Die Banalität des Naiven

Was für ein seltsamer Zirkus. Irgendwann an einem Nachmittag vorletzte Woche landete ein Mail in meiner Box. Die «Beobachter»-Redaktion kündigte darin ihre nächste Nummer und vor allem einen Artikel zum Thema Eherecht an. Das Mail tönte viel aufgeregter, als es der Gegenstand des Artikels vermuten liesse, und zwar wegen Toni Bortoluzzi. Der nämlich vertritt darin Ansichten, die eigentlich ins Museum gehören. Homosexualität sei unnatürlich etwa, ein modischer Blödsinn von Fehlgeleiteten. Das habe alles etwas mit verkehrt laufenden Hirnlappen zu tun. Von der Liebe scheint Herr Bortoluzzi so wenig Ahnung zu haben wie von den Vorgängen im menschlichen Gehirn.
Ich las das Mail und wünschte mir, ich hätte es nicht gelesen. Auch wenn Bortoluzzis Worte vornehmlich davon zeugen, dass in seinem eigenen Gehirn einiges verkehrt läuft, sind sie eine Art verbaler Terrorismus. Terroristen lassen Bomben hochgehen und nutzen die Mechanismen der Medienmaschinerie, um die Bilder davon in Endlosschleife zu verbreiten. Der Einzelne mag sich verweigern, das System kann es nicht. Medien berichten. Und sie berichteten auch über Bortoluzzi. Seine Worte aufgenommen, zerlegt und ausgeweidet, auf kleiner Flamme geröstet, verspeist und verdaut. Und als sich alle im wohligen Gefühl der eigenen Rechtschaffenheit zurücklehnten, kam die «Schweizer Illustrierte».
Die SI sah sich durch Bortoluzzis ungeheuerliche Worte dazu inspiriert, ihm, dem Fehlgeleiteten, ihren wöchentlichen Kaktus zu verleihen. Und weil es zu jedem Kaktus eine Rose braucht, verlieh man diese an «die Schwulen». Aber weil ein Schwuler allein symbolisch etwas wenig hergibt, wählte man gleich 33 aus, prominente Schweizer, die «dafür sorgen, dass unser Land in Vielfalt und Lebensfreude farbig bleibt».
Wie ist denn das jetzt gemeint? Blühen im ganzen Land Blumen, wenn Menschen desselben Geschlechts sich verlieben? Blöd auch, dass die SI die Personen nicht um Erlaubnis fragte, ob sie «die Schwulen» repräsentieren und sich gegen Bortoluzzi in Stellung bringen lassen möchten. Einige der «Schwulen», zu denen grosszügigerweise auch zwei Lesben gezählt wurden, outete die SI sogar unfreiwillig.
Bortoluzzi hat seine Worte gezielt platziert und die Entrüstung des imaginären linken Mainstreams vermutlich kalkuliert. Die Linken, die Schwulen, die Medien – der perfekte Hintergrund, um sich davor als konservatives Schwergewicht zu inszenieren. Weniger Kalkül als ganz banale Naivität darf man bei der SI vermuten, die Bortoluzzis Plan mit massgeschneiderten Klischees bediente. Und das ist fast noch schlimmer. Denn Homosexualität ist weder ein Verdienst, noch sollte es sich jemand gefallen lassen müssen, zwangsgeoutet zu werden. Prominenz hin oder her.
Bild oben: Ein Waschlappen für den Gehirnlappen. Toni Bortoluzzi (SVP, ZH) begutachtet das Geschenk aller Fraktionen im Nationalrat für seine schwulenfeindlichen Äusserungen (12. Juni 2014). Foto Lukas Lehmann/Keystone
22 Kommentare zu «Die Banalität des Naiven»
Die Reaktion der SI mag an und für sich ziemlich platt sein, aber ich finde sie trotzdem nicht unerfreulich – wenn so ein biederes Blättchen wie die SI mit einer gewissen Selbstverständlichkeit negativ auf Bortoluzzis Aussagen reagiert und ihre ebenso biederen Leser bei der Gelegenheit an all die biederen homosexuellen Cervelat-Promis erinnert, dann hat das genau die richtige Wirkung.
Nur sollte man vielleicht dabei nicht irgendwen unfreiwillig outen.
Ja tatsächlich – der perfekte Hintergrund. Nur, was transportiert dieser gespielt überzeichnete Konservatismus eigentlich? Ist er als ein Nebenprodukt einer einigermassen gesunden und rational denkenden Gesellschaft zu deuten? Das Rezept dazu jedenfalls ist doch offensichtlich und simpel. Man setzt sich ein Saubermann-Image mit allen dazugehörigen Attributen auf und definiert sich lediglich über das, was man verabscheut: Vernunft, Toleranz, Anstand, Homosexualität, etc. Damit man in diesem Nirvana die Orientierung nicht verliert, sucht man nach Grenzen in Form von Tabubrüchen und Fettnäpfchen.
Der Blog trifft wiedermal den Nagel auf den Kopf, vielen Dank, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Toni Bortoluzzis Ansichten nehme ich seit rund 20 Jahren nicht mehr ernst. Bereits damals – ich war noch Kantischüler – schien mir der Typ ein reaktionäres Fossil. Ich wünschte mir, seine Aussagen würden einfach mal ignoriert, denn letztendlich nützt die heilige Entrüstung vor allem jemandem: ihm selber. Und den paar wenigen Ewiggestrigen, die sich durch seine in allen Medien verbreiteten Aussagen in ihren Ansichten legitimiert fühlen.
Mir (54, hetero) hat die Reaktion der „Schweizer Illustrierten“ extrem gefallen. Ein Mann, der sich solche Entgleisungen leistet, sollte erbarmungslos gebuht werden!
Bin heute 80. Vor 70 Jahren gab es in Basel einen Schwulen, den berühmten Fred. Vor allem bei begüterten Frauen, hervorragender Coutourier. Vor 65 Jahren merkte ich dass 3 von meiner Klasse schwul waren. Alle mussten das Schwulsein verstecken. Ganz wenige durften sich outen.
Heute gibt es Mengen und die meisten outen sich. Seit 12 Jahren lebe ich auf den Philippinen
Sehr sehr viele Schwule. Kath. Kirche absolut dagegen. Aber es hat auch sehr viele Schwule kath. Priester, Bischöfe, auch Kardinäle. Die Kirche hat sie nicht gern, kein Nachwuchs, aber Steuern zahlen sie. So ist es Heut