Väterlicher Gestus für Pornografinnen

torsi

Wer hätte gedacht, dass wir es irgendwann der NZZ zu verdanken haben würden, dass man die Begriffe «Porno-Sekretärin» und «Bundeshaus» so oft in so inniger grammatikalischer Umarmung erwischen würde. Aber dank der guten alten Tante wurde vergangene Woche darüber debattiert, ob eine junge Frau ihren nackten Busen während der Arbeitszeit fotografieren darf, insbesondere dann, wenn sie dazu noch eine Bundeshausangestellte ist. Oder ob das verwerflich ist und arbeitsrechtliche Konsequenzen haben sollte. Eine perfekte Story, um allfällige voyeuristische Instinkte zu bedienen.

Interessant ist sie auch, weil es sich hier nicht um Revenge-Porn eines enttäuschten Ex-Lovers oder Ähnliches handelt, sondern die Frau Pornografie sozusagen als Hobby betrieb. Die Story war bis zum Wochenende landauf, landab, in etablierten und sozialen Medien das grosse Gesprächsthema, wobei es weniger darum ging, ob eine Bundeshausangestellte zugleich Pornosternchen sein darf, sondern ob dieses Privatleben der Frau die Öffentlichkeit etwas angeht. Nein, meinten die meisten Kommentierer und bedauerten die «attraktive Brünette». Die Skandalisierung, so hiess es mehrheitlich, sei völlig daneben, das Vergehen, während der Arbeitszeit Nacktselfies herzustellen, absolut harmlos. Schlecht weg kam dagegen die NZZ, weil sie das schlüpfrige Thema aufgegriffen und die Frau damit den Boulevardmedien ausgeliefert hatte.

Ich begrüsse den Reflex zur Zurückhaltung und finde es richtig, die junge Frau nicht von vornherein zu verurteilen. Diese Haltung sollte jedem zugestanden werden. Ich habe mich gefragt, wie man reagiert hätte, wenn ein Mann eines solchen Verhaltens überführt worden wäre. Wenn einer der Sekretäre im Bundeshaus im Büro seinen Penis fotografiert und die Bilder in den sozialen Medien verbreitet hätte. Hätten die Kommentatoren auch gesagt: Was ist denn schon dabei, während der Arbeit ein bisschen die Geschlechtsteile in die Kamera zu hängen? Lasst doch dem armen jungen Mann seinen Spass? Und wie hätte man wohl reagiert, hätte sich dann noch herausgestellt, dass er in seiner Freizeit Pornodarsteller ist? Hätte man dem jungen Mann auch spontan eine neue Stelle angeboten, wie das bei der Porno-Sekretärin bereits zu lesen war? Ich vermute nicht, da in diesem Fall mit keinerlei väterlichem Beschützerinstinkt zu rechnen wäre. Vielmehr dürften Medien und Öffentlichkeit solchem Exhibitionismus von männlicher Seite mit ungleich grösserem Misstrauen begegnen – dies aus dem einfachen Grund, weil wir geneigt sind, männliche Sexualität als potenziell aggressiv und gefährlich zu deuten.

Wahrscheinlich müssen wir auf den ersten Porno-Sekretär warten, um diese Frage beantworten zu können, und ich weiss nicht, ob wir in nützlicher Frist mit so einem rechnen können. Aber es ist zu hoffen, dass auch er auf den entsprechenden Goodwill der Öffentlichkeit hoffen darf.

Bild oben: Exhibitionismus von männlicher Seite – was wäre wohl passiert, wenn einer der Sekretäre im Bundeshaus sich halb nackt fotografiert und die Bilder in den sozialen Medien verbreitet hätte? (Foto: Flickr)

37 Kommentare zu «Väterlicher Gestus für Pornografinnen»

  • Mariam sagt:

    Hat man erstmal eine grundsätzliche Null-Toleranz und moralische Hoheit gegenüber den bösen Männern etabliert, ist es ein leichtes in der Gesellschaft, nachher auch die Frauen an die kurze Moralleine zu nehmen. Manche Frauen, die männerkritische Haltung in den letzten Jahren mitgetragen haben, dürften sich wohl bald mal fragen, ob der moralisch-konservative Bumerang nun nicht plötzlich auch in ihre Richtung zurückfliegt. Null Toleranz. Wohl bekomms.

  • Hofstetter sagt:

    Was mich überrascht ist, dass immer nur von einer Frau gesprochen wird. Aufnahmen stammen zudem von ihrem Büro im Bundeshaus. Hat diese Frau tatsächlich für sich allein ein Büro gehabt, ringsherum alles geschlossen. Ich glaube nicht, dass Sie allein war, sondern dass es vielleicht noch einige Mitbeteiligte gibt. Aber wie in Bern, es wird alles unter den Tisch gewischt.

  • Jeanclaude sagt:

    Ein Mann hätte wahrscheinlich weniger Chancen gehabt als die Frau, die sicherlich auch Bundeshaus-intern durch ihre Freizügigkeit bekannt war und Arbeitskollegen in Schwierigkeiten bringen könnte, wenn sie auspackt. Zudem wird es noch eine Weile dauern bis sich die Call-Boys auf die gleiche Stufe wie Call-Girls etabliert haben. Wie dem auch sei. Dieser Fall war willkommener Sommerloch-Füller.

  • Peter Fu sagt:

    Nicht sicher, ob es lediglich darum geht, ob männliche Sexualität „als potenziell aggressiv und gefährlich“ gedeutet wird. Es ist wahrscheinlich auch eine Komponente, dass zumindest in der gutbürgerlichen, medialen Öffentlichkeit Männlichkeit keine sexuelle Komponente besitzt und sogar „unterdrückt“ wird, wenn man so will. Wenn für Frauen gilt „Geschlecht über Funktion“ so ist es für Männer mehr die Umkehrung – mit allen Vor- und Nachteilen.
    Oder anders formuliert: goldstrahlende Zitronen sind in aller Munde, Bananen Schnee von gestern.

  • IchundDu sagt:

    Nicht nur sind wir es uns gewohnt Männer als sexuell aggressiver zu betrachten, leider sind wir es uns auch gewohnt Frauen als passiv oder sexuelle Objekte anzusehen, und so akzeptiert man wohl eher wenn eine Frau sich so verhält. Immerhin jedoch vielleicht ein Fortschritt zu Pläzen, wo Frauen überhaupt erst keine Sexualität zugestanden wird.

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