Das Rumpeln der Seekuh

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Wir müssen heute mal ein lokalpolitisches Sujet behandeln (wofür ich alle Leser jenseits der Zürcher Stadtgrenzen um Verständnis bitte): Ich wollte eigentlich gar nichts zu diesem ostdeutschen Hafenkran sagen, der unlängst unter dem Etikett «Kunst» am Zürcher Limmatquai aufgestellt wurde, aber dann habe ich neulich zu meiner morgendlichen Tasse Breakfast Earl Grey den Fernseher eingeschaltet und dachte: «Oh, supi, ist das ein Film mit Rebel Wilson, den ich noch nicht kenne?» Nein. Das war nicht «Bachelorette II». Es handelte sich stattdessen um Sibylle Omlin. Der Name wurde eingeblendet. Was die Frage nahelegt: Wer ist das? Eine «Kunstexpertin». Auch das wurde eingeblendet. Falls man es aus dem Museumsshop-Halstuch noch nicht deduziert hatte.

Frau Omlin sprach über den Hafenkran und würzte ihre Sätze gerne mit: «Ich als Kunstexpertin.» Auch dabei war der Zürcher Alt-Stadtrat Martin Waser – und alt, um nicht zu sagen: erschreckend obsolet sowie unglaublich kinnladerunterklappend naiv war die Kunstauffassung, die sich hier zur Geltung brachte: Kunst ist, wenn man drüber redet. Es ging darum, dass der Kran so faszinierende Diskurse anstifte und deshalb Kunst sei. Womit diese Diskurse befasst sind oder sein sollen (ausser mit dem Aufstellen eines schrottigen Krans), blieb durchaus ungesagt. Ich jedoch möchte an dieser Stelle all unseren Diskursheinis und -heinas von Herzen gern Folgendes mitgeben: Wenn sich jemand vor meiner Haustür erbricht, spreche ich darüber. Deshalb ist das noch keine Kunst.

Der Kran ist mir wurscht. Ich habe nichts dagegen, ihn als besucheranziehende Rummelplatzattraktion aufzustellen – aber genau so sollte er laut Kunstexpertin O. gerade nicht verstanden werden. Das wäre ganz schlimm und banausenhaft. Well. Fest steht: Im Verhältnis zur Sphäre der Kunst ist dieser Kran genau das Gleiche wie eine Casting Show: Prätention und Kitsch. RTL-Kunst. Ein Monument der Belanglosigkeit und Geistesarmut des heutigen Kulturbetriebs. Und natürlich auch ein Monument der linken Macht in der Stadt Zürich.

Apropos: Jan Morgenthaler, Künstler (wir verwenden diesen Begriff hier leichtfertig), Vater des Krans, mischt in seinen Auftritten Allüren und Herablassung mit naiver Begeisterung, wenn er über den Kran sagt: «Er hat etwas Animalisches. Als wir ihn kippten, gab er Geräusche von sich, rumpelte über den Boden, so ganz tief, wie ein Elefant oder eine Seekuh oder irgendwas.» Das ist wunderbar. Für den Aufsatz eines elfjährigen Mädchens. Und dann schliesst Herr Morgenthaler: «Wir haben viele Fragen: Hat ein Kran noch soviel Kraft, ein Schiff anzulocken? Oder liegt das Glück im weiten Horizont? Oder hilft Träumen gegen Fernweh? Wir haben lauter solche Fragen.»

Ja. Ich habe auch viele Fragen. Namentlich diese: Hallo? Hall-ooh? Ist da draussen irgendjemand mit common sense? Stört sich irgendjemand daran, dass dieses Gerede so peinlich und trivial ist, dass man am liebsten weinen möchte? Bleghh! Ich weiss, dass das zeitgenössische Kunstgeschäft vor allem Bullshit produziert und von Bullshit lebt; aber was ist mit dem Anstandsgefühl und Bullshitdetektor aller billig und gerecht Denkenden? Was hilft gegen diese super-prätentiöse Provinzialität? Träumen? Bestimmt nicht. Wake up, you good people of Züritown, wake up. Ansonsten hätte ich hier noch ungefähr 1,000 Kran-Witze, die Sibylle Omlin involvieren; vielleicht kann man ja das als Diskursanstoss gelten lassen? Ich habe lauter solche Fragen.

113 Kommentare zu «Das Rumpeln der Seekuh»

  • Eduardo sagt:

    Linke, progressive Künstler und Künstlerinnen, lauscht aufmerksam auf das melancholische Quietschen des rostigen Krans, erkennt seine letzte irdische Bestimmung, seine tiefe Sehnsucht nach definitiver Erlösung im Hier und Jetzt: Schrottplatz, Schweissbrenner, Schredder und triumphale Wiedergeburt als neuer Stahl aus dem Höllenfeuer des Hochofens … 😉

  • sato sagt:

    Vielen Dank Herr Tingler für Ihren treffenden und geistreichen Kommentar, Th.German ua für die prägnanten Zitate. Hoffentlich verstehen nun die Transportunternehmer, dass sie ein Dokument für ihre künstlerische Bankroterklärung angekarrt haben, mit dem grössten Schrott, der nun straffrei in dieser Stadt herumstehen darf! Unglaublich!

  • Barbara Nägeli sagt:

    In der Kunst ist das Beste gut genug. Hat mal ein deutscher Dichter und Denker gesagt. Nun ist das Schlechteste gut genug, oder wird gar euphorisch gelobt. An alle, die keine Werte mehr verinnerlicht haben: Der Besuch an der ART Basel lohnt sich für diese auch dieses Jahr! Angesichts von wenig und nix kann man umso mehr drüber reden, um das Vakuum, das auch der Kran vorstellt, zu füllen. Viel Spass!

  • Reinhold Schmid sagt:

    Wenn ich mich so diagonal durch die Beiträge lese, befremdet mich das gegenseitige Hochpuschen in der Hafenkran Wahnkritik gewaltig. Bevor das Gesülze zum Höhepunkt kommt, schliesse ich die Site,
    will ja nicht noch besudelt werden.

  • W.Brühlmann sagt:

    Die schrottgewordene Realsatire wird ja nun auch akustisch getoppt; mit Fürzen von apokalyptischer Urgewalt (143 dB) aus einem Schiffshorn auf dem Prime Tower – warum nicht gleich auch die olfaktorische Komponente dazu liefern?. Irgendwie wäre das Bild dieser pseudoprogressiven Füdlibürgerkultur dann erst so richtig abgerundet.

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