Was Menschen am meisten bereuen

Vertieft in die Recherche für dieses Magazin, meine Damen und Herren, stosse ich bisweilen auf Trouvaillen, so via «Time Magazine» auf eine Liste der fünf Sachen, die Menschen auf ihrem Totenbett angeblich am meisten bereuen. Ich präsentiere Ihnen die übersetzten und kommentierten Top 5:
«Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, so zu leben, wie ich wirklich bin, nicht so, wie andere es von mir erwarteten.»
Kein Kommentar.
«Ich wünschte, ich hätte nicht so viel und hart gearbeitet.»
Na ja. Wenn ich mich so umgucke, kann ich nicht ganz glauben, dass es das in die Top 5 geschafft hat. Vielleicht war die Stichprobe verzerrt. Jedenfalls dürfte diese Wehklage berechtigterweise nicht von jenen Menschen zu hören sein, die neulich beim TCS einen Mietwagen für uns abwickelten.
«Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.»
Der Ausdruck von Emotionen ist für die Ausdrückenden gewiss regelmässig schön und/oder befriedigend. Für die, die das hören respektive mitanhören müssen, leider nicht immer. Das ist die diplomatische Umschreibung für: Manche Leute sind betrüblicherweise ziemlich schlicht und sollten lieber die Klappe halten. Nicht ohne Grund sanktionieren gerade liberale Gesellschaften den Ausdruck negativer Gefühle wie Hass und Verachtung.
«Ich wünschte, ich wäre in Kontakt mit meinen Freunden geblieben.»
Hier liegt offensichtlich eine Verwechslung zwischen Freunden und Bekannten vor. Freunde sind die Menschen, mit denen man in Kontakt steht (und zwar ständig – wenn auch manchmal nur sporadisch oder telepathisch). Das andere sind Bekanntschaften. Da ist man bisweilen froh, wenn man die los ist.
«Ich wünschte, ich hätte mir selbst gestattet, glücklicher zu sein.»
Dem liegt die grundsätzlich richtige Erkenntnis zugrunde, dass der Mensch seinem Glück in der Regel selbst im Wege steht (paradoxerweise nicht zuletzt dadurch, dass er ihm hinterherrennt). Hingegen sollte gerade heutzutage, da eine florierende Glücksdeppenindustrie die abstrusesten Auswüchse treibt, an zwei fundamentale Weisheiten erinnert werden: 1.) Happiness is overrated. 2.) Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. (Goethe)
So weit dazu, meine Damen und Herren. Die selige Joan Rivers würde noch einen 6. Punkt anfügen: Ich wünschte, ich hätte dem Doktor das Smartphone abgenommen.
Bild oben: Haben Sie die fünf Sachen bereits notiert, die Sie am meisten bereuen? Foto: flickr.com
19 Kommentare zu «Was Menschen am meisten bereuen»
Ich liege noch nicht auf dem Sterbebett. Also bereue ich nichts. Nicht einmal dass ich Edith Piaf nie kennengelernt habe: „Non, je ne regrette rien“…
Time Magazine muss sich mit „Fünf Dinge die Sterbende am meisten bereuen“ auf ein Buch von Bronnie Ware bezogen haben, einer australischen Schriftstellerin und Palliativ-Krankenschwester. Das Buch wurde ein Bestseller. Ein anderes Buch von ihr lautet: Leben ohne Reue, worin sie unter anderem Autobiographisches auf ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens beschreibt.
Ich wünsche mir am Ende, ich hätte in der Zeitung oder im Netz nicht immer so viele blöde und unnötige Kommentarte lesen müssen.
Wer zu wenig Arbeit hat, beginnt über den Sinn des Lebens nachzudenken. Ein Aelterer kommt vielleicht zum Schluss: Hätte ich in meiner Jugend mehr gearbeitet – und sogar mehr Kinder (möglichst weltweit) gezeugt, hätte ich mich früher zur Ruhe setzen können. Und fände überall ein schönes Plätzchen. Das Problem ist nur – in seiner Jugend – sah er das anders…
„Remorse is the poison of life.“ CHARLOTTE BRONTE, Jane Eyre.
Schlimm ist nicht, was man auf dem Totenbett bereut, schlimm ist, was man im Leben bereut.
Jacques Brel wollte nach seiner letzten Mahlzeit (ein letztes Fest) noch einmal, ohne Furcht und Reue, die Bourgois und Gott beschimpfen, in seiner Pfeife seine unerreichten Träume, seine Kindheitserrinerungen und den Rest seiner Hoffung verbrennen, nur mit der Vorstellung einer Rose und einem Frauenvornamen seine Seele zu bekleiden, im Bewusstsein, dass er ein letztes Mal Angst (nicht Reue) werde.
Beides gefällt mir besser als die Liste.