Hinterfragen ist noch nicht Sexismus

Anfang Oktober erhob die «Weltwoche» unter dem Titel «Beziehungsdelikt» Vorwürfe gegen den Historiker Philipp Sarasin. Konkret ging es dabei um die Berufung Svenja Goltermanns an den Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Dabei seien Seilschaften und Vetterliwirtschaft ausschlaggebend gewesen. Sarasin sass zusammen mit seinem Freund und Kollegen Jakob Tanner in der Berufungskommission, die im Jahr 2010 über die Neubesetzung des Lehrstuhls zu befinden hatte. Zudem habe Sarasin zu einem früheren Zeitpunkt ein intimes Verhältnis zu Goltermann gepflegt und hätte darum in den Ausstand treten müssen. Heute ist Goltermann offiziell mit Sarasin liiert.
Sarasin/Goltermann weisen die Vorwürfe zurück. Unter anderem sagte Sarasin in einem grossen Interview mit dem «Tages-Anzeiger», diese Gerüchte seien «hinterhältig und falsch», Tatsächlich kenne er Goltermann seit 1997, sei ihr aber bis zum Start des Berufungsverfahrens nur «etwa dreimal» begegnet. Ihr intimes Verhältnis habe erst im Sommer 2013 begonnen. Er sei also weder befangen gewesen, noch sei es beim Verfahren zu Unregelmässigkeiten gekommen.
Die Vorwürfe der «Weltwoche» wiegen schwer. Sollte Sarasin Goltermann aufgrund einer privaten Beziehung portiert haben, wäre das ein Skandal. Dennoch blieb die mediale Reaktion auf die Vorwürfe marginal. Die Gerüchte gibt es, Beweise aber nicht, und sie zu finden, dürfte sehr schwierig sein. Denn wie lässt sich messen, wann eine unverdächtige Arbeitsbeziehung sich in eine verwandelt, die privater, ja intimer Natur ist? Von welchem Punkt an muss jemand in der Position von Professor Sarasin als befangen gelten?
Interessant an der Geschichte ist aber auch die mediale Verteidigungslinie, die sich das Paar Sarasin/Goltermann mithilfe ihres Medienberaters aufbaute. Fragen zum privaten Verhältnis wimmeln beide ab, bemängeln aber umso wortreicher die unvorteilhafte Rolle, in welche Goltermann gedrängt werde. Im «Tages-Anzeiger» sagte Sarasin, man reduziere Goltermann «auf den Status der Geliebten», ihr werde unterstellt, sie habe sich «hochgeschlafen». Goltermann selber meldete sich in der «NZZ am Sonntag» zu Wort, die den «unausgesprochenen Gedankengang bei derartigen Geschichten» folgendermassen zusammenfasste: «Die Frau (…) kann nichts, ausser sich gefällig sexuell betätigen. Sie denkt nicht, spricht nicht und wird nicht gefragt. Sie ist die Geliebte von – einem Mann. Dieser Mann ist so mächtig, dass er ihr einen Posten verschaffen kann, den sie alleine nie und nimmer erlangt hätte.» Ganz deutlich schliesslich sagt es der Publizist Philippe Löpfe auf dem Onlineportal «Watson»: Der Vorwurf laute, Goltermann «habe sich ihre Zürcher Professur mit Sex erkauft». Die mediale Verteidigungsstrategie macht Frau Goltermann zum Opfer – und beklagt sich zugleich darüber.
Dabei richten sich die Vorwürfe doch gar nicht gegen sie. Die «Weltwoche» behauptete weder, Goltermann könne nicht denken, noch dass sie sich ihren Posten «mit Sex erkauft» habe. In der Schusslinie steht vielmehr Professor Sarasin, der bei der Berufung befangen gewesen sei. Die Vorwürfe als «sexistisch» zu bezeichnen, ist also falsch. Die Frage aber, ob bei Goltermanns Berufung alles mit rechten Dingen zugegangen ist, hingegen völlig richtig.
Bild oben: Die «Weltwoche» hat schwere Vorwürfe gegen Geschichtsprofessor Philipp Sarasin erhoben. Bild: Sophie Stieger
45 Kommentare zu «Hinterfragen ist noch nicht Sexismus»
Wow – ich bin beeindruckt, Frau Binswanger. Hätte ich Ihnen nicht zugetraut, einen solchen Artikel.
(und nein, das ist nicht sexistisch gemeint 😉
Weiter so!
An der Uni ZH sollte ja vor gar nicht allzu langer Zeit ein Lehrstuhl der Kommunikations-und Medienwissenschaften besetzt werden, ein Spezialist für Schweizer Medien wurde gesucht.
Ausgeschrieben war dann auch, dass eine Person gesucht wird, mit hervorragenden Kenntnissen der Schweizer Medienlandschaft, zwingend ein Schweizer.
Was dann die Uni nicht daran gehindert hat, lauter Deutsche mit zum Teil kärglichen Kenntnissen der MedienLage Vorort in die Endauscheidung zu qualifizieren.
Da soll mir niemand mehr kommen, dass es an diesem Institut mit rechten Dingen zugeht bei Berufungen.
@Binswanger: Ach ja – welche Indizien denn? Die brillant recherchierten Weltwoche-Artikel von Philipp Gut? Und apropos Sexismus: Wenn in einer Zeitschrift unter dem Bild einer Frau in Anführungszeichen „Körper der Nation“ steht, wie bitteschön soll ich das denn interpretieren, wenn nicht als absolut geschmacklos sexistisch?!
@Marti: Ich habe selber nachgefragt und glaubwürdige Informanten gefunden. Ich mag den Stil der Wewo auch nicht. Das bedeutet aber nicht, dass am Sachverhalt nichts dran ist.
Frau Marti, und wenn es sich beim „Körper der Nation“ um den Titel von Frau Goltermanns Diss handelt, ist das dann immer noch sexistisch?
Das finde ich langsam ziemlich merkwürdig, werte Frau Binswanger. Sie deuten an und hüllen sich in Schweigen, selbst auf Nachfragen. Die Betroffenen sagen, dass ihre Beziehung vor der Berufung aus seltenen beruflichen Kontakten bestand. Wenn das stimmt, hat die Story der WW keine Berechtigung.
An der medizinischen Fakultät kam es an der gleichen Uni zum Eklat bei der Besetzung des Lehrstuhls für Alternativmedizin. Ein Berufungsmitglied hat mit Getöse diese Funktion aufgegeben. Und obwohl ihm der Maulkorb umgebunden wurde, hat der Engländer gesprochen: sowas habe er noch nie erlebt! Da habe eine Kandidatin entgegen der allgemeingültigen Regeln mitgeholfen, die Ausschreibung zu verfassen. Und obwohl sie nicht in das gesuchte Schema passte, war sie am Ende die Wunschkandidatin. Das Berufungsmitglied fühlte seinen guten Namen missbraucht für üble Machenschaften.
Ein sehr guter Artikel. Die Berufung stinkt zum Himmel und muss untersucht werden. Vetterliwirtschaft können wir uns an der Uni Zürich nicht erlauben. Der Sachverhalt muss aufgedeckt werden. Es ist bedauerlich, dass kritischer Journalismus nur noch von der „Weltwoche“ angeboten wird. In den linken Mainstream Medien werden Vergehen von linken Professoren einfach tot geschwiegen.