Amtsträger mit heruntergelassenen Hosen

SCHWEIZ GPS AG GERI MUELLER 2011

Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur Geschichten, die man so oder anders erzählen kann. Nach der Nacktselfie-Affäre aus dem Bundeshaus wurde vergangene Woche hier die Frage aufgeworfen, wie die Öffentlichkeit auf einen Porno-Sekretär reagieren würde, der während der Arbeitszeit seinen Penis fotografiert und die Bilder veröffentlicht. Zwar lassen sich Selfiegate und Gerigate nur bedingt vergleichen – im einen Fall handelt es sich um eine einfache Bundeshaus-Sekretärin mit einer Zweitkarriere als Amateur-Porno-Darstellerin. Im anderen um einen Stadtammann, der seiner Geliebten Bilder seines Geschlechtsorgans direkt aus der Amtsstube schickt. Eine Frage in dieser Geschichte lässt sich immerhin beantworten: Die Öffentlichkeit reagiert auf nackte Penisse in amtlichen Büros nicht gnädiger als auf nackte Brüste.

Interessant an Gerigate ist aber weniger das, was bereits bekannt ist. Anzunehmen ist nämlich, dass nicht bloss die Libido eines älteren Herren diese Affäre auslöste. Relevant ist, was wir noch nicht sehen, die Hintergründe und Motive aller Akteure – auch jener, die die Geschichte veröffentlicht haben. Interessant ist The Big Picture.

Im Artikel der Zeitung «Sonntag» wird in erster Linie problematisiert, dass «der Stadtammann – Jahreslohn: 260’000 Franken – an seinem Arbeitsort und teilweise während der Arbeitszeit Sex-Chats geführt» hat. Doch ist das wirklich die Geschichte? Rechtfertigt der Umstand, dass die Fotos teilweise am Arbeitsplatz entstanden sind, ihre Veröffentlichung? Wohl kaum, denn das Skandalon liegt nicht bei den Nacktbildern oder der schwülstigen Poesie, mit der Geri Müller seine Geliebte bedacht hat. Wirklich relevant und für die Öffentlichkeit von Belang ist der Polizeieinsatz gegen die Frau, ihre Verhaftung in Baden und die Hausdurchsuchung in Bern. Und just was diese Angelegenheit betrifft, gibt es bislang widersprüchliche Aussagen: Müller vermutete eine Suizidgefährdung der Frau, was die Polizei heute bestätigt hat, zudem habe die Frau mit Veröffentlichung der privaten Korrespondenz und der Bilder gedroht. Diese Hintergründe müssten geklärt sein, bevor man über Penisbilder schreibt.

Wenn eine Person in Amt und Würde sich so unwürdig verhält, ist sie fraglos nicht mehr tragbar. Doch wo beginnt und wo endet das Privatleben? Wenn wir die moralischen Massstäbe so hoch ansetzen, dass niemand sich in einem vermeintlich unbeobachteten Augenblick irgendwelchen Fantasien hingeben darf – wer würde überhaupt noch für Amt und Würde taugen? Natürlich kann man den Mann nur bedauern, dass er dumm genug war, sich mit seiner jungen Geliebten so auszutauschen – aber wer hat sich in seinem Leben noch nie eine Dummheit geleistet? Wer hat keine Leiche in seinem privaten Keller?

Hätte der «Sonntag» die relevante Frage ins Zentrum gestellt, nämlich den Polizeieinsatz, dann würde sich die Geschichte anders lesen. Dann müsste man den Widersprüchen in der Geschichte nachgehen, die Befehlskette klären. Dann müsste man die Frage nach Müllers Motiv stellen, und ob und wie er tatsächlich unter Druck gesetzt wurde, und nach dem Motiv der Frau, mit einer Veröffentlichung zu drohen. Und dann würde es sich vor allem verbieten, dass man wörtlich und ausgiebig aus den Chat-Protokollen zitiert, wie der «Sonntag» dies getan hat. Denn wer so zitiert wird, der hat mehr als seinen nackten Penis gezeigt, der steht wirklich mit heruntergelassenen Hosen da.

Bild oben: Würden Sie diesen Mann nackt sehen wollen? Eben. Das relevante an dieser Geschichte ist nicht seine Nacktheit, sondern was danach folgte. (Archivbild: Keystone)

92 Kommentare zu «Amtsträger mit heruntergelassenen Hosen»

  • Mario Kropf sagt:

    Thema fuer eine juristische Diplomarbeit : Gehoeren die in einem Amtsgebaeude aufgenommenen Bilder eines maennlichen/weiblichen Vorder/Hinter/Ober/Unterteils dem Souverän oder dem Traeger des Koerperteils oder dem Fotografen ?
    Wenn die Bilder dem Souverän gehoeren und nicht der Geheimhaltungspflicht unterstellt wurden (da kaum staatssicherheitsgefaehrdend) , ist dann die Veroeffentlichung strafrechtich relevant ? Was soll in diesem Fall der mehrfache Polizeieinsatz ? Da das Verbreiten von Selfies aus Amtsstuben offenbar im Trend liegt, muss die Rechtslage dringenst geklaert werden

  • Roland K. Moser sagt:

    Nun haben wir einen Teil der Aussagen der Frau 🙂
    Und mit seinem 160 % Pensum verdient der Grüne Geri gut und gerne netto um die 350’000.– p.a., weswegen er kaum freiwillig zurücktritt.

  • Daniel Wyss sagt:

    Danke M. Binswanger! Das ist doch genau der Punkt! Cui bono? oder wem nützt die Geschichte?
    Der Verdacht liegt nahe, dass es gewiss einflussreiche Kreise gibt, die diesen äusserst pointierten Politiker, mit bewundernswert glasklaren Positionen (vor allem auch in Fragen der internationalen Politik!) „abschiessen“ wollten.
    Auf der andern Seite möchte ich auch betonen, dass ich entäuscht bin von Geri Müller. Jahrelang habe ich ihn bewundert für den Mut für seine nicht gerade „Mainstream Positionen“ öffentlich hinzustehen. Wie kann er nur derart dumm gewesen sein Nacktfotos ins Internet zu posten

    • Martin Frey sagt:

      Wie sagte August Bebel doch so schön: „Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls.“ Weshalb also sollte man sich wundern?

    • Kurt Gantenbein sagt:

      Heute können sie lesen welche einflussreichen Kreise hinter der Affäre stehen und die Fäden ziehen.
      Gerade darum darf Müller nicht zurücktreten.

  • Raphael Wellig sagt:

    geri mueller muss zurücktreten. es gibt keine andere lösung. damit zeigt er, was für ein unfähiger politiker er ist. also herr mueller, wenn sie charakter haben, räumen sie ihren platz per sofort.

    • Daniel Wyss sagt:

      @ R. Welling: Quatsch Herr Welling! warum soll der Rücktritt die einzige Lösung sein? Mit seiner Fähigkeit als Politiker hat die ganze Geschichte doch gar nichts tun. (Zudem wenn alle unfähigen Politiker zurücktreten müssten – wo kämen wir da hin?) Die ganze Geschichte ist zwar obernotpeinlich aber letzlich privat und geht Sie und mich eigentlich nichts an.
      Sicher hätten Sie schon vor dieser Geschichte nur allzugerne den Rücktritt von Geri Müller gefordert – weil er Ihnen politisch nicht passt! Gell!

    • Patrick Leonardi sagt:

      Äh WOmit? So ein Blödsinn.

  • Jeanclaude sagt:

    Auch wenn Müller sich daneben benommen hat, ist die Frage, „ob man diesen Mann nackt sehen wolle“ ein Fauxpas. Daher habe ich mir erlaubt zu fragen, „ob man die Autorin in 12 Jahren nackt sehen wolle“. Auch mit dem daneben gestellten „eben.“ Dieser Kommentar fiel erwartungsgemäss der Zensur zum Opfer. Mann darf sowas nicht, Frau schon.

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