaffe ich nicht, ich muss zum Friseur um halb vier und bin zu spät.» Und alle sahen auf die Uhr.

Natürlich darf die Fahrt nicht zu lange dauern. In öffentlichen Verkehrsmitteln, meine ich. Dann steige ich sofort aus und winke mir ein Taxi. Aber nicht, weil ich ein Traffic Snob wäre. Sondern weil ich mich ganz gerne mit den Taxichauffeuren unterhalte. Auch wenn ich dabei bisweilen ohne es zu wollen oder wünschen so Sachen erfahre wie dass die seit 17 Jahren nicht mehr mit ihrer Ehefrau namens Mildred geschlafen haben (sowas erfährt man allerdings beim Taxifahren nur in Berlin, selbstverständlich nicht in Zürich, wär’ ja noch schöner).

Bild oben: Selber fahren ist für Loser. Foto: Getty Images

6 Kommentare zu «Traffic Snobs»

  • Nina sagt:

    «Das schaffe ich nicht, ich muss zum Friseur um halb vier und bin zu spät.» Und alle sahen auf die Uhr.

    Hier musste ich tatsächlich laut loslachen. Hab mich und meine Pendlerfreunde herrlich wiedererkannt. Danke für den amüsanten Unterbruch am Mittwochnachmittag!

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