Total abgefahren

Marilyn. Marilyn war einzigartig. Sie ist einzigartig. Und schon über ein halbes Jahrhundert nicht mehr unter uns. Es gab niemals wieder ein Phänomen wie sie. Marilyn Monroe bleibt unerreicht, unimitierbar, ein Wesen aus einer anderen Sphäre und zugleich ein elendes Menschenkind, zerrissen und kaputt von Anfang an. Sie kennen das Thema. Marilyn ist endlos analysiert und theoretisiert und verstanden worden, noch heute unterhält sie ganze Deutungsindustrien. Und Kitschindustrien. Es lässt sich immer noch gut Kohle machen mit Marilyn. Sie gehört zu den Toten, die am besten verdienen.
1959 drehte Marilyn Monroe «Some Like It Hot», eine der besten Filmkomödien der Geschichte, und deren Regisseur, Billy Wilder, einer der besten Autoren der Geschichte, mochte Marilyn – und vor allem: verstand sie. 1979 sagte er in einem Interview mit der BBC: «Marilyn had no handle on life, but by God she had other things. If we knew what they were, we could sell that patent to DuPont and they could manufacture it. Because one would think that it’s not that difficult. Maybe it’s tough to make another Garbo. But Marilyn should be easy: a blond, small girl with a sweet face. My God, there should be thousands of them!» Pause. Kopfschütteln. Dann: «Doesn’t make a Monroe.»
Pinkfarbener Thunderbird?
Marilyn verbrachte keinen geringen Teil ihres Lebens in Los Angeles – und dort braucht man ein Auto. Sie wird immer mit einem pinkfarbenen Ford Thunderbird assoziiert, weil der so gut zu ihrem Image zu passen scheint: sweet und aufregend und die Zuversicht der Fünfzigerjahre ausstrahlend. Natürlich waren die Fifties auch ziemlich verklemmt und bisweilen reaktionär, aber das inspirierte die Avantgarde auf dem Feld der Kunst; ohne die Biederkeit und Erstickung hätte es keine Gegenbewegung der Künste gegeben, und Marilyn war Teil nicht nur des popkulturellen Mainstreams und seiner Ikonografie, sondern auch der Gegenbewegung: mit Method Acting und Dostojewski und Paula Strasberg und Arthur Miller, mit dem sie diese problematische Ehe verband, von 1956 bis 1961. Arthur Miller besass einen Thunderbird, ein Modell von 1956, in Schwarz.
Es gibt massenhaft Fotos von Marilyn und Miller in diesem schwarzen T-Bird. Aber ein T-Bird in Pink? Manche Leute sagen, dass Marilyn von Milton Greene, jenem Fotografen, mit dem sie in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre ihre eigene Produktionsfirma gründete, einen Thunderbird bekam, der ursprünglich pink war, aber dann auf Schwarz umlackiert wurde. Eventuell liegt hier aber auch einfach eine Verwechslung mit Arthur Millers Thunderbird vor. Und schliesslich existiert ebenfalls die umgekehrte Version: Marilyn habe Milton Greene einen T-Bird geschenkt. Oder, schliesslich: Marilyn habe nie einen pinkfarbenen Thunderbird besessen. Der pinkfarbene T-Bird sei vom Fotografen Bert Stern für Marilyns letzte, inzwischen legendäre Fotositzung für «Vogue» im Hotel Bel-Air angemietet worden.
Woran man schon sieht: Die Evidenz ist irgendwie dürftig. Für alles, was mit Marilyn und Autos zu tun hat. Immerhin steht einigermassen fest, dass ihr erster eigener Wagen ein Cabrio gewesen zu sein scheint. Damit fuhr Marilyn zu Castings und Fotositzungen, alles vor ihrem Durchbruch mit «Blondinen bevorzugt» im Jahre 1953. Und natürlich gibt es auch hierzu eine Legende: Marilyn, damals noch Norma Jeane Dougherty, hatte kein Geld. Das Auto wurde gepfändet. Um es wieder auszulösen, stimmte Norma Jeane jenen Aktbildern zu, die der Fotograf Tom Kelley 1949 von ihr aufnahm und die zu ikonischen Kalenderblättern und Teil der Erstausgabe des «Playboy» wurden. Und Marilyn hatte ihr Auto wieder. Auch hier gibt es eine kleine Kontroverse darüber, um welches Modell es sich gehandelt haben mag; es gilt aber als ziemlich sicher, dass es ein Ford Super Deluxe Convertible mit Baujahr 1948 war.
Ein Cadillac als Symbol des Erfolges
Völlig unstrittig hingegen scheint zu sein, dass Marilyns erster Neuwagen ein Cadillac Eldorado Convertible von 1954 gewesen ist. In Schwarz. Das war nach «Gentlemen Prefer Blondes», und Marilyn war ein Star (wenngleich nicht so bezahlt). Der Cadillac war ein Geschenk von Entertainer Jack Benny als Dankeschön für Marilyns Auftritt in der «Jack Benny Show» im Jahre 1953. Der Cadillac war ein Erfolgssymbol, auch für Marilyn. Zugleich ein Auto, das perfekt passte für Kalifornien, den Mulholland Drive, den Pacific Coast Highway. Und die Westküste, Los Angeles, wo sie geboren wurde, war auch der Ort, an dem Marilyn nach ihrem Ausflug in die Unabhängigkeit wieder landete, nach New York und den Marilyn Monroe Productions und dem Actors Studio. Zurück zu Fox, Scheidung von Miller. In ihren letzten Jahren besass Marilyn kein Auto mehr. Entweder wurde sie in Limousinen chauffiert, die das Studio angeheuert hatte, meist schwarze Cadillacs vom Typ Derham. Oder Marilyn lieh sich den grünen Dodge ihrer Haushälterin Eunice Murray.
Marilyn ist gegangen. Natürlich nicht wirklich. Im Gegenteil: Die Faszination, die von ihr ausgeht, scheint stärker und stärker zu werden. Sie ist Symbol, kulturelle Chiffre, Produkt. Bei Amazon kann man ein zehnteiliges Marilyn-Monroe-Auto-Accessoires-Combo-Set bestellen, u.a. mit Marilyn-Fussmatten, Bumper Sticker, Air Freshner. Parallel zu dieser Materialisierung steigt die Erhöhung: In der Celebrity-besessenen Mediengesellschaft wird alles, was auch nur mutmasslich mit Marilyn in Kontakt gekommen ist, zu Schrein und Ikone. Etliche angebliche Marilyn-Monroe-Automobile sind aufgetaucht und verschwunden. In Wahrheit aber ist keines der tatsächlichen Autos, die Marilyn benutzt hat, seit 1962 wieder aufgetaucht. Bis auf einen roten MG TD Roadster, in dem Marilyn sass, als er von Cary Grant gesteuert wurde, 1952 in der Komödie «Monkey Business» (auf Deutsch: «Liebling, ich werde jünger»). Der Wagen wurde später von Schauspielerin Debbie Reynolds erworben, deren Tochter Carrie Fisher in den Siebzigerjahren angeblich damit das Autofahren lernte. Wie gesagt: Alles, was Marilyn getan hatte, war, in diesem MG lediglich einmal zu sitzen. Trotzdem wurde er, obschon Grant, Reynolds und Fisher ihn gesteuert hatten, zum «Marilyn-Monroe-MG». Und brachte bei einer Auktion 210’000 Dollar. Nicht schlecht – wenn auch ein Klacks verglichen mit jenen 4,6 Millionen, die Marilyns berühmtes Kleid aus dem «Verflixten 7. Jahr» brachte. Bieter bevorzugen Blondinen? Vielleicht. Ganz gewiss aber gelten die Worte Billy Wilders: «She had no handle on life. But by God she had other things.»
Bild oben: Es gibt viele Spekulationen darüber, in welchen Autos Marilyn Monroe gesessen hat. Mindestens in diesem hat sie jedenfalls gegessen. Foto: imgur.com
3 Kommentare zu «Total abgefahren»
Das Auto als Mittel zur Selbstdarstellung ist so tot wie die Monroe. Im letzten Jahrhundert fasste ich in Mainhatten die Frage „Wo stehst Du“ als in Frage stellen meiner geistigen Gesundheit auf (Schizophrenie), dabei war es lediglich die Frage, nach dem Aufenthaltsort meines Fahrzeuges. Der urbane Hipster hat heute allenfalls noch einen Führerschein, um bei Bedarf ein Auto zu leihen oder zu mieten. Nur noch die Prols in Suburbia definieren sich als Vertreter oder working class heroes inklusive Nebenjob als Hauswart mittels Audi oder BMW.
Danke
Danke, ein schöner Text.