Dicke Mädchen

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Unlängst, meine Damen und Herren, zeigte die BBC die Dokumentation Blurred Lines: The New Battle of the Sexes, die das Thema Sexismus im Digitalen Zeitalter diskutierte und dabei unter anderem die haarsträubende Misogynie des wahnsinnig erfolgreichen Computerspiels «Grand Theft Auto» behandelte. Dort hat der Spieler die Option, die virtuelle Prostitutierte, deren Dienste er gerade in Anspruch genommen hat, umzubringen, um sich sein Geld wiederzuholen. Ist das die Nerd-Idee von Sex? Germaine Greer, Frauenrechtlerin und Literaturprofessorin in Cambridge, kommentiert dies wie folgt: «Sexual liberation hasn’t happened. Commercial pornography has been liberated. People have not been liberated.» Dazu passt irgendwie die obige Auswahl an Mousepads, die ich in einem grossen Elektronikmarkt für Sie fotografiert habe. Woran wir wieder sehen: der gesellschaftliche Fortschritt ist ein, well, tänzelndes Pferd. Alles Neue im Leben verdanken wir der Selektion aus dem Zufall, der Selektion aus störenden Geräuschen, las ich vorhin bei Norbert Bolz. Mag sein. Aber manchmal stören sie auch bloss, die Geräusche.

Und während ich diese Überlegungen rekapituliere, überlege ich ausserdem, ob die Beobachtung sexistisch sei, dass regelmässig die dicksten Mädchen sich bei Starbucks die grössten herzkranzgefässzerschmetternden Kalorienbomben bestellen. Da bin ich nämlich gerade, bei Starbucks. Und kann ebendas beobachten. Nicht zum ersten Mal. Natürlich handelt es sich bloss um eine subjektive Erhebung, vielleicht also sind das bloss zufällig Mädchen, vielleicht müsste man konstatieren: dass sich nicht selten die dicksten Leute jedwelchen Geschlechts die grössten Kalorienbomben bestellen. Das wäre dann nicht mehr sexistisch, nur noch fettphobisch. Oder Empirie. Eventuell sollte ich einem queerfeministischen fettpositiven Krawallkollektiv beitreten. But I think not.

Ich habe Zeit, mir diese Gedanken zu machen, weil meine Verabredung zu spät kommt, was ich hasse. Ich hasse es, wenn Leute zu spät kommen. Das ist sehr unhöflich. Die Verständigung über gemeinsame Zeit, das Festlegen und Teilen zeitlicher Bezugssysteme, gehört schliesslich zu den elementaren Inhalten von Kultur. Synchronisation, also gemeinsame Zeit, ist eine Kulturtechnik, die symbolische Ordnungen zugleich erzeugt wie voraussetzt. Zuspätkommen bedeutet ergo Kulturverlust. Und dann lebt noch jeder in seiner eigenen Zeit. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Bis übermorn.

41 Kommentare zu «Dicke Mädchen»

  • Urs Ache sagt:

    Scheint mir nicht zuletzt eine Frage von Ursache und Wirkung zu sein.

  • Romy sagt:

    treffender als das ein Jetset Arzt, der Abmagerungskuren für gut betuchte (und leider auch gut gepolsterte Ladies) in einem Satz zusammenfasste, kann man es nicht sagen:
    Dicke essen heimlich oder un-heimlich !!

  • Carolina sagt:

    Wenn schon, dann gleiches Recht für alle! Dann ist es (vielleicht) nicht homophob, sich im Odéon über eine Extrem-Tunte zu amüsieren? Oder einer Size-O-Kollegin, die nach jedem Essen (gut zugelangt übrigens wie angeblich die Dicken) auf dem WC verschwindet, Anorexie zu unterstellen? Oder Marathonläufern bzw Extremsportlern sexuellen Frust als Motivation?
    Ganz ehrlich: ich finde, jenseits von bescheuerter Political Correctness ist alles erlaubt, aber dann auch konsequent – und kein Aufgejaule, wenn es einen selber trifft! Und immer bedenken, dass man selber keinen Blog hat, um zu ventilieren!

  • Hermann G. sagt:

    Dick ist nicht hässlich, aber es ist gefährlich. Diabetes 2 und Herzerkrankungen kommen schnell.

  • Karl Eigenmann sagt:

    Die Kultur ist schon längst verloren – aber Pünktlichkeit hat beim besten Willen nichts mit Kultur zu tun, sondern nur mit Erziehung, Anstand und Respekt und ja, wir Schweizer übertreiben es aber so etwas von sinnlos mit dieser Pünktlichkeit, dass es fast schon Züge von Intoleranz aufweist. Man kann ja auch wieder gehen und muss nicht warten… wie hatte es Gorbatschow angeblich so schön gesagt? Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! – selber schuld…

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