Der beste Fernsehfilm der Welt

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Die Emmys haben uns wieder vorgeführt, meine Damen und Herren, wie grossartig Fernsehen sein kann. Man vergisst das ja manchmal bei all dem Schrott. Ich möchte das gern zum Anlass nehmen, Ihr Augenmerk auf den besten Fernsehfilm der Welt zu richten. Ich kann mich erinnern, wie ich diesen Film zum ersten Mal sah; es war einer jener Filme, in die ich beim Sprung durch die Fernsehkanäle zufällig hineingeriet und dann … musste ich weitersehen. Ich kam nicht mehr los. Das ist mir in meinem Leben erst dreimal passiert (ansonsten noch mit «Sunset Boulevard» von Billy Wilder und «All About Eve» von Joseph Mankiewicz; was sagt das über mich? Das besprechen wir ein andermal).

Ich rede von «Duel», dem Regiedebüt von Steven Spielberg (deutscher Titel: «Duell») aus dem Jahre 1971, in dem ein anscheinend wild gewordener Truck den Handlungsreisenden David Mann (Dennis Weaver) in seiner Handlungsreisendenlimousine über den Freeway jagt. Der Film ist ein Meisterwerk. Er schildert einen Zweikampf – mit nur einem Protagonisten. Der sinnigerweise Mann heisst, David Mann, und für uns alle steht. Irgendwie.

«Duel» ist oft gepriesen worden für seinen Minimalismus: Der Film ist wortkarg, dialogarm – was nicht hiesse, dass Geräusche keine Rolle spielen würden, im Gegenteil: Jeder Ton, jedes Detail, jeder Schnitt bei diesem Strassenthriller ist superb und trägt Gefahr und Drama – das, was man fachsprachlich «Suspense» nennt; jene hintergründige Spannung, die sich aus Ungewissheit speist. Wie bei allen (oder den meisten) Meisterwerken der Erzählkunst, lässt sich die nackte Handlung in einem Satz zusammenfassen: Der Geschäftsmann David Mann ist in der kalifornischen Wüste im Auto unterwegs, als er sich jählings auf Leben und Tod verfolgt findet, und zwar von einem mutmasslich bitterbösen, rachevollen, mörderischen Truckfahrer. Dadurch entsteht in der hellen Weite der Wüste ein düsterer, klaustrophobischer Horror, der nach Erlösung und Auflösung verlangt. Und wie jedes Meisterwerk funktioniert auch dieser vielfach kommentierte, endlos gesehene und gewürdigte und parodierte und persiflierte Film einfach nur auf der Handlungsebene; er ist ein Meisterwerk der Unterhaltung. «Duel» zeigt den Archetyp des Tempokampfs. Aber nicht nur. Der Film, eigentlich als Fernsehfilm in rund zwei Wochen gedreht und dann wegen seines überwältigenden Erfolgs fürs Kino verlängert, bietet noch ein paar andere Zugänge. Die Reduktion seiner Mittel und die vordergründige Schlichtheit seiner Struktur machen dieses Werk eben auch zugänglich für die Deutungen des suchenden Menschen, für den «Duel» zu einer Metapher werden kann, zu einer Parabel über das Schicksal, die Natur des Menschen und des Bösen schlechthin. Und zwar auf mindestens vier Ebenen:

I. Mann gegen Maschine

Zunächst ist da natürlich der Kampf Mann gegen Maschine. Beziehungsweise: David Mann gegen Maschine. David Mann, der Held des Films, ist ein Durchschnittsmann aus den Vororten und in «Duel» zunächst der hilflose Maschinist in einer scheinbar maschinendominierten Welt: Er kämpft gegen einen Leviathan in Form eines abgetakelten Tanklastzugs, der auf fünf Achsen immer wieder tonnenschwer in sein Leben einbricht. Besagter Truck ist ein Peterbilt 281 mit monströsen und gar mythischen Zügen: Er hat ein bedrohliches Gesicht mit starren Augen, langer Schnauze und Zähnen, eine schmierige, rostige Oberfläche von ungesunder gelblichbrauner Färbung, die Öl zu schwitzen scheint. Dazu stösst er russschwarzen Rauch aus und trägt auf der Stossstange Nummernschilder wie Trophäen. Er trägt ausserdem die Aufschrift «Flammable» als Emblem seiner Gefährlichkeit. (Natürlich erinnert dieser Behemoth, Spielberg selbst hat darauf hingewiesen, an ein anderes Monster: den Weissen Hai aus «Jaws», unerbittlich und gewaltiger als das Leben selbst – bis hin zum Todesbrüller am Schluss.)

David Mann ist gestresst, gestresst durchs Geschäft und seine Familie; er ist nervös und unsicher und gerät ins Schwitzen, als der Truck ihn nach einem Überholmanöver zu jagen beginnt, zuerst in einer Art eskalierendem, grausamem Spiel wie die Katze mit der Maus, durchbrochen von scheinbaren Pausen, die aber keine Pausen sind, sondern: Momente terrorvoller Paranoia.

David Mann kämpft aber auch gegen seine eigene Maschine, die ihn im Stich zu lassen droht (und nur deren Verlassen und Opferung ihn zum Schluss rettet): einen roten 1970er Plymouth Valiant Custom. Der Wagen ist Rüstung, Waffe und Fluch zugleich für unseren Helden; und zugleich ist er irgendwie sein Spiegel: brav, untermotorisiert, konventionell – aber dann auch wieder beherzt, tapfer, wacker (eben: «valiant»).

Die Maschinen verselbstständigen sich in «Duel», sie haben quasi einen eigenen Blick, den auch die Kamera gelegentlich einnimmt. All das legt eine mythische, gewissermassen metaphysische Welt wie eine Folie über die technisch-zivilisatorische, eine Sphäre jenseits der menschlichen Ordnung und Vorstellung. In «Duel» kommunizieren die Automobile intensiver als die Menschen. Der Mensch wiederum wird repräsentiert durch David Mann, der ironischerweise zur Durchsetzung gegen die Maschine selbst eine Maschine benötigt.

II. Mann gegen Mann

Jedes Kind weiss, dass ein Truck nicht von alleine fährt. Also ist der Kampf in «Duel» auch ein Kampf Mann gegen Mann. Sehen wir uns die Männer an. David Mann stellt, wie gesagt, den Prototyp der suburbanen weissen Mittelklasse der USA zu Beginn der 70er-Jahre vor: mit all seinen Ambitionen, Hemmungen, Kommunikationsschwächen. Er hat eine Frau und zwei Kinder, ist von mittlerer Statur und mittlerem Alter, weder besonders einnehmend noch besonders unsympathisch. Und seine Reaktionen sind selten komplex oder überraschend. Auch nicht, als ein ihm unbekannter Lastwagenfahrer augenscheinlich versucht, ihn umzubringen. Nicht nur David Mann bleibt dieser Trucker unbekannt – auch dem Zuschauer. Wir sehen ihn nie. Wir sehen nur seinen Arm und seine Schuhe (Cowboyboots), und das – wie die Motivationslosigkeit seines mörderischen Handelns – erhöht die Paranoia und die Bedrohung.

Manche Kritiker haben in «Duel» eine Konfrontation von Stadt- und Landbevölkerung erkannt oder von Kapitalisten und Arbeitern. Oder dass der mächtige, schmutzige Tanklastzug die herzlose, mörderische Ölindustrie symbolisiere, die einerseits jene aufstrebende Mittelklasse, zu der David Mann gehört, überhaupt erst florieren liess und andererseits verantwortlich ist für das Entstehen einer mobilen Gesellschaft mit ihren vermeintlich sicheren Vororten und Verkehrsregeln. Doch mit all diesen Ansätzen kommt man nicht so furchtbar weit, um jene Spannungen zu erklären, die hier die Strasse fernab von Suburbia zu einer Art Armageddon werden lassen.

Eher hilft das, womit der Film beginnt: die Identifikation der Charaktere durch ihre Vehikel. Das Allerweltsauto von David Mann, Signet der Massenzivilisation, ihrer Prätentionen und Aspirationen – und der dreckige, alte und böse Tanklastzug, wie Spielbergs spätere Saurier ein Relikt aus einer anderen Welt; in der Tat ein formidables Biest: sperrig, schmutzig, lüstern, primitiv und stark. Man sieht den Truckfahrer nie, aber man darf ihn füglich als Antipoden von David Mann vermuten; er scheint über all jene Instinkte und Antriebe zu verfügen, die Mann durch das doppelschneidige Schwert der Zivilisation abgesäbelt hat: ein echter Mann, mit Cowboystiefeln, weder verwirrt noch bevormundet, sondern mit klaren Gefühlen; jemand, der sich weder entschuldigt noch nach Verbalisierung sucht, sondern den, der ihn stört, einfach plattzumachen trachtet, im wörtlichsten aller Sinne.

III. Mann gegen Frau

«Duel» ist also auch eine Geschichte fortschreitender Entmännlichung: Nicht erst durch das Auftauchen eines wesentlich grösseren Fahrzeugs und Symbols traditioneller Männlichkeit wird die Maskulinität von David Mann bedroht. Sondern schon vorher erleben wir den Pantoffelhelden David Mann, der sich gegen seine Frau nicht durchsetzen kann und schliesslich sogar von einer Busladung Schulkinder ausgelacht wird. Hier spiegelt sich, wenn man so will, vor allem der historische Kontext des Films: «Duel» erschien zu einer Zeit, da der sogenannte New Feminism den gesellschaftlichen Diskurs in den Vereinigten Staaten entscheidend mitprägte: die Hinterfragung von Geschlechterrollenstereotypen; die Verwerfung überkommener Verhaltenserwartungen und die Suche nach neuen Mustern und Leitbildern. Das alles prägt den Subtext von «Duel»: eine Krise des Mannes. Szenen, Posen, Farben und Kameraeinstellungen in «Duel» stellen David Manns Maskulinität immer wieder infrage (als er mit seiner Frau telefoniert, sehen wir ihn durch die geöffnete Tür einer Waschmaschine); der gesamte Gang der Dinge scheint ein Test seiner Männlichkeit und Mannhaftigkeit. Niemand glaubt oder hilft ihm. Das Leben ist eine Strasse, wir treiben die Strasse entlang und verstehen uns nicht. Und David Mann braucht erst mal ein Aspirin.

IV. Mann gegen Schicksal

Es ist diese Stimmung von Zweifel und Orientierungsverlust, die, neben der südkalifornischen Wüste, quasi die zweite Kulisse von «Duel» darstellt. Die Eindeutigkeit ist vorbei. Eindeutigkeit: klare Rollen, feste Muster – das war ein Zeichen des Western, von dem in «Duel» eben nur noch die Kulissen stehen, die südkalifornische Wüste. In einer ironischen Volte wird in «Duel» die Ikonografie des Western transformiert und damit aber auch «aufgehoben» im dreifachen hegelschen Sinne, nämlich gleichzeitig bewahrt wie auch storniert und dialektisch erhöht. Hier findet ein Showdown statt, beinahe der ganze Film ist eigentlich ein Showdown, bloss involviert er nur eine Person. Und – das Schicksal.

David Mann hat plötzlich das Schicksal gegen sich, diese unberechenbare Instanz, hier repräsentiert durch einen titanischen, abgetakelten Monstertruck. Das Schicksal stellt David Mann auf die Probe und schert sich nicht darum, ob man seine Knalleffekte stillos findet. «Duel» ist eben auch eine Parabel auf die Geworfenheit der Durchschnittsexistenz, die unvermittelt von einer zugleich vermenschlichten und doch hochgradig fremden, bizarren, unbegreiflichen Vorsehung oder Nemesis attackiert wird – und sich selbst überlassen bleibt. «Wie kann ein Truck so schnell fahren?», fragt sich David Mann irgendwann; und bringt damit das Übernatürliche ins Spiel. Ist dies das Böse auf 18 Reifen? Das Schicksal, die Vorsehung?

David Mann ist kein Held, er ist ein Everyman, ein modernes, fragmentiertes Subjekt, belastet durch diverse Rollenerwartungen, unsicher über sich selbst und seinen Platz; doch das Gesetz versagt und hilft ihm nicht, also muss er es selbst in die Hand nehmen. David Mann trifft sein Schicksal – und überwindet sich selbst, er wird zu Ausserordentlichem fähig, er wird «master of his fate», wie man in Abwandlung der berühmten Verszeile aus «Invictus» erkennen möchte.

In einer gewaltigen Metapher am Ende des Films steht David Mann buchstäblich auf dem Gipfel; er hat gesiegt, seine eigene Schwäche und Verzagtheit überwunden, die Farbe wechselt von der Indifferenz der Wüste auf das reiche Orange der untergehenden Sonne, und untergegangen ist auch der Truck, das Monster, es ist nicht mehr. Ein letzter Brüller, Sturz, Getöse, Rauch, das höhnische Klackern eines Rades, Ende. David Mann hat das Duell für sich entschieden und zugleich noch einen ungleich härteren Kampf ausgefochten, den gegen sich selbst. Er ist kein Opfer mehr.

Jedenfalls in diesem Moment. Mal sehen, was passiert, wenn er nach Hause kommt.

Was mich auf eine weitere, fünfte Ebene bringt, die mir beim Betrachten eines Fotos aufging, das nicht aus dem Film stammt und doch so stimmig ist: Da stehen sie friedlich nebeneinander, der Plymouth und der Peterbilt, und sind irgendwie: wie ein altes Paar.

Aber das behandeln wir beim nächsten Mal.

Bild oben: Diese Symbolik! Allerweltsauto gegen bösen Tanklastzug im Film von Steven Spielberg. Foto: PD

19 Kommentare zu «Der beste Fernsehfilm der Welt»

  • Anh Toan sagt:

    „Jedenfalls in diesem Moment. Mal sehen, was passiert, wenn er nach Hause kommt.“

    Exakt!: Der einzige Charakter wird im Laufe des Filmes nicht entwickelt. Ein Truck fährt hinter einem Weichei… Dann noch ein Ende, vermutlich gabs zwei zuerst: Das, welche alle hier bejubeln, und „Truck überfährt Weichei“. Eigentlich auch völlig egal, passt beides, vorher ohnehin keine Geschichte, kein Charakter.

    Und jetzt frage ich mich, haben Sie tatsächlich den Mut, sich mit Ihrer grandiosen Lobhudelei Ihr Publlikum zu veräppeln, oder erkennen Sie eine guten Film nicht?

    • Anh Toan sagt:

      Der Film ist so frei von Charakteren oder Handlung, dass man sich vor Langeweile und mit Ihrer Phantasie soviel ausdenken kann. Der Film hat Qualtitäten, ganz gross ist, wie er mit der Angst der Zuschauer spielt, er macht Tarantula & Co realer, grosse Trucks gibts doch, überall und jederzeit im richtigen Leben. Sie wollen Nervenkitzel: Sehen Sie Duel im Autokino, und dann, auf dem Heimweg taucht ein Monstertruck hinter Ihnen auf…uuuuuhuhu.

  • juko sagt:

    Habe diesen Film schon lange nicht mehr gesehen. Aber ich sah das Bild und wusste sofort, „Duell“ und alle Erinnerungen waren sofort wieder da. Ein Spitzenfilm mit wenig Dialog und einer tollen Kameraführung. Muss ich mir unbedingt mal wieder mal ansehen. Ob er nach 30 Jahren immer noch so
    „gruselig“ rüber kommt? Mal schauen…

  • fex fex sagt:

    Vielen Dank für den wirklich guten Beitrag!

    Hat mich daran erinnert, dass ich vor x Jahren ebenfalls beim Zappen hängengeblieben bin. Und bis zum Ende auf dem Sofa angenagelt war. Ich hatte keine Ahnung, dass der Film von Spielberg ist, ich hab ihn einfach genossen.

    Danke für die Erinnerung, mal sehen, ob ich auch den Anfang auch noch zu sehen bekomme.

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