Sind Pferde was Wunderbares?

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Ist das nicht faszinierend, meine Damen und Herren? Da sind wir im 21. Jahrhundert, man kann das menschliche Genom sequenzieren und hat das Gottesteilchen gefunden, und nun müssen wir bloss noch die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik verbinden, um schwarze Löcher zu erklären und zu wissen, was vor dem Beginn der Zeit passierte, tja, und was soll ich Ihnen sagen, wir verfügen also über all diese wunderbaren Fortschritte und Errungenschaften, und was trotzdem augenscheinlich immer noch super läuft, sind: Katzen mit Sonnenbrillen. Wie oben auf diesem Kalender fürs nächste Jahr, den ich in einem Grosskiosk für Sie fotografiert habe. Es gibt offenbar kulturelle Prägungen, die sehr hartnäckig sind. Und wenn die Vorstellung von der Drolligkeit sonnenbrillentragender Katzen zu den hegemonialen Ordnungsvorstellungen breitester Kreise gehört – bitte sehr! Breiteste Kreise denken schliesslich auch, die mexikanische Nationalhymne wäre «La Cucaracha». Oder denke nur ich das? Egal. Die mutmassliche Mehrheit denkt, dass Katzen drollig wären und Kinder niedlich. Wer dies erfrischenderweise nicht so pauschal denkt, ist der berühmte Schriftsteller Bernhard Schlink. Von Herrn Schlink las ich unlängst folgendes Zitat: «Nicht einmal bei Kindern funktioniert ein Menschenbild. Früher dachte ich, Kinder seien gut – oder ich müsste sie doch gut finden. Inzwischen gestehe ich mir ein, dass es ganz grässliche Kinder gibt.»

Dies gilt natürlich auch für Katzen. Mit oder ohne Sonnenbrille. Und für andere Kategorien, die gemeinhin als wundervoll durchgehen, zum Beispiel: Pferde. Auch wenn viele kleine Mädchen jetzt weinen mögen: Ich persönlich traue Pferden ja nicht über den Weg. Schliesslich sind sie erwiesenermassen nicht besonders intelligent (wesentlich dümmer als Ratten oder Hunde; ungefähr auf dem Niveau einer Kuh). Und ausserdem sind sie Fluchttiere. Das heisst sie sind nicht bloss dämlich, sondern auch noch schreckhaft, und verbinden damit zwei sehr ungünstige Eigenschaften, namentlich für ein Transportmittel.

Ich für meinen Teil war jedenfalls ganz zufrieden damit, seit Ewigkeiten nicht mehr auf einem Pferd gesessen zu haben (und das war damals auch kein Pferd, sondern genau genommen ein dickes Pony). Aber dann kam ich nach Texas, und in Texas ist das Pferd tatsächlich noch ein viel natürlicheres und selbstverständliches Fortbewegungsmittel, viel stärker in der Kultur verankert, man benutzt es als Werbeträger und Kindererziehungsinstrument, und ein paar Leute fangen berufsmässig vom Pferdesattel aus Kälber mit dem Lasso, auch wenn sie privat einen Dodge Ram fahren.

Wir waren also in Texas, und zwar auf der Wildcatter Ranch, einem Resort ungefähr zwei Autostunden von Dallas entfernt, gelegen auf einem malerischen Hochplateau im Palo Pinto Hill Country mit fabelhaftem Panoramablick ins Tal des Brazos-Flusses. Wildcatter’s ist die Fünf-Sterne-Version einer Ranch, die dem erholungsbedürftigen Städter neben Satellitenfernsehen und Wireless LAN auch Bogenschiessen, Fischen und Reiten anbietet. Wir müssten unbedingt reiten, sagte der Manager. «Okay», erwiderte ich, «geben Sie mir den ältesten und gutmütigsten Gaul, den Sie haben, und ich machs!»

Also bekam ich Billy, das älteste und gutmütigste Pferd, 24 Jahre alt, und das ist uralt für ein Pferd. Dazu bekam ich Justin, den Wrangler, also Pferdecowboy, der ungefähr ebenfalls 24 war und ebenfalls gutmütig – auf die texanische Art: wortkarg und Tabak kauend. Man musste, wie immer in Amerika, einen umfangreichen Haftungsausschluss unterschreiben, bevor man mithilfe einer kleinen Gangway aufs Pferd stieg, das Justin einem dann erklärte. Billy hatte sogar einen Rückwärtsgang, und Justin erklärte ausserdem, dass jedes Pferd einen Bedarf an persönlichem Freiraum hätte, und wenn die Pferde sich bedrängt fühlten, erkennte man das daran, dass sie die Ohren nach hinten klappten.

Zunächst lief auch alles ganz okay, Billy trabte brav über Stock und Stein der texanischen Prärie, obschon ihm auch noch dauernd die wilden Hunde von der Ranch bellend und kämpfend um die Beine liefen, Billy blieb ruhig und easy, was, wie ich mir zugutehielt, auch daran lag, dass ich unentwegt beruhigend auf ihn einredete. Indessen bestätigte sich das, was Justin, der vorneweg ritt, schon angedeutet hatte: dass mein Ross zwar alt und gutmütig war, aber auch einen hohen Bedarf an persönlichem Raum hatte – und dies im scharfen Gegensatz zu Sandy, dem Pferd von Richie, dem besten Ehemann von allen. Wir ritten im Tross, Richie befand sich hinter mir, Sandy kam ständig zu nah ran und stupste Billy an, worauf Billy sofort die Ohren nach hinten klappte. «Richie!», rief ich über die Schulter, «du musst abbremsen! Ich hab schon wieder die Ohren!»

Das alles zog schon ein bisschen an den Nerven, und dann scheute auch noch ohne ersichtlichen Grund erst das Pferd von Justin und anschliessend das von Richie, und Billy blieb nur deswegen ruhig, weil ich nach wie vor auf ihn einredete, ungefähr so wie damals vor über einem Vierteljahrhundert auf meinen kleinen Bruder, bei einer Überfahrt mit einer französischen Atlantikfähre, von der berechtigter Grund zur Annahme bestand, dass sie jede Sekunde kentern würde. Ausserdem friert man schnell auf so einem Pferd. Als ich Justin meldete, dass ich meine Hände nicht mehr spürte, sagte Justin Tabak kauend: «Okay, dann nehmen wir die Abkürzung zurück.»

Dies brachte nun allerdings auch nicht die erhoffte Erleichterung, denn die Abkürzung ging direkt durchs Gesträuch und über steinige Schluchten, so dass ich jede Minute dachte, mein zögerlich die Hufe setzendes Pferd werde gleich ausrutschen und hinfliegen – bis es, mitten auf einem steilen Abgang, sozusagen in extremer Schräglage stehenblieb. Pferde sind nämlich nicht nur schreckhaft, sondern auch störrisch, wie die meisten dämlichen Lebewesen. «Justin!», schrie ich, «es bewegt sich nicht!» «Du musst die Hacken in die Flanken schlagen!», schrie Justin zurück. Nun, ich wünschte, er hätte geschrien. In der Tat sprach er ruhig und karg und liebenswürdig, und da er ungefähr tausend Fuss weit weg war, verstand ich kein Wort und stand dort, auf einem Pferd, an einem Steilhang in der texanischen Prärie. Und langsam ging die Sonne unter, wie im Film.

Irgendwie landeten wir wieder in unserer Fünf-Sterne-Cabin und wärmten uns vor dem Kaminfeuer, das man, wie im Beverly Hills Hotel, auf Knopfdruck einschalten konnte. «War es nicht fabelhaft, wie ich diesen Mustang gezähmt habe, Richie?», fragte ich meinen Ehemann, indem ich das Satellitenfernsehen einschaltete und «The Real Housewives of Atlanta» erschienen. Ihnen aber, liebe Leser, rate ich: Falls Sie von A nach B wollen, und Sie haben die Wahl zwischen einem Pferd und einem Taxi, nehmen Sie Letzteres. Es sei denn, der Taxifahrer ist nicht der Hellste und leicht zu erschrecken. Dann ist es ungefähr dasselbe.

18 Kommentare zu «Sind Pferde was Wunderbares?»

  • Irene feldmann sagt:

    Meinrad, es gibt Leute die hecheln über ihren Tellerrand ins Nachbars menü, dann gibts solche welche einfach schätzen, was sie haben, alles Gute für Sie!

  • Randalf J. Mayer sagt:

    Auf einen Pferderücken gehört kein Sattel, sondern Kräuterbutter.

  • Susanne sagt:

    …wie die meisten dämlichen Lebewesen….

    nun, herr tingler, ich empfinde Pferde als herrliche Lebewesen.

  • Urs Kym sagt:

    – „wesentlich dümmer als Ratten oder Hunde; ungefähr auf dem Niveau einer Kuh“. Da stimmt nur der erste Teil der Aussage. Kühe haben nicht nur einen höheren IQ als Pferde, sondern auch einen höheren als Hunde. Und nervös werden sie nur, wenn sie zum Metzger gebracht werden.

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