Die Oberschenkel der Nation

Sie ist zurzeit die beste Skifahrerin des Schweizer Teams: Lara Gut. Wegen ihres ansprechenden Äusseren nennt das nationale Boulevardblatt sie gern auch Ski-Schätzchen, was Gut aber nicht so gern hört und deshalb den «Blick» bat, auf diese Bezeichnung zu verzichten. Gegen andere Idiotien allerdings ist auch sie machtlos. So gab sie dem «Blick» am Wochenende ein Interview zu ihrem Sieg in St. Moritz. Titel: «Ich akzeptiere, dass ich keine Model-Figur habe».

Entschuldigung, was? Lara Gut berichtet im Text von ihrem langfristigen Aufbautraining, ausgerichtet auf Athletik, Kraft und Schnelligkeit. Das beinhalte auch eine Grundsatzentscheidung, so Gut: «Man muss wissen, was man will, akzeptieren, dass man keine Topmodel-Figur haben oder Skinny Jeans tragen kann, wenn man auf einer Abfahrt schnell sein will.» Das ist ja grundsätzlich interessant. Aber anstatt nachzufragen, was sie antreibt, wie sie sich motiviert, wie sich das Leben als Spitzensportlerin gestaltet, folgt die dümmliche Frage: «Hätten Sie manchmal gerne dünnere Beine?» Um auf ihre abwehrende Antwort festzustellen: «Sie sind auch in Sachen Ernährung sehr diszipliniert.» Wenigstens das, dann besteht ja noch Hoffnung.

Man kann dem Sportreporter wohl kaum einen Vorwurf machen. Schliesslich besteht die Hauptqualifikation für diesen Beruf vornehmlich darin, schwitzende Menschen danach zu fragen, wie sie sich jetzt fühlen. Um die Implikationen dieser Frage zu verstehen, braucht es eben ein Mindestmass an Intelligenz. Deshalb übersetze ich es hier mal kurz, wie ich die Frage an Guts Stelle verstanden hätte: «Schön, dass Sie erfolgreich sind, Frau Gut, aber was für ein Opfer Sie da bringen! Dabei sind Sie ja richtig hübsch! Ohne Sport hätten Sie vielleicht sogar Model werden können!»

Ich weiss, es ist müssig, sich darüber aufzuregen. Ich weiss um die Unvermeidlichkeit, mit der Frauen über ihr Äusseres wahrgenommen werden und sich auch selber darüber definieren, ich würde sogar sagen, das ist eine Bedingung sine qua non des weiblichen Geschlechts in unserer Gesellschaft. Aber verdammt, steht Frau Gut als Frau im Zentrum der Öffentlichkeit – oder wegen ihres sportlichen Ausnahmekönnens? Was hätte Cuche einem Reporter geantwortet, wenn der ihn gefragt hätte: «Bereuen Sie es manchmal, schon eine Glatze zu haben?»

In der Öffentlichkeit zu stehen, hat einen Preis. Man muss sich von Medien und Zuschauern allerhand gefallen lassen, weshalb Frau Gut auf eine angemessene Antwort verzichtete. Ich würde ihr allerdings empfehlen, den Typ nächstes Mal wortlos stehen zu lassen. Oder zurückzufragen: «Wünschen Sie, lieber Journalist, sich manchmal nicht auch etwas mehr Scharfsinn als eine Seegurke?»

43 Kommentare zu «Die Oberschenkel der Nation»

  • Meier Bernhard sagt:

    Wie recht Sie doch haben! (ist doch einfach ein Einfacher Ihrer Gilde). Eigentlich (Dank Ihrem Sein, Wissen und Können) sollten Sie in überlegter/-ener Handlung nicht einem „berechtigten“ Ärger „dermassen“ verfallen; denn Sie wissen ja, dass vom Tabloiden-Format nichts Nahrhaftes kommt. Ich mag Ihre Beiträge auch. 🙂 😉

  • Markus Bachmann sagt:

    Frau Binswanger, seit Jahren erfreue ich mich an ihren eigenständigen, differenzierten Betrachtungen von Mensch und Welt in Interaktion. Auch bei diesem Artikel – völlig d’accord. Wenn man schon mal über Attraktivität sprechen möchte, sollte m.E. erwähnt werden, dass viele Menschen, eine durchtrainierte Sportlerin als schöner und attraktiver empfinden als iiiirgend ein Model (Leistungsfähigkeit contra Dekadenz). Machen Sie doch mal einen Test in Ihrem Bekanntenkreis oder noch besser online: Athletische Sportsbeine gegen muskelbefreite Zahnstocher-Model-Beine. Ich bin gespannt aufs Resultat.

  • Mike sagt:

    Hmja. Sport ist nunmal in erster Linie Showbusiness, und ausserdem dürfte Frau Gut auch den einen oder anderen Sponsoring-Vertrag haben, den sie ihrem Aussehen verdankt. Didier Cuche hat nie jemand auf sein Aussehen angesprochen, weil er nicht als attraktiv wahrgenommen wurde. Und über die Frisur und die Frauengeschichten von Ronaldo wird auch mindestens ebenso viel geschrieben wie über seine sportlichen Leistungen. Es war sicher ein doofes Interview, aber so zu tun, als würde das bei männlichen Sportlern nicht vorkommen, ist wohl auch etwas übertrieben.

    • Lia sagt:

      ich habe Lara Gut nur in der Ragusa-Werbung wahrgenommen, sonst nirgends, und da könnte sie genauso gut irgend eine Frau sein. Wenn man sie interviewt, weil sie sportlich Tolles geleistet hat, ist es eine Frechheit, sie nach ihrer Figur zu fragen oder danach, ob sie nicht lieber Model wäre. Das wird bei keinem Mann gemacht. Berichte über Tennisspielerinnen etc beginnen meist mit „die hübsche“ oder „die blonde..“, was bei einem Mann NIE zur Sprache käme.

  • Malena sagt:

    Junge attraktive Frauen profitieren von der übertriebenen Aufmerksamkeit auf schöne Körper und straffe jugendliche Gesichter, ältere und nicht mehr so attraktive Frauen kritisieren sie. Nichts neues unter des Sonne…

  • Max Bind sagt:

    Wieso diese krampfhaften versuche hier als nicht verbissen, feministisch oder was auch immer wahrgenommen zu werden. Nennen wir es doch beim namen: Dieses Interview war eine absolute zumutung, aber wahrscheinlich genau auf das beduerfnis der leserschaft zugeschnitten.

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