Land Vnter

Ich laufe also so unsere geliebte Bahnhofstrasse hinunter, meine Damen und Herren, auf dem Weg ins TRX-Training, und dann sehe ich das. Siehe oben. Im Eingang zu Louis Vuitton (und inzwischen natürlich längst wieder entfernt). Ich weiss nicht, ob es sich hier um eine gezielte Subversion handelte oder unbekümmerte junge Menschen ihrer überschäumenden Fröhlichkeit einfach freien Lauf liessen (offenbar klebt da häufiger mal was im Eingang zu Louis Vuitton); mit etwas gutem Willen kann man jedenfalls in den berühmten Initialen von Onkel Louis auch «Land Unter» erkennen. Siehe oben. Oder braucht man dafür schon ein ambivalentes Verhältnis zu Louis Vuitton? Well, ich will ungeniert einräumen: Ich habe ein leicht ambivalentes Verhältnis zu Louis Vuitton. Wiewohl man dort eigentlich immer freundlich zu mir war und mich an den America’s Cup an den Öresund eingeladen hat und zur Eröffnung des Flagship Store an die Champs Elysées. Und auch nach Asnières. Der frühere Pariser Vorort Asnières-Sur-La-Seine, mit dem Taxi eine runde Dreiviertelstunde vom Herzen der französischen Kapitale entfernt, ist der Stammsitz von Louis Vuitton.
Im Jahre 1859 errichtete Louis hier seinen Workshop (man sagt immer noch «Workshop», nicht etwa «Fabrik» bei Louis Vuitton) und dann, etwas später, auch den Familienwohnsitz. Bis 1977 war Asnières sogar die einzige Produktionsstätte weltweit. Das ist natürlich längst anders. Heute werden hier vor allem Spezialanfertigungen und Schrankkoffer sowie die Taschen aus exotischen Ledern und für Modenschauen gefertigt. Und zwar unter der Ägide von Patrick Louis Vuitton, Ururenkel von Louis Vuitton. Patrick Louis Vuitton ist in Asnières geboren und aufgewachsen. Er hat eine traditionelle handwerkliche Ausbildung zum Koffermacher hinter sich, absolviert im damals noch familieneigenen Workshop, natürlich, und ist seit rund 40 Jahren für die Reisegepäcksonderanfertigungen zuständig. Das heisst für so Sachen wie Schrankkoffer mit eingebauter Kaffeemaschine und solarbetriebenem Fernseher. Oder ein Köfferchen für die 40 iPods von Karl Lagerfeld.

So war das nicht gedacht: Alle tragen heute das berühmte Monogramm-Muster bei sich. Foto: Susanna A. (Flickr)
Mein Zwiespalt gegenüber der Marke Louis Vuitton rührt daher, dass ich im geistlosen Markenfetischismus der Achtzigerjahre aufgewachsen bin, und in dieser Zeit und auch noch nachher war das Monogramm-Muster von Louis Vuitton einfach ein bisschen – überpräsent, um es milde zu formulieren. Jedenfalls kein Ausweis von Distinktion. Vielmehr dessen, was Thorstein Veblen einst «Geltungskonsum» nannte. Bei neureichen Russen, zum Beispiel. Das Monogramm-Muster stammt übrigens nicht von Louis Vuitton selbst, sondern, ebenso wie das 1896 entworfene LV-Signet, von Vuittons Sohn, Georges Vuitton – der mit diesem neuen Design Fälschern das Handwerk erschweren wollte. Oh, die Ironie!
Bis heute wird das Monogramm-Muster gern mit Louis Vuitton schlechthin gleichgesetzt, und das ist falsch. Es ist nur Teil der immerwährenden Expansion der Marke. Louis Vuitton ist der dickste Goldesel des an Goldeseln nicht armen Luxusgüterkonglomerats LVMH, das die Mehrheitsrechte an über 60 verschiedenen Luxusmarken hält, und Louis Vuitton verkauft inzwischen unter anderem auch Schmuck, Uhren, Sonnenbrillen und Bekleidung für Damen und Herren. In der Tat dürfte das Geschäft mit Accessoires zu Louis Vuittons umsatz- und gewinnträchtigsten Feldern gehören, wie bei allen traditionellen Luxusmarken, deren eigentliche Produkte sich nur reiche Leute leisten können. Andererseits trägt das natürlich zur Allgegenwart des Louis-Vuitton-Monogramms bei, und diese Schwemme ist, wie ich nun aus eigenem Erleben sagen kann, nicht repräsentativ für das, wofür Louis Vuitton als Marke eigentlich stehen will und sollte. Nämlich die Werte, mit denen Monsieur Vuitton 1854 sein Geschäft begann und die mir sein Ururenkel Patrick zitiert hat: Qualität, Tradition und Innovation.
Bei Ikonen der Mode ist eine Zeitlosigkeit involviert, die eben mit Nutzen, Funktionalität und vielseitiger Einsatzfähigkeit einhergeht – wodurch die reine Mode wiederum transzendiert wird. Denn zur Ikone wird ein Stück auch durch Geschichte, die Summe der vielen Episoden, die wir mit ihm verbinden, durch die Zeiten und Epochen und Menschen, die es besitzen. Kurz: Es geht um die Verdichtung von gestern, heute und morgen in einem Objekt. Es gibt heute also quasi zwei Louis Vuittons. Einmal den ikonischen Koffer- und Taschenmacher, ein Sinnbild für diese Union von Tradition und Innovation. Und einmal die globalisierte Ladenkette. Und wahrscheinlich kann eins ohne das andere nicht leben. Bis übermorgen. Und wem Vuitton zu ostentativ ist, der kauft einfach Goyard.
Louis Vuitton stellt seine Jubiläums-Monogramm-Kollektion vor (September 2014). (Quelle: Louis Vuitton, Youtube)
Bild oben: Am Eingang von Louis Vuitton klebt häufiger mal etwas. Foto: Philipp Tingler.
15 Kommentare zu «Land Vnter»
Marken sagen, was man ist, geben Identität, vor allem denen, die sowas brauchen, wie neureiche Russen, zu Zuhälterinnen aufgestiegene Prostituierte oder zum Drogenhändler aufgestiegene Kleindealer. Fakes sagen dann, was man gerne wäre, wenn man es denn sein könnte. Aber Sie sagen, dies geschieht durch „Distinktion“, auf Deutsch heisst das, wie Sie wissen, Unterscheidung, also eine negative Definition von Identität, also sagen Marken, was man nicht ist, und Fakes dann, was man gerne nicht wäre, also letztlich sagen Fakes, was man ist.
Sie bringen mich so schön zum Denken Herr Doggter, es hilf
Viele denken teure Markenartikel vie Luis Vuitton, Guess, DC, … sind ein Statussymbol. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Jeder dahergelaufene Student kann sich sowas zulegen, wenn er nur ein paar Stunden nebenbei arbeitet und was dazuverdient. Die richtig Reichen, die haben andere Statussymbole… Z.B. Platin-Kreditkarte.
Ich muss immer wieder feststellen, dass mein nahezu vollständiges Desinteresse an Modemarken eine ungeheure kognitive und emotionale Entlastung darstellt.
LV gehört ja inzwischen zum grossen Konzern ‚LVMH‘. Ich weiss nicht, wieviele Sattlermeister sie dort noch beschäftigen. Zu sog. ‚Sac à mains‘ habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Weil die Damen wühlen immer darin herum. Was sie suchen, liegt wohl meist ganz unten. ‚MH‘ tönt schon besser, wie ‚Mein Hennessy‘. Zu einem „Rp. = Réserve du Patron‘ – recht es aber leider selten.
Auf der anderen Seite kann es ganz unterhaltsam sein, wenn Damen ganz unten in ihren LV-Taschen einen ‚Pariser‘ suchen. Denn Monsieur war wieder einmal ’sans sac‘ unterwegs…
Etwas ratlos bin ich jeweils, wenn ich jene totenbleichen jungen Männer mit eifelturmhoher Frisur und spindeldürren Beinen beobachte, die eine Tasche von Louis Vuitton mit sich herumgetragen (wohlgemerkt oft mit angewinkeltem Ärmchen), deren Volumen etwa dem zweifachen Inhalt des Oberkörpers des Trägers entspricht. Wozu diese überdimensionierte Tasche? Was ist deren Funktion? Was hat es alles da drin? Wird hier vermittels eines ikonischen Modeobjekts auf raffinierte Weise das Dasein als Vagabund transzendiert, indem der ganze Hausrat mitgeführt wird?