Tätowierte Spitzentänzer

Sollte die Welt nicht weiblicher werden? Das wurde ich vergangene Woche in einem Interview gefragt. Und weil es ein Interview war, wurde von mir eine Antwort erwartet, auch wenn ich mich ausserstande sah, eine zu geben. Denn was soll das überhaupt heissen, dass die Welt weiblicher wird? Und deshalb würde ich sagen: Nein. Ich glaube nicht, dass die Welt per se weiblicher werden sollte. Ich finde es schön, dass es zwei Geschlechter gibt, die irgendwie gleich sind und die Dinge doch unterschiedlich anpacken. Ich finde nicht, dass wir uns einander angleichen sollten. Aber wir können voneinander lernen.
So wie die Protagonisten einer wunderbaren Geschichte im Ausgehmagazin «20 Minuten Friday». Redaktor Jonas Dreyfus porträtierte eine eher ungewöhnliche Ballettgruppe, bestehend aus Männern, die man eher an einem Death-Metal Konzert als in einem Ballettstudio erwarten würde. Männer mit Schnäuzen und Tattoos und Schirmmütze und Stirnband, die in Schläppchen Pliées üben.
Es ist eine erhebende Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gruppe ins Leben gerufen hat Tim, der vor ein paar Jahren seinen tätowierten Rücken als Kunstwerk verkauft hat. Nach seinem Tod wird das Kunstwerk entfernt und konserviert. Kunstwerk hin oder her ging es Tim, wie den meisten anderen Menschen auch, wenn die Jahre so vorbeiziehen: Er stellte irgendwann fest, dass die Jugend nicht ewig dauert und Körper zum Einrosten tendieren, wenn sie nicht gebraucht werden. Tim beschloss also, Sport zu treiben. Etwas Dynamisches sollte es sein, etwas mit einer Philosophie dahinter. Aber anstatt im Kampfsporttraining landete er im Ballett. Und lernte dort nicht nur sich und seinen Körper strecken, sondern auch seinen Geist.
Der Mann meinte es ernst. Weil er keine Lust hatte, inmitten ehrgeiziger Ballerinas seine grazile Seite zu entdecken, fragte er ein paar Kumpels, ob sie mitmachen würden. Zusammen engagierten sie einen Ballettlehrer und trainieren jetzt fleissig.
Mein Vater tanzte während seiner Studienzeit in den Sechzigerjahren auch Ballett. Aber immer, wenn ich Freunden davon erzählte, erntete ich misstrauische Blicke. Ich weiss nicht, ob das damals weniger verdächtig war als heute. Aber seither ist es ist für Männer sicher nicht einfacher geworden, Strumpfhosen anzuziehen und Arabesquen zu tanzen. Eleganz und Grazie sind in der Männerwelt nicht gerade en vogue. Und es gibt Männlicheres, als sich über Pliés zu unterhalten. Fussball zum Beispiel. Eigentlich jeder andere Sport ausser Synchronschwimmen.
Was ja völliger Blödsinn ist. Denn warum sollten heterosexuelle Männer nicht Ballett tanzen? Ich glaube nicht, dass die von «Friday» porträtierten Ballerinos «weiblicher geworden» sind, weil sie sich auf das Experiment Ballett eingelassen haben. Aber sie haben sich in einen Bereich vorgewagt, den ihre Peergroup als «weibisch» oder «schwul» taxieren würde und dabei entdeckt, dass sie davon durchaus auch als Männer profitieren. Nicht nur vom Offensichtlichen wie Fitness, Disziplin und Körperbeherrschung. Sondern auch von der aufrechten und offenen Körperhaltung, die Tänzer auch ins Leben mitnehmen. «Ballett hat mein Leben verändert», sagt denn auch einer der Ballerinos.
Nicht zuletzt kann man auch mit dem Applaus der Frauen rechnen. Denn die Death-Metal-Kumpels mögen den Kopf schütteln, aber Tänzer hatten bei Frauen immer schon gute Karten. Oder wie es einer der Gruppe ausdrückt: «Die Ladies drehen durch». Wenn das kein Argument ist.
Bild oben: «I’m very proud of them!» Yen Han inmitten ihrer neuen Ballettklasse, die sie im Januar 2014 auf Facebook vorstellte. (Foto: Yen Han Dance Center/Facebook)
11 Kommentare zu «Tätowierte Spitzentänzer»
Weshalb sollen heterosexuelle Männer nicht Ballet tanzen? Die Frage ist doch viel mehr: Weshalb sollten Sie? Und weshalb sind die wenigen, die Lust haben darauf und es auch tun, dann eine Geschichte wert? Beim Synchronschwimmen ist es übrigens etwas anders. Weil Männer da anatomische Nachteile haben (wie ich selber an entsprechenden Prüfungen feststellen durfte…). Und vor allem, weil Männer bei diesem Sport explizit nicht zugelassen sind.
„weil Männer bei diesem Sport explizit nicht zugelassen sind“ – OIh mein Gott, wo sind denn da die Gleichberechtigungswächter und Benachteiligungsempörer ? Also ich meine an sich, ja, ähem, eher nicht für mich.
Da muss doch jemand was machen (ich kann grade nicht).
Zum Grusse
H.
@Sportpapi: 1. Wer sagt, dass sie sollen? Sicher ist, es ist ein exzellentes und viel kompletteres Training, als bloss Muskelaufbau durch Fitness zu machen. 2. Warum es eine Geschichte wert ist? Genau weil es eben eine ungewöhnliche Geschichte ist. Und weil sie positiv ist. Ich würde sogar sagen, das wäre der Plot für einen Film.
Und was für ein Film käme dabei wohl raus? Ein klassischer Chick Flick… 😀
Aber „I will dance“ gibt es doch schon 🙂
Über den Nutzen des Trainings könnte man nun streiten. Erstaunlich ist nach meiner Erfahrung, dass sehr gute Tänzerinnen häufig in anderen Sportarten nicht so gut abschneiden. Etwas, was mich schon länger wundert. Dass die Männer vom Ballettraining profitieren, glaube ich sofort. Ebenso wie es Frauen auch gut tun würde, etwas Muskeln aufzubauen.
Alles stemmt sich dagegen, Michèle Binswanger. Aber die Geschichte (aus Ihrer Feder) ist so gut, dass ein fettes Kompliment unausweichlich bleiben muss. Auch wenn ich es, spätestens beim nächsten Blog-Beitrag, wieder bereuen werde… Was soll’s. Chapeau!
Ich empfinde Balletttänzer und dann noch tätowiert einfach als sagenhaften wunderschönen zustupf in unsere so kleinkarierte Welt. Mehr davon, bitte!!!!!
Wieso betonen Sie hier die sexuelle Ausrichtung dieser Tänzer ? Muss den jeder Mann der sich für Sportarten interessiert, die bisher eine Frauendomäne war schwul sein ? Wie ist es den umgekehrt ? Sind Frauen die sich in Männersportarten tummeln auch irgendwie anders ? Vielleicht sogar lesbisch ? Soll doch jeder den Sport betreiben, den er mag. Alles ist besser als nur auch der Coutch zu sitzen
peter. ja klar werden mädchen, die jungs-zeugs machen als lesbisch bezeichnet und ausgegrenzt. leider. und das fängt schon sehr sehr früh in der kindheit an.
klar sollte jeder machen was er mag.
und couchs muss man ja auch nicht diskriminieren 😉
Cool! Einfach nur cool! Und sehr sympathisch!