Wie man Arbeit vermeidet

Alle haben Ferien, nur Sie sitzen noch im Büro? Aber das heisst doch noch lange nicht, dass Sie auch arbeiten müssen! Nein, ich spreche nicht von Krankmachen, meine Damen und Herren. Das ist was für Anfänger, ausserdem eine sehr kurzsichtige Strategie und möglicherweise mit hartnäckigen Gewissenbissen verbunden. Aww, das Gewissen, dieses störrische alte Ding! Wir wollen natürlich was ohne Gewissensbisse; ja, mehr, etwas, wobei wir uns sogar noch gut fühlen! Ich spreche von einer feinen Technik, einer Kunstform: der Kunst des Ausweichens, Abschiebens, Aufschiebens. Diese Kompetenzen sind, richtig praktiziert, dosiert und eingesetzt, ein komparativer Vorteil im spätmodernen Berufsleben – beileibe nicht nur zur Ferienzeit. Systematisches Vertagen und Aufschieben schont knappe Ressourcen und steigert die Effizienz, weil viel Nichtiges sich auf diese elegante Weise von selbst erledigt (so wie überhaupt viele Probleme). Die Fähigkeit zur strategischen Prokrastination ist also eine ganz eigene Qualifikation, aus der Ihnen keine Karrierenachteile erwachsen müssen – im Gegenteil! (So wie Ihnen oft genug keine Vorteile aus stumpfsinniger Fron und Plackerei entstehen.) Hier sind die wichtigsten Instrumente dieser Technik. Üben Sie!
- Grundvoraussetzung
Besonders fürs Arbeitsleben gilt: Sprechakte sind Handlungen. Fast nie sollen Sätze einfach nur Informationen übermitteln, meist will der Sprecher irgendetwas mit ihnen bewirken, also quasi direkt durch sie agieren. Er will zum Beispiel beeindrucken, motivieren, seinen Status sichern. Sprachphilosophen reden hier, zurückgehend auf Theorie der Sprechakte von John Langshaw Austin, von einem «illokutionären Akt», den ein Sprecher auf der Handlungsebene vollführt. Eine grosse illokutionäre Kraft hat das Wörtchen «nein». Wenn Sie das ein paar Mal nein gesagt haben, sofort, ohne Gründe, haben Sie eine gute Basis geschaffen. Übungen dazu finden Sie hier. Und hier.
- Feinheiten
Der versierte Arbeitsvermeider muss gar nicht oft nein sagen, denn er vermeidet es, überhaupt gefragt zu werden. Die beste Strategie, sich lästigen Anfragen zu entziehen, ist jene raffinierte Ausweichtaktik der so genannten «Handlungsillusion». Das heisst: Man wirkt beschäftigt. Handlungsillusionen sind besonders in der politischen Sphäre weit verbreitet, weil hier von den Akteuren dauernde Tatkraft und Dynamik erwartet wird. Also wirken Sie beschäftigt. Dabei helfen Ihnen die alten Pausenhoftricks: Fuchteln Sie mit irgendwelchen Clipboards herum oder setzen Sie sich ein Headset auf oder starren Sie auf Ihren Bildschirm wie eine Schlange, die ein Kaninchen hypnotisiert. Verteilen Sie unbedingt ganz viele verschiedenfarbige Post-its und Leuchtstifte auf Ihrem Schreibtisch.
- Gefahren
Noch wirksamer als die Handlungsillusion für die Vermeidung von Arbeit ist natürlich: Abwesenheit. Versuchen Sie folglich, Ihre Anwesenheit auf ein Minimum zu reduzieren: Legen Sie alle Termine und Mahlzeiten auf Auswärts. Noch leichter ist die elektronische Abwesenheit: eine strikte 24-h-Verzögerung in der Beantwortung sämtlicher elektronischer Korrespondenz sorgt dafür, dass irgendeine andere arme Seele sich der meisten Vorgänge angenommen haben wird. – Potentieller Nachteil der Abwesenheitsmethode: Wenn man Sie nie sieht, vergessen die Leute allmählich, dass Sie existieren. Das wollen Sie ja nun auch nicht unbedingt. Also weiter zu Punkt 4.
- Für Fortgeschrittene
Ein noch effizienteres Mittel zur Arbeitsvermeidung als das Neinsagen und die Absenz ist: leicht furchteinflössend zu wirken. So, dass die Leute Abstand halten. Niemand wird Sie mit irgendwelchen Aufgaben belästigen, wenn Sie bei Ihren Kollegen dafür bekannt sind, ein bisschen cholerisch oder etwas irre oder einfach nur leicht unangenehm zu sein. Bei letzterem helfen etwa eine feuchte Aussprache oder chronische Schwatzhaftigkeit oder ständige Verletzung der physischen Distanzgrenzen. Oder eine Reputation für völlig unvorhersehbare Verhaltenssprünge und Stimmungsschwankungen. Viel Spass!
- Die Krönung
Die allerbeste Arbeitsvermeidungstechnik jedoch wird ausgedrückt durch die WAI-Formel: willig aber inkompetent. Erledigen Sie zugewiesene Aufgaben wie Sitzungsprotokolle oder Terminplanerstellungen mit schillerndem Enthusiasmus – und so schlecht, dass Sie nie wieder gefragt werden. Achtung: Diese Technik ist bei weitem nicht so einfach, wie sie sich anhört; in der Tat handelt es sich hier um die Meisterstufe und Königsdisziplin der Arbeitsvermeidung. Sie müssen nämlich brillant und unersetzlich bei wichtigen Sachen sein, um sich bei den lästigeren kleinen Aufträgen nonchalantes Versagen leisten zu können. Unter dieser Voraussetzung aber wird Ihnen vergeben werden. Das ist nicht fair, aber wahr. Vielleicht noch weniger fair ist der Umstand, dass Ihnen diese partielle Unwilligkeit sogar Respekt und Wertschätzung eintragen kann. Es lebt (und arbeitet) sich ganz vorzüglich als grantiges Original. Das gilt vom Vatikan bis zum Showgeschäft. Good luck!
Bild oben: Gepflegtes Nichtstun schont die physischen und geistigen Ressourcen. (monterd/Flickr.com)
24 Kommentare zu «Wie man Arbeit vermeidet»
Die Steigerung von „laschieren“, also dem Vortäuschen von Arbeit, ist der demonstrative Müßiggang, welcher aber, ganz im Gegensatz zum immer öfter anzutreffenden Laschieren, mittlerweile gesellschaftlich ohne Akzeptanz ist. Wenn Sie also wirklich nichts zu tun haben, sollten Sie trotzdem energischen Schrittes auf den Aston in der Einfahrt zugehen….
Sehr geehrter Herr Tingler, wenn Sie in einer Schweizer Zeitung schreiben (und der Kommentar über den Untergang Roms zeigt dies auch auf), und solche Tipps geben, da könnte es sein dass Sie sich nicht nur Freunde machen.
Eine schweizerische Grundeigenschaft (in der Arbeitswelt, aber nicht nur) die man verinnerlichen muss, und vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt, ist:
Hierzulande wird Fleiss viel höher gewichtet als Intelligenz!
Ja, Fleiss um jeden Preis ! Für einen Schweizer gehört es sich nicht, nicht fleissig zu sein, das lernen wir früh genug. Und später in der Arbeitswelt fallen wir für Jahre aus wegen Burn-Out, weil man vor lauter Fleiss gar nie gelernt hat, wie man auch mal Müssiggang übt.
Punkt 7 fehlt noch: Arbeit (zu) perfekt machen. Ich „durfte“ als jüngster Anwesender mal eine Projektdiskussion unter ETH-Professoren protokollieren. Da niemand sagte, welche Art das Protokoll sein sollte, habe ich alles weitgehend wortwörtlich protokolliert, mit Schwergewicht auf die verrücktesten Ideen und blödesten Kommentare bei genauer Namensnennung. Einige Tage später erhielt ich überschwänglichen Dank und Lob und seither musste ich nie wieder eine Sitzung protokollieren. Das Protokoll ist übrigens nie wieder aufgetaucht…