Wörterbuch für Hausgäste

DINNER FOR ONE, SKETCH, SYLVESTER, SYLVESTER SKETCH, DER 90. GEBURTSTAG,

Das neue Jahr hat frisch begonnen, meine Damen und Herren, und viele von uns haben ein paar Tage Ferien hinter sich, womöglich mit Familie und Freunden. Vielleicht sind Sie von Ihren Freunden in deren Ferienvilla an die Costa Smeralda oder ins Chalet nach Gstaad eingeladen worden. Dabei sollte Ihnen bewusst sein: Von einem Hausgast wird viel verlangt. Er (oder sie) sollte amüsant sein, aber nicht so amüsant, dass er zum Mittelpunkt wird; attraktiv und manierlich, aber nicht zu brav und auch wieder nicht so attraktiv, dass er den Gastgebern die Show stiehlt. Als Hausgast sind Sie mit Vorteil nicht dünner oder hübscher oder (erfolg-)reicher als Ihre Gastgeber. Kurz: Sie dürfen (und sollen) sich zwar amüsieren, aber nicht zu sehr.

Wie bitte? Das klingt für Sie nicht nach gemeinsamen Ferien, sondern nach Boot Camp? Ja, so ist es! In den Ferien, wenn die Therapeuten ausser Reichweite sind und das fragile Gespinst urbaner sozialer Form verweht, erwarten Sie eine ungekannte Bandbreite soziopathischer Gruppendynamik und eine Armada von Fettnäpfen. Damit Sie in diesem Kontext wenigstens andeutungsweise verstehen, was Ihre Gastgeber meinen, wenn sie sich an Sie wenden, werden im Folgenden zur Decodierung die wichtigsten Ferienphrasen aufgelistet (auch, damit Sie merken, wenn Gefahr im Verzuge ist – und dies ist meistens der Fall). Wir beginnen gleich mit der gefährlichsten Floskel:

  1. «In diesem Haus gibt es keine Regeln.»

    heisst dechiffriert: «In diesem Haus gibt es mehr Regeln als für eine durchschnittliche japanische Tee-Zeremonie – doch die werde ich dir nicht mitteilen, sondern du wirst sie nach und nach in einem schmerzvollen Versuch-und-Irrtum-Verfahren auf eigene Gefahr herausfinden müssen.»

  2. «Nein, nein, ich finde das wundervoll, dass du so gut geschlafen hast – ich liebe es, wenn sich die Leute unter meinem Dach entspannen können.»

    heisst dechiffriert: «Wenn du dich nicht endlich bewegst und mir in der Küche hilfst, werde ich auf deinem albernen Sonnenhut herumtrampeln, der aussieht wie eine Requisite aus Sex and the City 2.»

  3. «Würde es dir entsetzlich viel ausmachen, wenn ich heute Abend nicht mit zum Essen käme? Ich bin etwas erschöpft.»

    heisst dechiffriert: «Wenn ich heute Abend beim Essen deine Gegenwart ertragen müsste, würde ich sehr wahrscheinlich irgendetwas sagen, was unsere jahrelange Freundschaft für immer zerstört, weil du mich nämlich augenblicklich wahnsinnig machst.»

  4. «Ich weiss gar nicht, wie du das immer hinkriegst, du bist die ganze Zeit so fröhlich, nichts kann dir was anhaben!»

    heisst dechiffriert: «Dein Rund-um-die-Uhr-Alkoholkonsum ist katastrophal ausser Kontrolle geraten.»

  5. «Das müssen wir unbedingt wiederholen.»

    heisst dechiffriert: «Ich bezweifle stark, dass ich dir nach diesem Debakel je wieder über den Weg laufen möchte, doch man sagt schliesslich, die Zeit heilt alle Wunden.»

Auch eine Möglichkeit: Keine Gäste, keine Missverständnisse. Oder? Szene aus dem legendären Sketch «Dinner for One» aus dem Jahr 1962. Foto: NDR

8 Kommentare zu «Wörterbuch für Hausgäste»

  • jack sagt:

    Ich gehe Prinzipiell zu Keinen Freunden wo es heist du MUSST die Schuhe Ausziehen,ich mache es Freiwillig oder nicht.

    • Ellen sagt:

      Sie haben keine Manieren. Denken Sie wirklich, frau ist wild danach den Strassenspoiz vom Parkett oder Teppich zu wischen? Meine Güte, warum muss man bei gewissen Menschen immer wieder bei Null anfangen, wenn es um Benimm geht. Sie würde ich nie im Leben einladen.

    • Henry sagt:

      @Ellen. Ist Ihnen Ihr Boden wichtiger als das Wohlbefinden Ihrer Gäste ? Ausserdem gibt es kaum etwas, was so „middle class“ ist, wie seine Gäste zu bitten, die Schuhe auszuziehen. Und was reichen Sie Ihrer geschätzten Gesellschaft für die olfaktorischen Unannehmlichkeiten ? Gebrauchte Frottee-Latschen vom letzten 4*Hotel – Aufenthalt ? Mein Gott, lassen Sie halt einmal öfters durchwischen……..Und mit den Abdrücken der Pfennigabsätze attraktiver Damen beginnen Sie den Shabby-Style in Ihrem „House“.

    • Nannos Fischer sagt:

      @ Ellen
      Wir haben zu Hause nie die Schuhe ausgezogen, ausser am Abend. Man hat uns in der Jugend beigebracht, nie in Hausschuhen Besuch, selbst unangemeldeten, zu empfangen. Geschweige denn, von einem Gast das Schuhausziehen zu verlangen… Es ergab sich, dass wir eine Zeitlang häufig empfangen mussten. Weder unser Parkett noch die Teppiche haben dabei im geringsten unter «Strassenspoiz» gelitten. Und nun lese ich mit Schrecken, dass bei unserem Benimm sozusagen alles schiefgelaufen ist. Deshalb auch sind wir wohl Einladungen von Leuten wie Ellen immer sorgfältig aus dem Weg gegangen.

    • andi meier sagt:

      @ Ellen: Es sind wohl eher Sie, die keine Manieren hat. Gäste zu bitten, die Schuhe auszuziehen ist ein No-Go.

  • Christoph Bögli sagt:

    Bei sowas wundere ich mich immer, was für „Freunde“ manche Leute anscheinend haben, dass das Verbringen von etwas mehr Zeit als für die üblichen Floskeln notwendig, immer gleich zur Katastrophe führt. Hätte ich jedenfalls nie erlebt. Aber vielleicht liegt das auch nur daran, dass bei uns meist alle gleichermassen sich an 4. halten, das rundet alle potentiellen Ecken angenehm ab..

  • Ellen sagt:

    Ich mag Hausgäste sehr. Man hat schön Zeit um zu Quatschen, zusammen Zeit zu verbringen. Die meinen sind auch nicht kompliziert. Wissen von selbst, wann man Schuhe ausziehen soll und fragen erst gar nicht „soll ich die Schuhe ausziehen“? Sie sind in der Küche eine echte Hilfe und kochen auch mal selbst. Für Misanthropen sind natürlich Hausgäste absolut kein Konzept. Mag sich noch jemand an die früheren Pyjama-Parties erinnern? Als Kind, Teenager liebte man diese. Man sollte ein minimales Gefühl dafür, auch in der Erwachsenenwelt hinüber transportieren.

  • Françoise sagt:

    „Ich habe nur was ganz einfaches gekocht.“ heisst dechiffriert: Ich habe den ganzen Tag geschuftet wie ein Schwein, um euch zu beeindrucken. Es soll aber wirken, als würde ich „ganz einfach“ tausend mal besser kochen als die Gäste.

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