Lauter Revolutionen zum Geburtstag

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Kleine Kinder pflegen den eigenen Geburtstag mit einer Vorfreude zu erwarten, welche das Ereignis selbst nur enttäuschen kann. Es ist deshalb ein Glück, dass unsere Blogs von erwachsenen Menschen mit einem ausgereiften Erfahrungsschatz geschrieben werden; ihre Erwartungen an Tischbomben und Geburtstagskuchen dürften realistisch sein. Dennoch ist es im Rahmen der Feierlichkeiten auch zu Streitereien gekommen, wie sie an Kindergeburtstagen von 5-Jährigen üblich sind (etwa hier). Als eine der Mamas des Mamablogs, des Erstgeborenen unter den «Tages-Anzeiger»-Blogs, fühle ich mich nun genötigt, schlichtend einzugreifen.

Führt man sich vor Augen, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, scheinen die Abgrenzungsversuche der Printkollegen gegenüber Blogs folgerichtig. Die Welt wird immer komplexer, die Digitalisierung der Branche verändert alles, und die sozialen Medien haben die kommunikative Weltherrschaft an sich gerissen: Jeder hat heute eine Stimme, und die meisten benutzen sie gern mit Inbrunst und in voller Lautstärke, sodass die Kakophonie der geradebrechten Meinungen nie mehr abreisst. Mit der Folge, dass in den sozialen Medien ein Klima von Neurosen, Groll und Ideologie herrscht. Jeder ein kleiner Prediger auf dem Podest, erleuchtet von seiner eigenen kleinen Wahrheit, kündet er von der erwarteten Apokalypse.

Davon sind die Blogs meilenweit entfernt. Blogs haben die Aufgabe, das Minenfeld zwischen intimer und allgemeiner Perspektive zu erkunden, versuchen, das Persönliche mit dem Professionellen kurzzuschliessen. Die Autoren sagen «ich», weil die Form eigentlich eine Art öffentliches Tagebuch ist. Ihnen deswegen mangelnde Seriosität vorzuwerfen, heisst jedoch zu verkennen, dass letztlich Ideen, Inhalte und Stil über Qualität entscheiden. Nicht die Form.

Was ich dem Geburtstagskind wünsche? Dass es in Bewegung bleibt. Und weil Kinder Vorbilder brauchen, gehe ich mit gutem Beispiel voran und kündige hiermit die nächste Veränderung an. Zwei Jahre habe ich mir unter dem Titel «Gender Police» Gedanken über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, über die politische Dimension der Gleichberechtigung und ihre realen Folgen gemacht. Dieses Thema hat den Sprung aus den Blog-Sections in die ehrwürdigen Printzeitungen längst geschafft, wie ein Blick in die Sonntagspresse zeigt: Angefangen bei überteuerten Preisen für spezifische Frauenprodukte, über Didier Burkhalters bundesrätlichen Kampf gegen Gewalt an Frauen, bis hin zur Empörung über ein angekündigtes Aufriss-Seminar, das zur Vergewaltigung ermuntern soll – es wimmelt von Gendergeschichten.

Für mich persönlich ist dieses Themenkorsett zu eng geworden: Erstens droht nach zwei Jahren die Gefahr der Wiederholung. Zweitens haben Genderthemen den Nachteil, immer dieselben Frontlinien der Macht zu beleuchten – obschon die ja nie allein zwischen Mann und Frau verlaufen, sondern ebenso sehr zwischen Alt und Jung, Stadt und Land, Migranten und Einheimischen, Akademikern und Nichtakademikern – je komplexer die Welt, desto vorsichtiger gilt es, diese in ihrer Vielfalt zu erkunden.

Als Bloggerin bleibe ich Ihnen dennoch erhalten. In Zukunft werde ich hier zum Thema «On the Road» schreiben. Der Blog wird sich den Begegnungen, Beobachtungen und Erlebnissen widmen, die meinen Alltag als Pendlerin und als Journalistin auf Recherche prägen.

Bild oben: Freuen darf man sich auf den Geburtstagskuchen, die Erwartungen sollten aber realistisch sein. Foto: gde-fon.com

Happy Birthday, Blogs! 15 verschiedene Blogs, mehrere tausend Beiträge und weit über eine Million Kommentare: Da stehen wir nach fünf Jahren. Die Blogs gehören heute zum festen Inventar von tagesanzeiger.ch. Nationale Bekanntheit haben nicht nur die Klassiker wie der Mama- oder der Sweet-Home-Blog erlangt. Auch neuere Blogs, wie etwa «Manage Your Boss» oder «Welttheater», fanden schnell Anklang bei den Leserinnen und Lesern. Grund genug um nach fünf Jahren Geburtstag zu feiern. In den kommenden zehn Tagen feiern wir unsere Blogs mit speziellen Postings. Und in Videos und weiteren Blogpostings gewähren wir Ihnen einen Blick hinter die Kulissen, porträtieren Autoren – und schreiben über unseren Umgang mit Kommentaren und Kommentarschreibern. Fehlt noch was? Ja! Erst durch die Kommentare von Ihnen, liebe Userinnen und User, entstehen spannende Diskussionen und Debatten. Ein herzliches Dankeschön dafür.
Sie finden alle Jubiläums-Beiträge hier.

4 Kommentare zu «Lauter Revolutionen zum Geburtstag»

  • Irene feldmann sagt:

    Ich freu mich drauf!!!

  • Marie-laure Keefe sagt:

    Liebe Michele Binswanger
    Worüber Sie auch weiter berichten… hauptsache Sie bleiben dem Tagi – uns – erhalten!

  • Felix Baumbacher sagt:

    Ich lese diese Zeilen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits bedauere ich, dass Sie den Blog in dieser Form nicht weiterführen. Denn ich schätzte Ihre intelligenten und differenzierten Analysen, so dass Sie für mich schon beinahe ein wenig zur Opinion-Leaderin für das Thema „Gender“ geworden sind. Handkehrum kann ich aber auch verstehen, dass Sie sich nach zwei Jahren einmal neuen Themen zuwenden möchten. In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre neuen Blogs!

  • Sandra sagt:

    Schade. Unter „Gender Police“ hätten sich sicher auch andere Themen aufgreifen lassen…

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