Massgeschneiderte Lebenskrisen

War früher eigentlich auch alles so kompliziert? Heute jedenfalls scheint es so, zumindest wenn man der täglichen medialen Psychoanalyse glauben will. Denn während der Durchschnittsmensch früher irgendwann nach vierzig mit einer Midlife-Crisis rechnen konnte, ist heute jeder in fast jedem Alter potenzielles Opfer von Lebenskrisen aller Art.
Es fängt in der Pubertät an, obschon die wohl nicht zählt, da dieses Lebensalter schon vom Konzept her eine einzige Krise ist. Doch irgendwann mit zwanzig ist der grosse Umbruch ausgestanden, und der junge Erwachsene sollte mit neu gefundener Unbeschwertheit ins Leben eintauchen. Nur scheint das den jungen Erwachsenen nicht mehr so leichtzufallen, weil die Aufgabe, den eigenen Lebensweg zu gestalten, ob der vielen Optionen unendlich kompliziert geworden ist. Dies entnehme ich jedenfalls dem Artikel einer Autorin im Magazin «Clack». Unter dem charmanten Titel «… uns bleibt immer noch Paris» schildert sie ihre Quarterlife-Crisis, die zugleich die Krise einer ganzen Generation zu sein scheint: Unsicherheit, Selbstzweifel und die Angst, falsche, fatale, nicht wiedergutzumachende Entscheidungen zu treffen.
Eine ähnlich niederschmetternde Diagnose stellt die «Süddeutsche Zeitung». «Der Grosse Frust mit Mitte 30» lautete der Titel des Artikels, der dem vierten Lebensjahrzehnt düstere Prognosen stellt, zumindest was die Zufriedenheit im Job anbelangt. Und dies, obschon diese Phase im Leben eigentlich die beste sein sollte: Endlich hat man einen kleinen Rucksack aus Erfahrung und langsam eine Ahnung, wer man ist und was man will im Leben. Aber weil dieser Reifeschritt für viele Menschen darin mündet, dass sie eine Familie gründen, rollt schon die nächste Problemlawine an. Der Mittdreissiger, so die Studie, leidet darunter, dass er keine Zeit hat, zu Hause ackern und im Job um die guten Posten schachern muss, sodass er permanent erschöpft und tendenziell unzufrieden ist. Mit echter Job-Zufriedenheit, so die Studie, sei erst ab vierzig zu rechnen.
Und mit vierzig? Ich sprach neulich mit einem Freund darüber, dass ich mir Gedanken übers Älterwerden mache, worauf er sofort eine Midlife-Crisis diagnostizierte. Ich glaube, er irrt sich. Ich glaube, darüber nachzudenken, was das Lebensalter bringen wird, womit man noch rechnen kann und womit nicht mehr, ist vielmehr ein Zeichen davon, dass man etwas im Leben gelernt hat. Nämlich dass es kein Lebensalter gibt, das nicht seine eigene Krise mit sich bringt. Genauso wie jedes Lebensalter Vorteile hat. Und wer es schafft, sich an den Vorteilen zu freuen, anstatt sich über die Nachteile zu grämen, hat auf jeden Fall gewonnen. In jedem Alter.
Bild oben: Lena Dunham in der HBO-Serie «Girls» hat schon Ende zwanzig die Krise.
12 Kommentare zu «Massgeschneiderte Lebenskrisen»
Im Zusammenhang mit Fussball – was denn sonst;-) – hat neulich ein Psychologe vom Prinzip des rosaroten Elefanten geschrieben: Wenn man den Leuten sagt, sie sollten nicht an einen rosaroten Elefanten denken, tun sie es mit Sicherheit dennoch. Man liest heutzutage in allen Medienkanälen, welche Krisen welches Lebensalter für einen Bereit hält und in welchem Lebensalter man sich aufgrund der arithmetischen Geburts-Zahl in seinem Pass gefälligst zu befinden habe. Vielleicht sollte man versuchen, sich einfach weniger Gedanken darüber zu machen, in welchem Lebensalter man sich gerade befinde.
Bin mit der Schlussfolgerung vollkommen einverstanden. Ich denke aber, dass die Grenze zwischen Krise und weiser, reifer Reflexion der Schwierigkeiten und Chancen eines Altersabschnitts fliessend ist, und wir nicht zu schnell werten sollten. Der Begriff Midlife Crisis ist eher negativ behaftet, aber schlussendlich sind Menschen einfach verschieden. Wie stark eine Krise ausfällt und wie gut man damit umgehen kann, hat nur teilweise mit Verdienst und Versagen zu tun, zum Teil auch mit persönlicher Geschichte und Persönlichkeit. Etwas Nachsicht mit sich selbst und anderen ist nicht falsch…
Na ja, aber die Medien sprechen immer von Krisen, nicht von ‚weiser, reifer Reflexion‘. Man könnte ja vielleicht von Herausforderungen sprechen, die jedes Alter und jeder Lebensabschnitt mit sich bringen, dann könnte ich mich damit identifizieren. So, wie es zur Zeit abläuft und da gebe ich Frau B völlig Recht, läuft es eher auf eine sehr oberflächliche Dauerklagerei hinaus, die durch die medialen Endlosberichte auch noch gefördert werden (Huhn & Ei;-).
Krisen gehören zum Leben dazu. Was nicht dazu gehört ist das mediale ausschlachten selbiger. Orientierung findet man nämlich bei Freunden und sich selber und nicht in Magazinen oder Blogs.
richtig auf den punkt gebracht!
Dito. Abgesehen davon, scheinen die meisten „Lebenskrisen“ in unseren Breitengraden und gerade bei jungen Leuten primär klassische Wohlstandsprobleme zu sein. Wer die Krise kriegt, weil er sich nicht zwischen einem vom Papi bezahlten Publizistik- oder BWL-Studium entscheiden kann, oder grübelt, was er / sie mit den paar Tausend Franken vom Grosi anfangen soll.. Work and Travel in Australien oder doch ein Aufenthalt in Barcelona… Tja… was soll man da noch sagen. Es braucht schon ein Übermass an monetären und zeitlichen Ressourcen, um sich die Dauer-Nabelschau uberhaupt leisten zu können 😉
Irgendwie beschleicht einem das Gefühl, dass es zur Zeit „modern“ ist an einem „Burnout“ oder ähnlichem zu „leiden“. Opferdasein als Lebenseinstellung und Aufmerksamkeitsgenerator. Ich arbeite in einem Betrieb welcher offenbar zu den Spitzenreitern in dieser Disziplin gehört und ich kann mich oft bloss noch wundern. Nach durchschnittlich 6 Wochen tauchen diese Leute, teilweise braungebrannt, wieder auf und tun so als wär nichts gewesen. Natürlich gibt es schwere Depressionen oder Burnouts. Aber was zur Zeit abgeht hat eher mit dem heutigen Zeitgeitst als mit der Arbeitsbelastung zu tun.
Manchmal ist’s einfach besser man macht was, ohne groß zu überlegen. Die Krisen und Zweifel sind exzellente Elemente in unserm Leben weil sie uns herausfordern und so uns in andere Sphären bringen. Es ist eine bewusste Entscheidung, etwas zu bereuen, nur bringt das einfach gar nichts, nur eine Verschwendung von Zeit. Einfach glücklich zu sein das man atmet, das ist schon zu weit Weg von der Natur….:)