Gegen gute Vorsätze

Ich finde es prätentiös, wenn Leute keinen Fernseher haben. Ich bin überzeugt, dass Leute nur deswegen keinen Fernseher haben, um anderen Leuten zu erzählen, dass sie keinen Fernseher haben. Das Einzige, was noch schlimmer ist als Leute, die dir erzählen, dass sie keinen Fernseher haben, sind Leute, die dir erzählen, dass sie den Vorsatz gefasst haben, keinen Fernseher mehr zu haben. Denn jetzt kommt wieder diese Zeit, meine Damen und Herren, schleichend und dräuend, diese Zeit des Jahres, wo die Leute mit ihren mutmasslich guten Vorsätzen anfangen. Genauer gesagt, fangen sie damit an, über ihre mutmasslich guten Vorsätze zu sprechen. Menschen, die ansonsten völlig normal sind, erzählen einem, dass sie sich vorgenommen haben, im nächsten Jahr irgendeinen Marathon zu laufen, weil es hier (wie bei Yoga) nicht ums Gewinnen gehe, sondern ums Mitmachen. Well, ich pfeife aufs Mitmachen (aber nicht aufs Gewinnen)! Ich pfeife auch auf Leute, die einem erzählen, dass sie den Vorsatz gefasst haben, sich der makrobiotischen Lebensweise zuzuwenden oder mit dem Rauchen aufzuhören oder ihren Kohlenstoff-Fussabdruck zu reduzieren oder eine Diplomarbeit zum Thema «Yoga für die Frau ab 40» zu verfassen. Pfeif ich drauf! Ich meine, was bitte ist denn Yoga? Atmen unter Anleitung.
Wir leben in einer Gesellschaft, deren Ideal die Selbsterschaffung ist. Der Mensch, seit jeher ein orientierungsbedürftiges Wesen, wird heutzutage dazu angeleitet, jede auch noch so private Handlung am aktuellen Standard einer scheinbar total informierten Lifestyle-Öffentlichkeit zu messen. Deren Ideale von Erfüllung und Perfektionierung stehen in einer seltsamen Diskrepanz zu den deklarierten Werten der Individualität und Vielfalt. «Der Kapitalismus definiert heute jeden Lebensbereich. Die Logik des Marktes bestimmt die Identität», erklärt dazu die Soziologin Eva Illouz, die gegenwärtig ziemlich in Mode ist, obschon sie im Grunde bloss Gemeinplätze von sich gibt, die zudem nicht immer auf der Höhe der Zeit sind. Illouz ist selbst eine Zeiterscheinung, denn jetzt, wo kürzlich die Marktwirtschaft zusammengebrochen zu sein scheint wie ein geköpfter Koloss, konzentriert sich das zerrissene Individuum besonders ängstlich auf die eigene Optimierung. «Glück» und «Lebenskunst» werden als Trainingskonzepte von Persönlichkeitstrainern jedweder Provenienz operationalisiert und derart miteinbezogen in das endlose Projekt der Selbstfindung und Selbstrekonstruktion des modernen Wellness-Subjekts, das vergisst, dass nur Amöben sich selbst erschaffen. Diäten, Ertüchtigung, plastische Chirurgie, das Coaching zur emotionalen Intelligenz und das Afterwork-Kommunikationstraining sind dabei nur ein paar der vermeintlichen Orientierungshilfen, die einen vulgärnarzisstischen Impuls belohnen: die Sorge um den Eindruck, den man auf andere macht. Und zur Selbstperfektionierung gehört, davon zu erzählen. Auch und gerade, wenn es sich nur um Vorsätze, also Absichten handelt. Denn Absichten kosten nichts.
Das Ideal dieser postmaterialistischen Spektakelgesellschaft (oder wenigstens des Ausschnitts davon, in dem ich glücklicherweise lebe) ist das Aussehen eines hoch bezahlten Pornostars mit einem Doktortitel in Philosophie, innerer Reife und Beseelung und Zähnen, die im Dunkeln leuchten. Übrigens habe ich totalen Respekt vor solchen Projekten. Ich habe Respekt vor überrealen Phantomen wie Sarah Jessica Parker, die selbst während ihrer Schwangerschaft (mit James, für seine Schwestern bemühte sie eine Leihmutter) noch Grösse null trug und mit eiserner Disziplin bis heute daran arbeitet, gegen alle Chancen ein Bild der Perfektion abzugeben. Das ist wesentlich anstrengender als das, was Frau Illouz macht. Obschon die natürlich auch versucht, hübsch auszusehen. Worinnen eine gewisse Ironie liegt. Das stört aber nicht. Ich für meinen Teil finde nicht mal Leute störend, die sich vollkommen darin erschöpfen, ein Bild der Perfektion abzugeben. Das hier ist der freie Teil der Welt, und jeder kann sich seine Lebensziele im Rahmen der Legalität selber setzen. Mich stört nur, wenn Leute über solche Vorsätze reden. Und zwar in einem Ton, als würden sie irgendwas Richtiges, Wichtiges tun. Wobei es doch vor allem darum geht, sich selbst gut und anderen überlegen zu fühlen und seine eigenen Lebensstilentscheidungen im Wettbewerb der Selbsterschaffung zu validieren. Das ist sehr einfach. Es ist ausserdem sehr langweilig. Und damit gesellschaftsfeindlich. Der höchste Grad der Selbstoptimierung ist mithin, wenn Sie mich fragen: das Schweigen über gute Vorsätze, sofern man sie denn fasst. Schlechte Vorsätze hingegen sind in der Regel unterhaltsamer und können also jederzeit mitgeteilt werden. Und nun entschuldigen Sie mich. Ich muss meine Zahnbleichschienen einsetzen. Ich will im neuen Jahr weissere Zähne als Brooke Shields.
Bild oben: Sarah Jessica Parker fasst keine Vorsätze, sie signiert Absätze an Schuhen aus ihrer eigenen Kollektion in Dubai (7. Dezember 2014).
15 Kommentare zu «Gegen gute Vorsätze»
Oh, wie wunderbar, Herr Tingler! So viele Sätze, die mir aus der Seele sprechen – z.B. Eva Illouz: mit der Zeit fragt man sich ja, ob man selber die einzige ist, die sie für belanglos und allgemeinplätzlich halten; ebenso wie Richard D Precht, den ich einfach zum Heulen finde.
Belehrungen und Missionierungen aller Art (und das sind angebliche Vorsätze nämlich oft, weil sie moralische Ueberlegenheit implizieren) sind übrigens sowieso gefährlich: im Englischen sagt man so schön ’setting yourself up for failure‘ – wenn dann die Vorsätze ins Leere gelaufen sind, man also sowieso schweigt.
Noch witziger finde ich die Leute, die betonen dass sie keinen Fernseher haben, aber immer wissen was läuft weil sie nur so zwischendurch mal auf dem iPad eine Sendung geschaut haben, natürlich ohne Billag zu bezahlen, sie haben ja keinen Fernseher!
Die Negation des wirklchen Lebens in der Spektakelgesellschaft drängt immer mehr zum Menschendarsteller degradierte Kreaturen scheinbar zwanghaft in Komparsenrollen zweifelhafter Vorbilder. Glücklicherweise bemerken sie es nicht. Sonst würden sie eines Tages doch wie Guy Debord selbst enden. In den nächsten „Tinglers fünf“ wünsche ich mir unbedingt fünf schlechte Vorsätze aufgelistet. Egal ob sie ungesetzlich, unmoralsch oder ungesund sind.
Was mich an diesem Artikel, der an sich gut ist, stört, ist der letzte Satz. Natürlich ist dieser ironisch gemeint, aber trotzdem ist er enttäuschend. Er zeigt nämlich auf, dass es keine Alternativen mehr gibt. Höchstens, sich in Selbstironie diesen Gesetzen zu ergeben. Anstatt einfach gar nichts zu sagen, und das zu tun, was man gerne macht, um seinem Selbstbild zu entsprechen. Ich nehme mir ein paar Dinge vor, und setze sie ziemlich sicher um. Ich sage aber nichts darüber, und versuche mir selbst treu zu bleiben. Zurückhaltung kann mir nicht, und den meisten anderen nicht schaden.
Zu guten Vorsätzen kann ich nur sagen. Man(n) macht – was man eben kann. Und das mache ich schon seit Jahrzehnten so. (Anders interpretiert: man hat, und gibt sich ‚immer‘ Mühe). Mais, ça marche très bien …