Wird Zürich überschwänglich?

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Also, meine Damen und Herren, neulich sitze ich so in Zürich im Tram und halte mich an die kulturell angemessene Blicknavigation in öffentlichen Verkehrsmitteln und denke über die Kontingenzerfahrungen der Spätmoderne nach sowie darüber, wie schockierend dieses Windkanalgesicht von dieser einen Mutter von den Real Housewives of Miami aussieht – da passiert Folgendes: Es gibt eine Durchsage. Aber nicht eine dieser üblichen Chaosmeldungen der Leitstelle, sondern seitens des Fahrers. Und zwar spricht der Fahrer wie folgt: «Grüezi mitenand! Wir begrüssen Sie herzlich an Bord der Linie 11. Wir freuen uns, dass Sie mit uns fahren, und wünschen Ihnen eine gute Reise.» Ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis. Ich war zu geschockt, um das gleich aufzuschreiben. Und nicht nur ich. Ich sah mich um. Alle Fahrgäste sassen da mit dem Gesicht von Laura Dern aus Jurassic Park (dem sogenannten Spielberg Face).

Was war geschehen? Wieso diese Durchsage, deren Freundlichkeit beinahe schon angelsächsische Qualität erreichte? Ich meine, üblicherweise ist doch die Stimmung im öffentlichen Raum unserer protestantischen Metropole bekanntlich von entschiedener Reserviertheit geprägt, einer Reserviertheit, der dann und wann gar eine gewisse Martialik anhaftet, die wiederum gelegentlich unwillkürlich komisch wirkt, wie auf obigem Bild, das ich am Flughafen in Zürich-Kloten für Sie aufgenommen habe.

Die wahrscheinlichste Antwort war: Der Tramchauffeur hatte momentan die Fassung verloren. Also nichts wie raus. Ich rettete mich in Sprünglis erste Etage. Wo Zürich noch Zürich ist. Das ist ungefähr einen Monat her. Seitdem habe ich nie wieder so eine Durchsage gehört. Ich hoffe, der arme Mann ist nicht gefeuert worden. Wahrscheinlich war er aus Ostdeutschland.

22 Kommentare zu «Wird Zürich überschwänglich?»

  • Joerg Hanspeter sagt:

    Der war sicher über 50 und aus Ostdeutschland, weil die DDR war ja berühmt für ihre Service-Qualitäten 🙂

  • Philipp Rittermann sagt:

    der vergleich mit jurassic park gefällt mir. der einzige unterschied ist, dass in zürich der tyrannosaurus rex „hafenkran“ heisst.

  • Oli Pfeffer sagt:

    Persönliche Begrüssung durch den Fahrer ist super! In anderen Städten als Zürich kommt dies auch gelegentlich vor.
    Was man sich aber gerne sparen kann, sind automatisch abgespielte Begrüssungsansagen. Gibt es in Basel im Tram vom Bahnhof zur Messe, wo in X Sprachen heisst „Welcome to Basel in the Tram 2 to Exhibition square, next stop is Kirschgarten“ oder so ähnlich. Den Stammfahrgästen nervt das nur und die Besucher merken auch, dass das nur eine automatisierte Ansage ist und verbuchen es so auch nicht als eine schätzenswerte Höflichkeit.

  • Jutta Maier sagt:

    der gute Mann war vermutlich aus dem Bernbiet. Dort sind solche Ansagen nämliche keine Seltenheit, auch wenn wir protestantisch sind.

  • AS sagt:

    Der Autor fährt wohl eher unregelmässig Tram. Ich höre dies schon fast wöchentlich (bei fast jedem Chauffeurwechsel gibt es eine Verabschiedung und/oder Begrüssung, an Knotenpunkten gibt’s das gleiche… Bspw. Wenn man im Feierabendverkehr den HB erreicht oder die Tramlinie die erste grössere Haltestelle auf der Strecke erreicht).

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