Wie übersteht man Langstreckenflüge?

Wenn Sie diese Kolumne lesen, meine Damen und Herren, habe ich tapfer mal wieder ein paar Langstreckenflüge hinter mich gebracht, diesmal nach Toronto und von New York, mit Umsteigen in Ottawa und so weiter. Womit ich beim Thema wäre: Wie überlebt man Langstreckenflüge? Also: Wie schafft man es, dass die Reise nicht zu einer Wurzelbehandlung wird, die knapp 13 Stunden dauert? Und damit meine ich nicht, dass man während der Reise nicht zu schwer essen und genug trinken und gelegentlich im Flugzeug ein bisschen rumlaufen sollte, das können Sie überall nachlesen. Nein, mir geht es hier um die Weitergabe meiner persönlichen Erfahrungen auf folgenden drei Gebieten:
1. Schlaf: Das Letzte, was man nach einem Langstreckenflug will, ist: auszusehen wie nach einem Langstreckenflug. Deshalb ist es natürlich sehr schön, wenn man im Flugzeug etwas schlafen kann. Sofern man kann. Und so lautet hier meine Empfehlung: Versuchen Sie nicht verzweifelt alles Mögliche, um einzuschlafen. Ihre Grundhaltung sollte vielmehr sein, dass Sie sich Schlaf abschminken können. Dann schläft man nämlich leichter ein, als wenn mans auf Teufel komm raus versucht. Grundsätzlich gilt: Auch ein bisschen Schlaf ist besser als gar keiner. Falls Sie auf pharmazeutische Hilfsmittel zurückgreifen wollen: Testen Sie deren Wirkung und Dosierung vorher wenigstens einmal zu Hause. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich als Einschlafhilfe der bordeigenen Audioprogramme zu bedienen; manche Fluggesellschaften bieten beispielsweise auf einem speziellen Kanal dem Passagier Gelegenheit, dem Funkverkehr der Piloten mit anderen Flugzeugen oder Bodenstationen zuzuhören. Und wem das immer noch nicht hypnagog genug ist, dem sei ans Herz gelegt, sollte er sich zufällig an Bord eines Langstreckenkurses unserer Heimatfluglinie Swiss befinden, den Audiokanal mit dem Titel «Cabaret mit diversen Schweizer Komikern» anzuwählen (es sei denn, der ist inzwischen abgeschafft oder verboten worden). Wer dann nicht ins Koma fällt, muss auf noch stärkere Geschütze zurückgreifen: Bücher.
2. Beschäftigung: Manche Leute können stundenlang einfach nur so vor sich hinstarren oder alte Rätselhefte lösen, aus denen Sie vorher die Antworten radiert haben. Ich kann dies nicht. Ich gehöre zu den sogenannten Phubs (= Personen mit hohem Unterhaltungsbedarf, der Schrecken jeder Fluglinie). Genauer: Ich gehörte. Ich versuche, mir das abzugewöhnen. (Genauso wie ich mir abgewöhnt habe, meinen mitreisenden Ehemann aufzufordern: «Lies doch was, Richie!») Was wir bereits mit Blick auf den Aufenthalt am Flughafen festgestellt haben, gilt auch für den Aufenthalt an Bord des Flugzeugs, gerade bei Langstreckenflügen: Befreien Sie sich von dem Zwang, ständig irgendwas machen zu müssen. Ignorieren Sie die proliferierende Effizienzhysterie der total mobilen Nonstop-Gesellschaft. Lehnen Sie sich zurück, es tritt eine wohlige Abspannung ein, die grosse Fremde eröffnet sich dort hinter dem Bogen der Fenster, unterhalb des Wolkenhorizonts, und freudige Erwartung beschäftigt das Gemüt, während der grosse weisse Wal durchs Firmament pflügt, von zartem metallischem Rauschen dahingetrieben. Schauen Sie aus dem Fenster (das ist sozusagen das klassische In-flight Entertainment), betrachten Sie das Publikum, diese drollige, globale Schicksalsgemeinschaft, die hier für ein paar Stunden zusammengekommen ist, mit ihren eigenen Komödien, Dramen, Grotesken, und bevor ich jetzt vollends klinge wie Robert De Niro in einem Werbespot für American Express – höre ich auf. Ich wollte eigentlich nur sagen: Inzwischen kann ich im Flugzeug auch ganz gut nichts machen. Ich kann zwar immer noch nicht stundenlang einfach nur so vor mich hinstarren oder alte Rätselhefte lösen, aus denen ich vorher die Antworten radiert habe. Doch ich übe mich mit Erfolg in jener leichten, vormeditativ-heiteren mentalen Schwebe, besonders auf der Langstrecke, besonders nachts, wenn ich manchmal an den Kabinenhimmel schaue und über Fragen nachdenke wie: Wieso kann eigentlich niemand in Deutschland das Wort «Lounge» aussprechen? Oder «Apparel». Huh?
3. Gesellschaft: Ob man lange Flugreisen lieber allein oder in Gesellschaft absolviert, ist eine Geschmacksfrage. Ich für meinen Teil fliege, wie Sie wahrscheinlich schon vermutet haben, lieber in Gesellschaft. Das ist auch unterhaltsamer, falls man im Dschungel notlanden muss. Am allerliebsten fliege ich mit Richie, dem besten Ehemann von allen. Wir haben für Langstrecken eine Verabredung, dass ich einfach 13 Stunden auf ihn einreden kann, ohne dass er antworten muss. So wie sonst auch. Ich weiss nicht immer, was in Richielein vorgeht, wenn er sich neben mir im Sessel ausstreckt, aber wahrscheinlich denkt er sich das, was ich auch Ihnen zum Abschluss als zusammenfassenden Trost mit auf die Langstrecke geben möchte: Auch 13 Stunden sind irgendwann vorbei.
Foto oben: Entspannung in der Businessclass von Thai Airways.
19 Kommentare zu «Wie übersteht man Langstreckenflüge?»
Mit Herrn Tingler würde ich gerne einen Langstreckenflug antreten. Ist sicher hochamüsant 😀
Noch ergänzend:
1 -2 Bücher mitnehmen die man schon lange lesen wollte.
Was bei mir gut funktioniert, beim Flug in den Westen: Nur ganz wenig (2-4 h) Schlaf vor dem Abflug, ich kann dann gut schlafen und beginne bereits zu Hause mit der Zeitumstellung.
Beim Warten vor dem Flug, bereits eine meditative Haltung einnehmen, die dann bis zum Ziel andauern soll.
Das sind effektiv gute Hinweise. Letztlich ist das Fliegen ja wie eine Bärenfalle und vieles anderes: Je mehr man sich dagegen wehrt, desto schmerzhafter wird es. Also lässt man besser das Ganze mit entspannter und freundlicher Haltung über sich ergehen, bis zur erlösenden Landung. Mit der häufig verbreiteten Einstellung, das Fliegen wäre ein sozialdarwinistischer Überlebenskampf und alles daran sowieso furchtbar, macht man sich hingegen keinen Gefallen.
Als Teenager war Longhaul eine Tortur. Gereift, schätze ich inzwischen die Langeweile an Bord: Sie vermittelt mir das Gefühl, dass die Zeit nicht wie sonst im Flug vergeht.
Ich habe auch mal versucht, Zeit auf der Langstrecke totzuschlagen, indem ich mich fragte, warum Schweizer am Check-In (LH, natürlich), mit ihren Pässen wedelnd, an der Schlange geduldig Wartender vorbei gingen, aber dazu wäre schon ein halbstündiger Flug zu lang gewesen, denn sie wurden ja zurückgepfiffen. Direkte Ansprache im Flieger auf Hochdeutsch ging auch nicht – nichts außer verlegenem Gestammel. Aber versprochen: Das nächste Mal versuche ich mich zu fragen, warum Schweizer einfach keinen Humor können, sondern nur Langeweile und Überheblichkeit. Das ist vielleicht ergiebiger, Hr Tingler