Jung, ehrgeizig und frustriert

Ich habe einen Brief erhalten. Einen langen Brief von einer Frau um die dreissig, mit der ich mal kurz zusammengearbeitet hatte. Sie schildert darin Erfahrungen, die schon für meine Generation typisch waren und es allem Anschein nach immer noch sind: nämlich die Ernüchterung, die sich einstellt, wenn man immer gedacht hat, es sei heute selbstverständlich, als Frau dasselbe wollen und erreichen zu können wie ein Mann – und dann feststellt, dass dies keineswegs so ist.
Es läuft immer gleich ab: Zunächst ist alles paletti, man macht eine Ausbildung, kommt gut aus mit den Jungs, Feminismus findet man lässig, wenn auch überholt, denn diskriminiert wurde man ja nie. Bis es nach dreissig im Beruf und in der Familienplanung und im Leben überhaupt zur Sache geht. Wie die Frau schreibt: «Dann bin ich über die Realität gestolpert. Und dazu brauchte ich noch nicht mal ein Kind.»
Was ist die Realität? Sie schreibt davon, dass heute von Frauen Eigenständigkeit und Ambitionen erwartet werden – aber dass die Männer sie am Ende des Tages doch lieber unterwürfig haben. Sie schreibt, dass Frauen, die glauben, dasselbe zu können wie Männer, heimlich belächelt würden – wie Kinder, die mit grosser Ernsthaftigkeit am Spielkochherd stehen. Und sie schliesst: «Darf ich darüber empört sein, dass 2014 das Gleiche zu wollen wie ein Mann und das auch noch normal zu finden, extrem unattraktiv ist. Oder sollte ich diese Startposition stillschweigend akzeptieren, um menschlich nicht in die Quarantänestation der toxischen Feministinnen gesteckt zu werden?»
Der Brief hat mich berührt. Aber eine richtig gute Antwort habe ich auch nicht. Höchstens Folgendes: Nein, es ist nicht selbstverständlich, dasselbe wollen und erreichen zu können wie ein Mann – weil gar nichts im Leben selbstverständlich ist. Es spielt eine Rolle, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Frauen werden anders wahrgenommen als Männer, man hat andere Erwartungen an sie. Und ja, oft nimmt man sie weniger ernst, auch wenn das heute niemand mehr offen zugibt. Entscheidend aber ist letztlich nicht das Geschlecht, mit dem du geboren wirst. Sondern wer du bist. Und was du willst.
Du möchtest ernst genommen werden und hast das Gefühl, man versage dir die Anerkennung? Diese Erfahrung machen Männer ebenso, es ist geradezu eine männliche Grunderfahrung. Deshalb sind Männer ja auch so darauf aus, sich zu beweisen, etwas zu leisten und dadurch einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen. Das kann man sich zum Vorbild nehmen. Willst du, wie die meisten Männer, viel Zeit und Energie in eine Karriere stecken? Dann mach jedem klar, dass du dazu bereit bist, und du wirst als Frau sogar einen Vorteil haben. Wenn du dich also als Frau nicht ernst genommen fühlst, dann tröste dich damit, dass niemand einfach so ernst genommen wird. Respekt muss man sich erarbeiten. Lass dir nichts gefallen, fordere die Leute heraus. Du fragst dich, ob du empört sein darfst? Ja! Aber nicht zu sehr, wandle deine Empörung lieber in Energie um und zeige es allen. Und wenn sie dich unterschätzen, weil du eine Frau bist, dann freue dich darüber. Wenn es deine Kollegen sind, dann wirst du in ein paar Jahren vielleicht auf ihrem Stuhl sitzen, weil sie nicht damit gerechnet haben. Und wenn es dein Partner ist, dann stell ihn vor die Tür. Entgegen allen Gerüchten gibt es nämlich viele Männer, die starke Frauen mögen – sich mit Idioten aufzuhalten, ist Zeitverschwendung.
Bild oben: Uma Thurman räumt in der Komödie «My Super Ex-Girlfriend» mit allen Vorurteilen auf.
53 Kommentare zu «Jung, ehrgeizig und frustriert»
„Respekt muss man sich erarbeiten.“
Respekt, den sollte Mensch jedem seiner Artgenossen zukommen lassen, ohne Bedingungen.
Der zitierte Satz wird häufig benutzt. Aus welchen Quellen stammt diese Denkweise, aus katholischer oder reformierter Sichtweise? weil selbst Bibelzitate auf den mächtigen Stellenwert der Erwerbstätigkeit hinweisen: „Im Schweisse deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“ (oder so ähnlich)
Da bin ich ganz Ihrer Meinung – ich bin auch ziemlich unsanft über diesen Satz gestolpert. Erfolg muss man sich erarbeiten, Anerkennung oft auch, Bewunderung vielleicht auch und manchmal sogar das Glück, aber Respekt muss jedem gewährt werden – vorbehaltslos!
Frau Binswanger, ich gebe Ihnen in allem Recht. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn das Ganze so einfach mit auf die Zähne beissen und Erkämpfen erreichbar wäre hätten wir in der Schweiz nicht eine Lohndifferenz von knapp 20%, und deutlich mehr als 9% Verwaltungsrätinnen. Lohndiskriminierung und gläserne Decken sind Fakten, die nicht mit dem Willen einer einzelnen Frau änderbar sind. Das heisst nicht, dass man es nicht trotzdem versuchen soll! Glücklicherweise sind es auch jene, die mit 20 auf Quoten pfeiffen und „Feministin“ als Schimpfwort brauchen, die mit 40 dann frustriert sind…
Bitte nennen Sie mir eine Firma, in welcher Frauen und Männer für die gleiche Arbeit nicht gleich viel verdienen. Ich kenne, zumindest in der Dienstleistungsbranche, keine einzige. Also hören Sie bitte mit diesen Märchen auf.
Und Karriere? Nun ja, wer an der Spitze mithalten will, muss halt eben mehr leisten und auf anderes verzichten. Die “Ich will alles-Mentalität“ der Fundamentalfeministinnen geht uns mittlerweile extrem auf den Geist.
Ich zitiere aus der Lohngleichheitsbroschüre des EDI: „Am grössten sind die Lohnunterschiede in Grossfirmen; in der Textilindustrie sowie im Banken- und Versicherungsbereich: Frauen verdienen hier zwischen 30% und 39% weniger.“ Banken und Versicherungen gehören zum Dienstleistungssektor. Link zur Broschüre: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00194/00205/index.html?lang=de. Und Karriere lohnt sich erst noch nicht: „Je höher die berufliche Stellung und das
Anforderungsniveau (…) umso grösser die Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau“.
Frau Binswanger. Ihr Blog erinnert mich an den letzten Berner Gewaltbericht von Eva Wyss. Im Nachgang erklärte sie, dass sie nur weil sie bald eh aus der Kantonalen Gleichstellungskommission ausscheide, endlich nicht mehr an deren Scheuklappen gebunden sei und diesen ehrlichen Bericht über Gewalt DURCH Frauen hätte schreiben können.
Anscheinend geht es ihnen als (Ex-)Genderpolizistin ebenso und sie durften endlich die Wahrheit schreiben. Tags darauf gab es dann ja leider wieder einen Blog von Frau Trachsel.
Ein Mann wartet nicht auf die Anerkennung durch Frauen. Ein Frau sollte das ebenfalls von Männern nicht erwarten.
Auf vielen Lebensfeldern mag der Unterschied gg. 0 (null) gehen. Das funktioniert dann.
Im Bio-Erwartungs- Programm des Menschen zählen seine frühen „Programmierungen“. Auch die der Frau. Wenn Frau die nicht hinnehmen und auch (modern?) nicht konsumieren will, sollte sie es lassen oder an genetischen „Umerziehungen“ arbeiten. So oder so.
Ein prähistorisch entwickeltes Wesen tut sich nun mal schwer mit den „neuen“ Zeiten.