Wird Zürich überschwänglich?

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Also, meine Damen und Herren, neulich sitze ich so in Zürich im Tram und halte mich an die kulturell angemessene Blicknavigation in öffentlichen Verkehrsmitteln und denke über die Kontingenzerfahrungen der Spätmoderne nach sowie darüber, wie schockierend dieses Windkanalgesicht von dieser einen Mutter von den Real Housewives of Miami aussieht – da passiert Folgendes: Es gibt eine Durchsage. Aber nicht eine dieser üblichen Chaosmeldungen der Leitstelle, sondern seitens des Fahrers. Und zwar spricht der Fahrer wie folgt: «Grüezi mitenand! Wir begrüssen Sie herzlich an Bord der Linie 11. Wir freuen uns, dass Sie mit uns fahren, und wünschen Ihnen eine gute Reise.» Ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis. Ich war zu geschockt, um das gleich aufzuschreiben. Und nicht nur ich. Ich sah mich um. Alle Fahrgäste sassen da mit dem Gesicht von Laura Dern aus Jurassic Park (dem sogenannten Spielberg Face).

Was war geschehen? Wieso diese Durchsage, deren Freundlichkeit beinahe schon angelsächsische Qualität erreichte? Ich meine, üblicherweise ist doch die Stimmung im öffentlichen Raum unserer protestantischen Metropole bekanntlich von entschiedener Reserviertheit geprägt, einer Reserviertheit, der dann und wann gar eine gewisse Martialik anhaftet, die wiederum gelegentlich unwillkürlich komisch wirkt, wie auf obigem Bild, das ich am Flughafen in Zürich-Kloten für Sie aufgenommen habe.

Die wahrscheinlichste Antwort war: Der Tramchauffeur hatte momentan die Fassung verloren. Also nichts wie raus. Ich rettete mich in Sprünglis erste Etage. Wo Zürich noch Zürich ist. Das ist ungefähr einen Monat her. Seitdem habe ich nie wieder so eine Durchsage gehört. Ich hoffe, der arme Mann ist nicht gefeuert worden. Wahrscheinlich war er aus Ostdeutschland.

22 Kommentare zu «Wird Zürich überschwänglich?»

  • Alfred Frei sagt:

    Solange die VBZ Billetkontrollen macht, bei denen man sich in einer Razzia der mexikanischen Polizei auf die dortige Drogenmafia wähnt, bringen solche Begrüssungen auch nichts ausser ein bisschen momentaner Erheiterung.

    • sgt klinger sagt:

      meine Worte, diese Woche 2x erlebt und errinnerte mich wunderbar an die Strassensperren in Mittelamerika. Schwarzfahren ist sicher ein Problem, eines das ins Geld geht. Aber die Art alle Kunden mal perse als Schwarzfahrer anzugehen ist unmöglich.

  • Jacques sagt:

    „Ich rettete mich in Sprünglis erste Etage.“ Willkommen sehr geehrter Dr. Tingler, in der Welt des Felix Krull. Hatte es wenigstens einen Lift da? Wenn einem so viel Gutes wiederfährt… (weiter bei Thomas Mann)…

  • Werner Beinhart sagt:

    Solche Durchsagen höre ich auch des öftern. Allerdings gibt es auch andere „lustige“ Kommentare wie diesen welcher ich diese Woche in einem Zürcher Bus gehört habe. Der Bus wahr voll und die Tür beim Chauffeur konnte nicht mehr geschlossen werden, es ertönte das nervende „PiepPiepPiep“. Dies ging so lange, bis der Chauffeur laut meinte „Entweder steigt jetzt jemand bei der Tür aus und geht zu Fuss oder steigt auf das Busdach, sonst kommen wir hier nicht mehr fort.“ Tja, dieser Kommentar zauberte bei fast allen ein Lächeln ins Gesicht. 😉

    • sgt klinger sagt:

      Tja, und da gibt es noch die S-Bahn, gleiches beep, gleiche Durchsage, mehrmals, immer genervter.
      Und dann war wiedermal die S-Bahn defekt, nichts da vom dummen Passagiervolk.
      Und wenn einme dies in der gleichen Woche 3x wiederfährt, (!) kommt man ins Grübeln oder flüchtet.. ins Sprüngli oder so.

  • nowhere sagt:

    Auch ich höre öfter solche Begrüssungen im Team oder Bus (zb 31er). Ist doch nett, wenn ein Chauffeur freiwillig allen einen guten Tag wünscht. Mir ist es jedenfalls lieber ab und zu eine solche Begrùssung, als täglich eine von oben befohlene Standardbegrüssung.

    Nicht immer meckern, sondern das Gute nehmen wenn es sich anbietet!

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