Conchita ist mir wurst

Es ist so, meine Damen und Herren: I don’t give a flying Wallenda about the Eurovision Song Contest. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn diese Veranstaltung andere Leute interessiert. Jeder wie er will. Ich werde nur ein bisschen hellhörig, wenn sich alle einig sind. So wie sich jetzt alle einig scheinen: Conchita Wurst ist ganz, ganz toll. Und wenn Sie nun fragen «Wer ist Conchita Wurst?», weil das alles bis heute schon wieder in Vergessenheit geraten ist, dann darf ich Ihre Erinnerung auffrischen: Es handelt sich um eine schnulzensingende Drag Queen mit ausgemaltem Bart und einer auf Mang-Niveau operierten Nase. Kommt, wie viele Phänomene, die ein bisschen provinziell und hinterher sind, aus Österreich. Und hat letzte Woche für Österreich den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen. Worauf eine Bejubelung einsetzte, für die paradoxerweise nicht zuletzt Russland verantwortlich sein dürfte. Denn viele Leute in Europa sehen aus guten Gründen die russische Ukraine-Politik sehr sehr kritisch. Und die russische Diktakratie wird völlig zu Recht als homophob betrachtet. Da kam so ein Phänomen wie Conchita genau im richtigen Moment, um den Russen mal vorzuführen, für welche schrillen Exemplare man sich im aufgeklärten Europa begeistern kann. Auch wenn das vermeintlich Schrille vielleicht ein bisschen provinziell und hinterher ist. So läuft er bisweilen ab, der Gang der Dinge, mit der kalten, trivialen Mechanik einer Parkuhr.
Der ESC hingegen gilt irgendwie als ziemlich schwule Veranstaltung («schwul» im kulturellen Sinne), worauf ziemlich viele schwule Journalisten so stolz zu sein scheinen, als ob sie dafür gekämpft hätten. Namentlich die rüstigen älteren homosexuellen Herren, die für die deutsche Presse die ESC-Berichterstattung erledigen. Weil das ja so ’n geborenes Homothema ist. So mit Glitzer und Show und so. Das lieben Homos, bekanntlich. Einer von den homosexuellen Herren heisst Elmar Kraushaar und schrieb in der «Berliner Zeitung», Conchita Wurst wäre ein «Held», «würdig» und «grossartig». Und so wie Conchita Wursts ESC-Sieg «offensichtlich als ein Neuanfang in Österreichs Aussenwirkung betrachtet wird, hat er eine noch viel grössere Bedeutung für alle Homosexuellen Europas. … Da hat einer gewonnen, der so ist wie sie, ein schwuler Mann».
Mal ganz abgesehen davon, dass ein Land, dessen Aussenwirkung mutmasslich von Conchita Wurst abhängt, wirklich dringend Hilfe braucht, – gibt es da eine Sache, Leser, die mir persönlich noch verdächtiger vorkommt als wenn sich alle einig scheinen: Wenn Leute völlig unironisch in Klischeevorstellungen einwilligen, die sie selbst betreffen. Conchita Wurst ist kein Held. Harvey Milk war ein Held. Conchita Wurst ist auch nicht so wie «alle Homosexuellen Europas» respektive alle schwulen Männer, wofür ich persönlich herzlich dankbar bin, was nicht heisst, dass mir nicht wurst wäre, wie Conchita Wurst ihr Leben gestaltet. Jeder wie er will. Und wenn manche Leute aussehen wollen wie Harald Glöckler nach einer Fettabsaugung und Extensions – nur zu! Niemand sollte sie aufhalten. Genau für diese Freiheit ist Harvey Milk schliesslich auf die Strasse gegangen.
Conchita Wurst hingegen ist nicht auf die Strasse gegangen, bloss auf die Bühne. Denn sie ist, wie gesagt, eine schnulzensingende Drag Queen aus der österreichischen Provinz mit ausgemaltem Bart und überangepasster Nase. Die wir in spätestens zwei Jahren hochwahrscheinlich in irgendeinem Dschungelcamp wiederfinden werden. Niemand sollte sie aufhalten. Bloss nicht. Wenn allerdings so eine Erscheinung wie Conchita Wurst dazu beiträgt, dass wieder mal der Eindruck verstärkt wird, alle schwulen Männer wären so, dann tut sie den Homos keinen Gefallen. Ausser so Exemplaren wie Herrn Kraushaar, offensichtlich.
Bild oben: Schnulzensingende Drag Queen aus der österreichischen Provinz: ESC-Gewinnerin Conchita Wurst. (Foto: Reuters)
79 Kommentare zu «Conchita ist mir wurst»
Zum Toleranz-Geschrei sei noch der folgende Nachtrag erlaubt: In keinem einzigen gesellschaftlichen Bereich habe ich während mehr als 25 Jahren als Schwuler soviel Intoleranz erlebt wie bei den Homosexuellen selbst – nicht in der Familie, nicht am Arbeitsplatz, nicht im Verein, nicht in der Freizeit, ja nicht einmal im kirchlichen Leben. Eine gewisse Intoleranz im rein geschlechtlichen Bereich ist vielleicht nötig 🙂 oder sogar lebensrettend. Aber im übrigen sozialen Bereich sollten wir Homos zuerst einmal etwas mehr Binnen-Toleranz leben, statt fortwährend nach externer Toleranz zu schreien.
Danke, danke, danke Herr Tingler.
Man dürfte es sonst ja gar nicht sagen. Wer nicht mitapplaudiert, wird ja gleich verdächtigt homophob zu sein. Dabei ist es ja eher umgekehrt. Das applaudieren der Masse ist gekünstelt und wenn jemand nur deswegen gewinnt, weil er mit Kleid und Bart auftritt, dann ist dies nur ein Zeichen für umgekehrte Diskriminierung und nicht für eine tiefgehende Akzeptanz und dass man keine Unterschiede mehr macht.
Conchita Wurst ist mir auch wurst. Aber die Conchita Cintrón „La Diosa Rubia“ ( Die blonde Göttin) hätte mir wohl gefallen, obwohl ich Stierkämpfe gar nicht mag.
„Und wenn’s dann um Adoptionsrechte für Homos geht …“
Auf dieses Recht scheinen sie verzichtet zu haben (sie wissen was ich meine). Wenn nun wieder gefordert wird, dann ist dies eine verlogene Salami-Taktik. Ich werde sofern nun all dies plötzlich trotzdem gefordert wird, nie mehr ein gleichgeschlechtliches Thema unterstützen.
Nein. Niemand hat auf irgendwelche Rechte verzichtet. Das ist einer Demokratie unwürdig. Wir sind hier nicht auf einem Basar.
Hihi! Danke Herr Tingler! Ein feiner Artikel!