Schleierhafte Blösse

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Da stand der «Spiegel»-Kolumnist wohl unter dem Eindruck des warmen deutschen Sommers, als er sein «Loblied auf die Burka» schrieb. Angewidert vom Anblick der sich an den europäischen Stränden tummelnden Späthippies mit Hang zur Freikörperkultur, empfahl Jan Fleischhauer, sich künftig am Islam zu orientieren. Mit der Burka habe dieser die perfekte Antwort auf das Problem ästhetischer Unzulänglichkeiten gefunden.

Fleischhauers leicht sexistisch angehauchter Gedankengang – seine ästhetische Kritik richtet sich offenbar nur an Frauen – wirft eine interessante Frage auf: nämlich die nach den Konventionen bezüglich der Erscheinung im öffentlichen Raum. Niemand würde es als normal betrachten, wenn unsere Strassen plötzlich von Nackttouristen geflutet würden. Und deshalb ist die Frage nach der Zumutbarkeit von öffentlich zur Schau getragener Nacktheit auch legitim. Doch diese Frage stellt sich auch am anderen Ende der Skala, nämlich bei der Burka.

Gerade habe ich wieder mal ein paar Tage in Interlaken verbracht. Die Stadt ist als Reisedestination bei Touristen aus den Golfstaaten beliebt, entsprechend hoch ist die Burkadichte. Dabei zeigt sich immer dasselbe Bild: Der Mann spaziert salopp gekleidet voraus, gefolgt von einem wandelnden Zelt, ein paar Schritte hinter ihm. Im Restaurant sitzen die Männer breitbeinig an ihrem Tisch und mustern offen die unverschleiert vorbeiflanierenden Touristinnen, während ihre Zelte damit beschäftigt sind, den Schleier vom Mund zu heben, um ihm Essen oder Trinken zuzuführen. Und manchmal empfängt man einen scharfen, musternden Blick aus einem der Sehschlitze.

Man darf mich gern postkolonialistisch schimpfen, aber auf mich wirkt diese Ganzkörperverschleierung passiv-aggressiv. Und sie verstärkt ganz offensichtlich die Segregation. Natürlich gibt es das liberale Argument, die individuellen Freiheitsrechte der Muslimas zu akzeptieren – aber was, wenn diese Rechte die hiesigen Konventionen im gegenseitigen Umgang verletzen? Als im Tessin vor einem Jahr über das Burkaverbot abgestimmt wurde, warnten die Gegner, damit würde man eine religiöse Minderheit vor den Kopf stossen. Zudem trügen in der Schweiz ja ohnehin nur Touristinnen den Ganzkörperschleier. Aber kann das wirklich ein Argument sein? Und ab wie vielen Burkas im Strassenbild wäre ein Verschleierungsverbot gerechtfertigt?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte diesen Sommer die Rechtmässigkeit des französischen Burkaverbots mit dem Argument, dass die Vollverschleierung sich störend auf die Gesellschaft auswirkt. Wollen verschiedene Kulturen nebeneinander bestehen, dann erfordert das ein Mindestmass an gegenseitigen Zugeständnissen. Zum Beispiel die Konvention, dass man in der Öffentlichkeit nicht völlig nackt herumrennt. Aber eben auch nicht total verschleiert. Das einzufordern, ist in beiden Fällen legitim.

Bild oben: Zwei Nichtmuslimas an einer Halloween-Party.

87 Kommentare zu «Schleierhafte Blösse»

  • Werner Graf sagt:

    Die Burka ist ein klares Zeichen mangelnden Integrationswillens.
    Unsere westliche zwischenmenschliche Kommunikation ist hochgradig nonverbal. Mit der Burka ist das Lesen der Körperhaltung und des Gesichtsausdruckes nicht möglich. Es ist also eine unmissverständliche Kommunikationsverweigerung.

  • P.Lee sagt:

    Und wenn eine Burkaträgerin darunter splitternackt wäre ?

  • Peter haas sagt:

    Mein ganz einfacher Vorschlag wäre die religiösen Fanatiker selber hinter eine Burka zu stecken. Und zwar in eine voll schwarze wie sich das gehört für einen Gläubigen. Nicht etwa so wie in arabischen Ländern weisse kleidung ja wir Männer sind sauber die Frauen dagegen schwarz also schmutzig.
    Glaube kaum das die Burka dann lange weiter existieren würde.

  • Max Blatter sagt:

    Frau Binswanger, Sie wünschen sich also eine „Konvention, dass man in der Öffentlichkeit nicht völlig nackt herumrennt. Aber eben auch nicht total verschleiert.“
    Also auf den Punkt gebracht: Gleichmässig verteilte Intoleranz gegenüber allen. Warum nicht lieber allgemeine Toleranz?
    Ich habe schon vor vielen Monaten in einem Kommentar zur damals gerade aufflammenden Burka-Diskussion geschrieben, es sollten sich doch Burka-Trägerinnen und Nudistinnen zu einem gemeinsamen Protestmarsch auf den Monte Verità zusammenfinden.

  • Münger, Daniel sagt:

    Burka tragende Frauen erinnern uns Christen an den Sensemann! Somit wollen wir weder die einen, noch den anderen sehen!

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