Conchita ist mir wurst

Conchita Wurst representing Austria poses with the trophy after winning the 59th annual Eurovision Song Contest in Copenhagen

Es ist so, meine Damen und Herren: I don’t give a flying Wallenda about the Eurovision Song Contest. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn diese Veranstaltung andere Leute interessiert. Jeder wie er will. Ich werde nur ein bisschen hellhörig, wenn sich alle einig sind. So wie sich jetzt alle einig scheinen: Conchita Wurst ist ganz, ganz toll. Und wenn Sie nun fragen «Wer ist Conchita Wurst?», weil das alles bis heute schon wieder in Vergessenheit geraten ist, dann darf ich Ihre Erinnerung auffrischen: Es handelt sich um eine schnulzensingende Drag Queen mit ausgemaltem Bart und einer auf Mang-Niveau operierten Nase. Kommt, wie viele Phänomene, die ein bisschen provinziell und hinterher sind, aus Österreich. Und hat letzte Woche für Österreich den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen. Worauf eine Bejubelung einsetzte, für die paradoxerweise nicht zuletzt Russland verantwortlich sein dürfte. Denn viele Leute in Europa sehen aus guten Gründen die russische Ukraine-Politik sehr sehr kritisch. Und die russische Diktakratie wird völlig zu Recht als homophob betrachtet. Da kam so ein Phänomen wie Conchita genau im richtigen Moment, um den Russen mal vorzuführen, für welche schrillen Exemplare man sich im aufgeklärten Europa begeistern kann. Auch wenn das vermeintlich Schrille vielleicht ein bisschen provinziell und hinterher ist. So läuft er bisweilen ab, der Gang der Dinge, mit der kalten, trivialen Mechanik einer Parkuhr.

Der ESC hingegen gilt irgendwie als ziemlich schwule Veranstaltung («schwul» im kulturellen Sinne), worauf ziemlich viele schwule Journalisten so stolz zu sein scheinen, als ob sie dafür gekämpft hätten. Namentlich die rüstigen älteren homosexuellen Herren, die für die deutsche Presse die ESC-Berichterstattung erledigen. Weil das ja so ’n geborenes Homothema ist. So mit Glitzer und Show und so. Das lieben Homos, bekanntlich. Einer von den homosexuellen Herren heisst Elmar Kraushaar und schrieb in der «Berliner Zeitung», Conchita Wurst wäre ein «Held», «würdig» und «grossartig». Und so wie Conchita Wursts ESC-Sieg «offensichtlich als ein Neuanfang in Österreichs Aussenwirkung betrachtet wird, hat er eine noch viel grössere Bedeutung für alle Homosexuellen Europas. … Da hat einer gewonnen, der so ist wie sie, ein schwuler Mann».

Mal ganz abgesehen davon, dass ein Land, dessen Aussenwirkung mutmasslich von Conchita Wurst abhängt, wirklich dringend Hilfe braucht, – gibt es da eine Sache, Leser, die mir persönlich noch verdächtiger vorkommt als wenn sich alle einig scheinen: Wenn Leute völlig unironisch in Klischeevorstellungen einwilligen, die sie selbst betreffen. Conchita Wurst ist kein Held. Harvey Milk war ein Held. Conchita Wurst ist auch nicht so wie «alle Homosexuellen Europas» respektive alle schwulen Männer, wofür ich persönlich herzlich dankbar bin, was nicht heisst, dass mir nicht wurst wäre, wie Conchita Wurst ihr Leben gestaltet. Jeder wie er will. Und wenn manche Leute aussehen wollen wie Harald Glöckler nach einer Fettabsaugung und Extensions – nur zu! Niemand sollte sie aufhalten. Genau für diese Freiheit ist Harvey Milk schliesslich auf die Strasse gegangen.

Conchita Wurst hingegen ist nicht auf die Strasse gegangen, bloss auf die Bühne. Denn sie ist, wie gesagt, eine schnulzensingende Drag Queen aus der österreichischen Provinz mit ausgemaltem Bart und überangepasster Nase. Die wir in spätestens zwei Jahren hochwahrscheinlich in irgendeinem Dschungelcamp wiederfinden werden. Niemand sollte sie aufhalten. Bloss nicht. Wenn allerdings so eine Erscheinung wie Conchita Wurst dazu beiträgt, dass wieder mal der Eindruck verstärkt wird, alle schwulen Männer wären so, dann tut sie den Homos keinen Gefallen. Ausser so Exemplaren wie Herrn Kraushaar, offensichtlich.

Bild oben: Schnulzensingende Drag Queen aus der österreichischen Provinz: ESC-Gewinnerin Conchita Wurst. (Foto: Reuters)

79 Kommentare zu «Conchita ist mir wurst»

  • Gabi sagt:

    Hier in Wien bin ich natürlich auch in der privilegierten Situation, mehr und Direkteres von C. Wurst zu erfahren.

    Ich muss sagen: Ich finde sie/er/es klasse. Absolut super.

    Toll an ihrem Sieg ist, dass es eben gar keine Rolle spielte, dass die Kunstfigur Conchita einen Bart hatte. Das Faszinierende an ihr ist gerade, dass sie kein Bisschen tuntig wirkt, sondern – und das macht es ja gerade dermassen besonders – extrem authentisch… Was angesichts des Bartes halt wirklich grosse Kunst, im wahrsten Sinne des Wortes, ist.

    Die war jedenfalls mehr Lady als manche aufgetackelte „Echte“.

    • Christina sagt:

      Was daran super sein soll, sogar autenthisch, ist mir schleierhaft. Nur etwas fällt auf: Dieser Mann hat in seinem Leben nichts anderes gemacht als von Casting-Show zur nächsten zu rennen. Ein immer auffallenderes Outfit war nötig, der „Durchbruch“ blieb jedoch aus. Um bei Eurovision aufzufallen, hat er das Outfit so gewählt, dass man es nicht mehr übersehen konnte. Als Erklärung dafür wurde eine „Message“ kreiert, angeblich für eine bessere Welt…

      Kunst kommt von Können: Kann er singen? Nein. Kann er tanzen? Kaum. Was kann er …?

  • CONCHI-Fan sagt:

    TOLLES LIED , SUPER STIMME – zurecht gewonnen ! Ob mit Bart oder ohne ist mir egal. Ich wünsche alles Gute !!!

  • Wurstlose Zeiten sagt:

    Eigentlich war mir der/die Wurst am Anfang völlig egal. Auch nach seinem/ihrem Sieg konnte ich ihm/ihr nichts spezielles abgewinnen. Besonders keine „message“. Inzwischen hat sich die Wurst auf meinen Magen geschlagen und ich leide an Verstimmung. Die Medien machen so einen wurstigen hipe, dass ich eine vegetarische Zwischenmahlzeit vor allem eine Wurstlose Zeit vorschlage.

  • Vincenzo Paolino sagt:

    Die Kunstfigur Conchita ist sehr gut überlegt und mit viel Talent und Fleiss am ESC zur Höchstform aufgelaufen. Das soll erstmal eine/r nachmachen. Er hat sehr viele Menschen berührt und auch wenn der Ruhm vielleicht nicht ewig währt…diese Gefahr besteht auch für Blog-Schreiber und andere auf keinen Fall provinziell sein wollende Superstars (sorry, Philipp Tingler, das musste jetzt sein…)

  • Flo sagt:

    Die conichita ist mir Wurt – und jede Wurst hat zwei enden; einen Anfang und ein Ende!
    Die Wurst reiht sich ein unter die „Paradiesvögel unserer Zeit. Sie/er kam, sah und siegte.

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